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hold it! | The Art and Architecture of Public-Space-Bricolage-Resistance-Resources-Aesthetics

Text: Tempel, Christoph, Berlin

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hold it! | The Art and Architecture of Public-Space-Bricolage-Resistance-Resources-Aesthetics

Text: Tempel, Christoph, Berlin

Im Januar 2009 versuchte die Künstlerin Folke Köbberling in Marfa, Texas, einen Zug zu stoppen, den Sunset Limited. Der verbindet alle zwei Tage New Orleans mit Los Angeles und hält schon seit langem nur noch im 24 Meilen entfernten Alpine. Das durch Donald Judd und die von ihm initiierte Chinati Foundation zu gewisser Berühmtheit gelangte Städtchen Marfa ist dem Sunset Limited nur mehrmaliges Hupen wert. Folke Köbberling und ihr Mann Martin Kalt- wasser haben als „artists in residence“ den Galerieraum der Stiftung durch den Einbau zweier Bänke in die Wartehalle eines Bahnhofs verwandelt. Sie legten einen Holzsteg zur nahe gelegenen Trasse, über den sich das Vernissagenpublikum aufmachte, die Künstlerin in ihrem Ansinnen für eine bessere öffentliche Verkehrsanbindung Marfas zu unterstützen.
Next Stop: Marfa“ findet sich in der Publikation „hold it!“ noch nicht, zeigt aber beispielhaft die Arbeitsweise des Künstlerpaars: Mithilfe temporärer Architekturen und Einbauten, die sie aus vor Ort gefundenen, gesammelten oder getauschten Materialien erstellen (in Marfa sind es nicht mehr benötigte hölzerne Transportkisten für die Werke Donald Judds), reagieren sie auf örtliche Gegebenheiten. In Verbindung mit einer Aktion wie dem Versuch, einen Personenzug zum Halten zu bewegen, wird auf einen Zustand hingewiesen, der eigentlich ein Missstand ist.
Die Interventionen von Köbberling und Kaltwasser beziehen sich vorrangig auf den öffentlichen Raum und kritisieren neben dem alles bestimmenden Individualverkehr und der gedankenlosen Ressourcenverschwendung vor allem dessen immer stärker werdende Kommerzialisierung und die damiteinhergehende Überwachung. 34 Projekte aus den letzten sechs Jahren vereint die als Werkkatalog angelegte Publikation auf 240 Seiten. Kurze Texte aus der Feder des Paars erläutern die Herangehensweise und präsentieren das künstlerische Resultat.
In der Innenstadt Nottinghams etwa errichteten Köbberling und Kaltwasser für die Arbeit „Blind Spot“ (blinder Fleck) kleine Kabinen an Stellen, die von den allgegenwärtigen Überwachungskameras nicht abgedeckt werden. In Linz implementierten sie eine Bus­haltestelle, wie man sie in Osteuropa als Ort der Information und des informellen Kleinhandels vereinzelt noch vorfindet, für die Dauer des Kulturhauptstadtjahres an einen 1A-Innenstadtstandort. Und in Zürich machten sie aus dem Ausstellungsraum„Shedhalle“ ein Baustofflager für Umsonstmaterialien, aus denen sie später das „Werdplatzpalais“ errichteten, eine allen Bevölkerungsschichten offenstehende Anlaufstelle in Börsennähe. Ein halbes Jahr später wurde aus dem gleichen, zwischenzeitlich eingelagerten Material unter Mitarbeit von Kindern und Jugendlichen ein temporäres Gemeinschaftszentrum für die Siedlung Micafil im Stadtteil Altstetten.
Selten können diese pavillonartigen Interventionen dem architekturgeübten Auge formal genügen, darum geht es auch gar nicht. In ihrer Selbstbauästhetik setzen sie sich von den einengenden Baunor­men ab und animieren die Betrachter zum Selbermachen, zum gemeinsamen Handeln, zur politischen Aktion.
Dass das nicht immer von Erfolg gekrönt ist, zeigt leider auch die Aktion in Marfa: Der Sunset Limited ließ sich von dem Grüpplein aufgerüttelter Vernissagebesucher nicht beirren, hupte weitere Male und fuhr ohne Halt durch: Next Stop – Alpine. 
Fakten
Autor / Herausgeber Folke Köbberling und Martin Kaltwasser
Verlag Jovis Verlag, Berlin 2009
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aus Bauwelt 21.2010

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