Wechselnde Partnerschaften
Zwei Monographien über die holländischen Architekten Jan Duiker und Bernard Bijvoet
Text: Kiem, Karl, Siegen
Wechselnde Partnerschaften
Zwei Monographien über die holländischen Architekten Jan Duiker und Bernard Bijvoet
Text: Kiem, Karl, Siegen
Jan Duiker (1890–1935) gilt vielen als der bedeutendste Architekt des Neuen Bauens in Holland. Sein hervorragender Ruf basiert auf einer relativ kleinen Anzahl von Bauten, vor allem dem Sanatorium Zonnestraal in Hilversum (1926–31) und der Freiluftschule in Amsterdam (1930–32). „Bau-ten von unbegreiflicher Leichtigkeit“, wie Herman Hertzberger sie beschrieb.
Zum ersten Mal liegt nun zu Jan Duiker durch Herman van Bergeijk eine ausführliche Untersuchung vor. Sie ist als Werkmonografie angelegt, das heißt, biografische Angaben fließen relativ sparsam ein. Der Einstieg erfolgt durch Kommentare zu wichtiger Literatur über Jan Duiker im Zusammenhang mit Anmerkungen zur Rezeption seines Werks in der Zeit der jeweiligen Publikation. Diese Verbindung ist originell und bietet einen lockeren und doch profunden Einstieg.
Entsprechendes gilt auch für die Untersuchung der Bauten und Projekte, die den zentralen Teil der Monografie und dort den größten Umfang einnimmt. Hier werden hauptsächlich die Entwicklungsgeschichte und die Rezeption der einzelnen Projekte untersucht und in einen Kontext gestellt: „Von warm nach kalt“, wie der Untertitel lautet, vom warmen Backstein zum kalten Beton und vom heißen Ofen zur eher mäßig temperierten Zentralheizung. Insgesamt wirkt die Untersuchung in der Bearbeitung der Quellen einerseits grundsolide und umfassend, andererseits durch die vielfach hergestellten Bezüge zum nationalen und internationalen gestalterischen Kontext souverän.
Die Schriften von Jan Duiker bilden ein zusätzliches Kapitel der Analyse. Die Inanspruchnah-me des Begriffs der Poesie anstelle jenes der Schönheit wird durch die in Holland üblichen Schönheitskommissionen erklärt, mit denen Jan Duiker immer wieder beträchtlichen Ärger hatte. Insgesamt werden diese Schriften als Immunisierung des gestalterischen Werks analysiert. Sehr positiv ist zu vermerken, dass Herman van Bergeijk eine klare Grenze von der Propaganda Jan Duikers und der Neuen Sachlichkeit überhaupt zu seinen eigenen Ausführungen zieht und sich erfrischend wenig auf stilgeschichtliche Befindlichkeiten einlässt.
Insgesamt darf die Monografie als Quantensprung betrachtet werden. Der Forschungsstand zu diesem Thema wurde nämlich bisher hauptsächlich durch eine kleine Publikation von 1989 bestimmt, die aus einer von Studenten zusammengestellten Werkliste besteht. Jan Molema hatte diese mit ein paar einführenden Bemerkungen und Herman Hertzberger mit einem Vorwort versehen. Letzterer hatte dort darauf hingewiesen, im Zusammenhang mit Jan Duiker sei „in einem Atemzug“ sein Partner Bernard Bijvoet zu nennen. Herman van Bergeijk entspricht dieser Forderung, indem er in der Regel von „Duiker und Bijvoet“ spricht. Die Untersuchung bleibt aber bei Jan Duiker in Holland und findet mit dessen frühem Tod im Jahr 1935 ihren zeitlichen Abschluss. Herman Hertzberger meinte in dem genannten Vorwort auch, man werde wohl niemals dahinterkommen, wer von den beiden Partnern welchen Anteil an den gemeinsam bearbeiteten Projekten hatte.
