Space Packed
The Architecture of Alfred Neumann
Text: Schindler, Susanne, Princeton
Space Packed
The Architecture of Alfred Neumann
Text: Schindler, Susanne, Princeton
Auf den ersten Blick gelingt Rafi Segal mit seinem neuen Buch „Space Packed: The Architecture of Alfred Neumann“ eine seltene Balance. Wenn es um die Aufarbeitung einer nahezu vergessenen Figur der modernen Architektur geht, blättere ich häufig entweder in einem großformatig produzierten, möglichst reich und farbig illustrierten, jedoch kaum kommentierten coffee table book oder aber halte einen deutlich kleineren Band in der Hand, bei dem der akademische Anspruch dominiert, der Satz des Textes so lieblos, das Papier so dünn und die Anzahl der schwarz-weiß gehaltenen Bilder so gering wie möglich gehalten wurde. „Space Packed“ dagegen scheint eine qualitativ hochwertige Produktion mit anspruchsvoller Analyse zu verbinden, auf eine Weise, dass es wenig Überwindung braucht, mich mit einem mir bisher unbekann-ten Architekten auseinanderzusetzen. Ein erstes Querlesen und Durchblättern des Buches, das sich zu einem Drittel aus einführendem Essay und zu zwei Drit-teln aus einem aus Originalplänen, -skizzen und -fotografien bestehenden Werkverzeichnis zusammensetzt, macht deutlich: Neumanns Karriere ist geprägt von und reagierte auf die gewaltsamen politischen Bruchlinien des 20. Jahrhunderts. Er wollte mit seiner Arbeit und der Suche nach einem universalen Architektur-Proportions-System die Moderne „humanisieren“.
Neumann wurde 1900 in Wien geboren, wuchs auf und studierte in Brno, arbeitete in den Bü-ros von Auguste Perret, Peter Behrens und Josef Frank und musste zwischen 1933 und 1945 aufgrund seiner jüdischen Herkunft abtauchen. Er überlebte das Konzentrationslager Theresienstadt, emigrierte nach einer kurzen Anstellung bei den tschechoslovakischen Planungsbehörden 1949 nach Israel, wo er innerhalb kurzer Zeit zum Dekan der Architekturabteilung des Technion Institute of Technology wurde. Zugleich realisierte er in Israel die Hauptwerke, um die es Segal geht: meist geometrisch auffällige, oft hexagonal organisierte Betonskulpturen, sowohl öffentliche Bauten wie Rathäuser und Synagogen, aber ebenso Privathäuser und Siedlungen. Die-se sich deutlich vom Brutalismus unterscheidenden Bauten entwickelte Neumann meist in Partnerschaft mit dem viel jüngeren und heute noch in Deutschland bauenden Architekten Zvi Hecker. Unter anderem aufgrund eines Streitfalls um einen Neubau für die Maschinenbaufakul-tät am Technion folgte Neumann Mitte der 1960er Jahre einer Einladung nach Kanada, wo er 1968 verstarb.
Entsprechend dieses Eindrucks erhoffte ich mir von „Space Packed“ neue Einsichten in das Verhältnis von Gestaltung und Gesellschaft. Segal unterstützt meine Erwartung. Wie er in der Einleitung schreibt: „In dem sie die dem Architekten-Beruf inhärenten Konflikte hervorhebt, thematisiert diese Studie seit langem bestehende Fragen nach der Rolle des Architekten oder der Architektin in einer modernen demokratischen Gesellschaft. Soll der Architekt der Gesellschaft dienen, in dem er bereitstellt, was diese erwartet – oft das Familiäre und Bekannte –, oder ist seine Aufgabe, neue Formen und Ausdrucksweisen zu erforschen und vorzuschlagen?“ Segal, selbst praktizierender Architekt und Professor für Städtebau am Massachusetts Institute of Technology, kehrt die Frage dann auch um: „Welche Rolle spielt die Gesellschaft in der Förderung der kreativen Neu-Interpretation und Neu-Formung von Architektur, insbesondere von öffentlich finanzierten Bauten?“
Diese Fragen waren nicht nur für den damals jungen israelischen Staat zentral, sie sind es heute noch und in jeder Gesellschaft, die sich als demokratisch versteht. Leider werden sie von Segal mit einer Lesart von Neumanns Werk beantwortet, die alte architektenzentrierte Perspektiven im Verhältnis von Architekt und Auftraggeber nur bestärkt. Segal sieht die Rolle eines Architekten darin, Bestehendes programmatisch, vor allem aber formal, in Frage zu stellen. Die Aufgabe des Auftraggebers dagegen sieht Segal darin, dem Architekten unter allen Umständen die künstlerische Hoheit zu überlassen. Der schonerwähnte Konflikt um den Neubau für die Maschinenbaufakultät stellt hier den zentralen Punkt seiner Erzählung dar: Der Bauherr entzog Neumann und Hecker aufgrund von Kosten-, Funktionalitäts- und auch ästhetischer Bedenken die Federführung über den Bau, der anders als geplant realisiert wurde. Das Problem mit einer Betrachtungsweise, die das Genie des Künstlers derart in den Mittelpunkt stellt, ist, dass sich Segal dadurch einer tatsächlichen gesellschaftlichen und politischen Interpretation von Neumanns Werks entzieht. Seine Hauptsituierung besteht darin, Neumanns in der Tat auffälligen, provokativen, unüblichen Bauten einer gesellschaftlichen Offenheit zuzuordnen, die mit dem israelischen Sieg im Sechs-Tages-Krieg 1967 und der folgenden konservativen Wende verloren ging. Das Lamentieren über die bald einsetzende Postmoderne aber vermittelt dem Leser keine neu-en Einsichten in die breiteren Themen, um die hier gestritten wurden, oder warum – jenseits der formalen Neuerung – wir die „Türe auf [Neumanns] Erbe“, in Segals Worten, wieder öffnen sollten. Dafür hätte der Band dann doch mehr Platz für Text gebraucht und weniger für farbige Aquarellportraits oder Villen-Entwürfe aus den 1920er Jahren.
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