Bauwelt

Selfmade City

Selfmade aber nicht Selfmade City

Text: Hoffmann-Axthelm, Dieter, Berlin

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Selfmade City

Selfmade aber nicht Selfmade City

Text: Hoffmann-Axthelm, Dieter, Berlin

Über die Vorzüge von Baugruppenprojekten muss man in Berlin keine Worte mehr verlieren. Um so wichtiger, dass hier eine sorgfältig erarbeitete Übersicht vorliegt, die vor allem innerstädtische Beispiele anhand eines durchgehaltenen Kriterienkatalogs behandelt.
Das war schon deshalb an der Zeit, weil die wohnungspolitische Diskussion plötzlich panikartig geworden ist und nach Massenlösungen schreit, mit der alles andere als beruhigenden Aussicht auf die Wiederkehr des subventionierten Massenwohnungsbaus seitens der landeseigenen Gesellschaften.
Bei aller Skepsis hinsichtlich des über Baugemeinschaften zu erwartenden Mengenanteils ist dieses Segment so wichtig, weil nur von ihm wirksame Signale einer fälligen Individualisierung, mithin Anpassung an die veränderten Gesellschaftsprobleme, ausgehen können. Um so wichtiger ist es, den Blick auf das Phänomen Baugruppe zu lenken. Ein entscheidender Punkt ist, dass man es den Gebäuden von außen nicht ansieht, wie sie entstanden sind. Baugruppe, das ist keine Architektureigenschaft, sondern eine unsichtbare Qualität. Dass Nutzer, statt individuell eine fertig angebotene Wohneinheit zu kaufen, sich zusammentun, als Gruppe ein Grundstück erwerben und unter mehr oder minder intensiver interner Diskussion im Zusammenspiel mit einem Architekturbüro das ihnen gemäße Gebäude entwickeln, das bedeutet einerseits den Wiedereintritt der Individuen in die Rolle städtischer Bauherrn, andererseits die Öffnung des Wohnungsproblems auf alte und neue Vorzüge außerhalb des Schematismus des Massenwohnungsbaus, wie Mischungen von Wohnen und Arbeiten, Mehrgenerationenwohnen, Gemeinschaftseinrichtungen, Selbstverantwortung und Selbstbestimmung.
Die Voreingenommenheit der Auswahl allerdings ist nicht zu übersehen: Es handelt sich erstens um ein Architektenbuch, dass nicht wirklich den sozialen Prozess, die Akteurskonstellation, die jeweiligen handlungsleitenden Prioritäten und die Formen und Probleme der Finanzierung in den Vordergrund stellt, sondern das Architekturergebnis. Und es handelt sich zweitens auch um ein polemisches Statement, das eine bestimmte Architekturauffassung demonstrieren will, ohne erklären zu können, wo der logische Nexus zwischen Baugruppenpraxis und einer bestimmten, wiewohl höchst vagen, Architekturauffassung herkommen sollte. Die Auswahl atmet, so verständlich wie bedauerlich, Ressentiment.
Damit gerät zumindest der Projektteil – immerhin knapp 150 Seiten von 224 – in eine gewisse Schieflage, insofern der architekturzentrierte Ansatz vorrangig die Motivation von Architekten spiegelt. In der Tat war die Immobilienkrise des Jahrhundertanfangs ein entscheidender Anstoß dafür, dass Architekten begannen, sich zum eigenen Auftraggeber zu machen und damit sich sowohl den Schwankungen des Marktes wie dem Renditedruck der Bauträger zu entziehen. Doch ist dies nur eine der Quellen. So betrachtet kommt, das Subjekt des Prozesses, die Baugruppe, zu kurz.
Das kann auch das abschließende Schlussfolgerungskapitel nicht mehr einholen. In der summierenden Auswertung verliert sich ein Großteil der Abhängigkeiten zwischen den abgefragten Details – Kosten, Finanzierungsmodus, Gemeinschaftsflächen, Generationentauglichkeit, Grün, Ökologie, Architekturqualität, dem Zusammenhang mit dem jeweiligen Bautypus, der Akteursstruktur, dem Organisationsmodell und den spezifischen Präferenzen einer Gruppe. Baugruppe ist eben nicht gleich Baugruppe.
