Weltbaumeister und Ingenieur
Der Architekt als „Rivale des Schöpfers“
Text: Scheffler, Tanja, Dresden
Weltbaumeister und Ingenieur
Der Architekt als „Rivale des Schöpfers“
Text: Scheffler, Tanja, Dresden
Der Architekt – ein omnipotenter, gottgleicher Schöpfer? Dieser handliche Essayband wirft spannende Schlaglichter auf das bekannte Rollenbild sowie die mitunter starken Diskrepanzen zur planerischen Realität. Hans-Georg Lippert fokussiert die bereits mit Claude-Nicolas Ledoux (dem „Modearchitekt des Louis-seize“) einsetzende Stilisierung des Berufsbildes zum allwissenden Weltbaumeister.
Er beleuchtet dabei auch die Entstehungsgeschichte des legendären Helden-Epos „The Fountainhead“ um einen sich radikal selbstverwirklichenden Architekten, bei dessen Anblick die auftretende Amazone keine Alternative zur „körperlichen und mystischen Vereinigung mit dem Schöpfer“ sieht. Ein ungemein nachhaltiges Erfolgsrezept. Denn die Romanvorlage (1943) von Ayn Rand erreicht im US-Buchhandel auch heute noch sechsstellige Jahresumsatzzahlen, und die Filmfassung (1949) inspirierte ganze Heerscharen von (männlichen) Schulabgängern, ein Architekturstudium aufzunehmen (Bauwelt 1–2.1997).
Das 20. Jahrhundert bot viele Gelegenheiten zur großflächigen Neugestaltung. Kerstin Zaschke beleuchtet den Wiederaufbau von mehreren französischen Städten nach 1945, wofür das staatliche Aufbau-Ministerium sowohl Gelder als auch Planer zentral „verteilte“. Entscheidend für die Umsetzung moderner Konzepte war neben der Autorität des zu-ständigen Architekten vor allem seine Strategie, die örtlichen Grundstücksbesitzer von einer (diese Areale neu arrondierenden) Bodenreform zu überzeugen: Auguste Perret trat als designierter „Meis-ter“ eines Planungskollektivs auf, das aus rund 60 ihn abgöttisch verehrenden Schülern bestand. Er konnte – komfortabel von seinem Pariser Büro aus – das gesamte Stadtzentrum von Le Havre in einem Guss neu errichten, der lokale Stadtrat wagte es nicht, seine Ideen abzulehnen. Le Corbusiers Versuch, in Saint-Dié ein CIAM-Pilotprojekt zu initiieren, scheiterte dagegen bereits Ende 1945, weil, wie er meinte, die „einfachen Leute einer Kleinstadt in Fragen und Problemen des Städtebaus nicht klar sehen“: Die Eigentümer von Einfamilienhäusern wollten nicht in einer 1600-Mann-Wohnmaschine leben, die Einzelhändler nicht in ein großes Warenhaus ziehen, und die lokalen Handwerker wollten keine Betonelemente, sondern traditionelle Gebäude aus dem Stein der Vogesen. Maubeuge hingegen wurde unter André Lurçat mit vielen (kostengünstigen) industriellen Bauteilen und großzügigen Grünflächen wieder aufgebaut. Er beteiligte 22 regionale Architekten und bezog die Bevölkerung in den Planungsprozess aktiv mit ein. So gelang ihm – auch ohne spektakuläre Vita – dank eines Gespürs für die anstehenden sozialen Fragen auf demokratischem Weg per Volksentscheid eine grundlegende Umgestaltung der Stadt.
Anke Blümm beleuchtet in einem weiteren Aufsatz die ersten deutschen Versuche während der NS-Zeit, den Berufsstand konkret abzugrenzen. Noch bis 1933 konnte sich auch jeder Handwerker als Architekt selbständig machen. Erst die Reichskulturkammer verlangte eine „eigenschöpferische“ Tätigkeit. Erstaunlicherweise gehörten viele Protagonisten des Bauhauses zu den Mitgliedern der ersten Stunde: Der BDA hatte sich in „vorauseilendem Gehorsam“ gleichgeschaltet, um (mit seinem umfangreichen Mitgliederstamm) die Organisation des neuen kammerinternen „Fachverbandes für Baukunst“ zu übernehmen. Erst später folgten dann mehrere „Säuberungswellen“ aufgrund von „Religions- oder Rassezugehörigkeit“. Weitere Beiträge des interessanten Bandes – wie Fritz Neumeyers Ausführungen über die modulare Entwurfsmethodik von Jean-Nicolas-Louis Durand sowie ihren Einfluss auf Klassizismus und Funktionalismus – gehen dem architektonischen Selbstverständnis nach, die gesamte Welt ordnen zu können. Eine Vorstellung, die auch heute noch von extremer Attraktivität ist.
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