Trotz dieser Warnung haben sich Jan Molema und Suzy Leemans auf eine Monografie über Bernard Bijvoet (1889–1979) eingelassen. Ihre Arbeit gliedert sich in einen kürzeren biografischen Teil und ein daran anschließendes langes, nach typologischer Zugehörigkeit geordnetes Werkverzeichnis mit ausführlichen Einzeldarstellungen.
Im biografischen Kapitel bleibt zwar vieles im Konjunktiv, und die Adverbien „vermutlich“ und „wahrscheinlich“ finden regen Gebrauch, aber die beiden Autoren können doch ein halbwegs plausibles Bild von der Persönlichkeit und dem Leben Bernard Bijvoets sowie seinem Netzwerk skizzieren, in dem natürlich auch Jan Duiker eine wichtige Rolle spielt. Leider untergraben die Autoren mit eingestreuten sogenannten „fiktiven Interviews“ unnötigerweise die wissenschaftliche Seriosität ihres Unterfangens. Es zeigt sich jedenfalls, wie eng und ausschließlich die späteren Büropartner schon während ihres Studiums der „Baukunde“ in Delft befreundet waren, wie sie später Haus an Haus wohnten und im anschließenden dritten Gebäude ihr Büro hatten, wie Jan Duiker die Außenkontakte regelte, während Bernard Bijvoet sein Glück am Zeichentisch und am Piano fand. Bis der sich in Angelegenheiten der Architektur so sachlich und vernünftig gebende Jan Duiker 1925 seiner Nachbarin verfiel, worauf die Verlassenen, Bernard Bijvoet mit seiner Frau sowie die Ex-Frau seines Ex-Partners mit deren Kindern, nach Paris emigrierten.
In Paris erscheint Bernard Bijvoet dann in schnell wechselnden und nicht sehr tief gehenden Partnerschaften als Teil des Avantgardezirkels. Die berühmte Maison de Verre (1928–31) geht wohl hauptsächlich auf Bernard Bijvoets Konto, die Maison du Peuple in Clichy (1935–38) wohl eher nicht. Aber es gab auch einen regen Pendelverkehr zwischen Paris und Amsterdam, der die Fertigstellung des Hotel Gooiland in Hilversum durch Bernard Bijvoet nach dem Tod Jan Duikers 1935 mit einschließt. Nach dem Zweiten Weltkrieg folgt dann in Holland noch eine fast dreieinhalb Jahrzehnte dauernde Partnerschaft von Bijvoet mit Gerard Holt sowie eine große Zahl von Projekten. Und Bernard Bijvoets neue Ehe mit der Ex-Frau von Jan Duiker.
Für gründliche Leser halten beide Bücher ein unnötiges Ärgernis bereit: Wer die Fußnoten ans Ende eines Buches packt, verlangt, dass dortLesezeichen angebracht werden und ständig zwischen Haupt- und Fußnotentext hin- und hergesprungen wird. Wenn die Fußnoten dann auch noch in jedem Kapitel neu durchnummeriert sind und man erst im Inhaltsverzeichnis nachsehen muss, in welchem Kapitel man sich gerade befindet, über welche Seiten sich dieses erstreckt und auf welchen Seiten sich dann hinten die entsprechenden Fußnoten finden, dann stört dies extrem. Fußnoten heißen so, weil sie an den Fuß einer Seite gehören, wo man die Wahl hat, sie einfach mitzulesen oder auch nicht.
Jenseits davon haben beide Bücher unterschiedliche Qualitäten. Van Bergeijk hat das Bauen und Denken von „Duiker und Bijvoet“ grundlegend monografisch erschlossen und liefert damit die neue Referenz zum Thema. Molema und Leemans haben mit der Ausleuchtung des biografischen Hintergrunds und der Weiterführung des Themas hin zu „Bijvoet und Duiker auf Distanz“ sowie „Bijvoet und Ersatz für Duiker“ weitere Facetten dieser kreativen Symbiose hinzugefügt. Insgesamt ist nun das Modell dieser Beziehung deutlich, das in seiner grundsätzlichen Struktur bei paarweise organisierten Architekten gar nicht so selten vorkommt.
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