Zur Unschärfe trägt auch der Manifestcharakter des Buches bei, vor allem die ehrgeizige, wiederum stark architektenlastige Marke Selfmade. Unverkennbar will man am kulturellen Hype der Pioniere, des Unfertigen, der Wagenburgen, der Nischennutzungen usw. partizipieren. Aber das passt nicht zum harten Baugruppengeschäft: weder zur sozialen Aufwendigkeit der Baugruppenpraxis, und erst recht nicht zu den finanziellen Grundbedingungen. Wie immer man den Quadratmeterpreis drücken mag – da wäre vermutlich auch nachzurechnen –, es geht um Eigentum und das dazu beizubringende Geld, und damit grenzt sich die Sache auf Menschen ein, die über entsprechendes Kapital verfügen. Die Baugruppenproduktion hat viele Vorteile, vor allem auch für die Stadt, aber sie ist schichtenspezifisch, insofern von Fall zu Fall auch aktiv gentrifizierend, sie ist kein Sozialprodukt.
Ärgerlich wird es, wenn das Selfmade im Buch zur Selfmade City gesteigert wird. Das ist, angesichts des Mengenunterschieds zwischen dem Nischenprodukt Baugruppe und der Produktion von Bauträgern, einzelnen Privaten und öffentlichen Gesellschaften allein im derzeitigen Wohnungsneubau und unabhängig vom Prozentanteil an der vorhandenen Gesamtwohnungsmasse, wahlweise fahrlässig oder lächerlich. Da wird ein Propagandainstrument aufgebaut, das offensichtlich auch nach außen wirken soll, der englische Titel und der zweisprachige Text sind sicher kein Zufall. Wenn das Buch gleichzeitig vom Senat mitherausgegeben wird und der derzeitige Bausenator das Modell Baugruppe im Vorwort als richtungsweisend lobt, fragt man sich schon, was an jahrelanger öffentlicher Inaktivität und Konzeptionslosigkeit hier verdeckt werden so
Angesichts der aktuellen Situation muss man auch fragen, ob das Modell Baugruppe nicht selbst schon historisch geworden ist. Denn das Reservoir möglicher Bauplätze ist so gut wie ausgeschöpft, um jeden hat man mit mächtigeren Konkurrenten zu kämpfen, und die Bodenpreise sind in den letzten beiden Jahren so gestiegen, dass nicht zu sehen ist, wie Baugruppen in der Innenstadt – wenn z.B. die BIM am Luisenstädtischen Park für 2000 €/m² verkauft – noch zu Grund kommen sollen. Hilfestellungen gibt es nur verbal, man hat weder ein politisches Konzept der Innenstadtverdichtung noch eine entsprechende Liegenschaftspolitik noch liegen baurechtliche Instrumente zur Begrenzung des Preisauftriebs, zur Individualisierung der Baumengen oder zur Förderung von sozial und funktional gemischtem Bauprojekten vor. Ob der anvisierte Stadtentwicklungsplan Wohnen das leisten wird, der vorderhand an entsprechender Stelle nur eine Leerstelle aufweist, aber 200.000 Wohnungen als Massenwohnungsbau bzw. in den Außenbezirken vorsieht, steht in den Sternen.
Ungeachtet dieser Kritik handelt es sich um ein schönes und wichtiges Buch, das hoffentlich noch zur rechten Zeit kommt – letzteres dann, wenn das Vorwort tatsächlich auf die Stadtentwicklungspolitik des Senats abfärben sollte.
Fakten
Autor / Herausgeber Kristien Ring, AA Projects, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt (Hrsg.)
Verlag Jovis Verlag, Berlin
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aus Bauwelt 12.2013
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