Ein Treffen im „Sprechzimmer der Geschichte“
Dieter Hoffmann-Axthelm und Andreas Nachama im Streitgespräch mit Nils Ballhausen.
Text: Ballhausen, Nils, Berlin; Hoffmann-Axthelm, Berlin; Nachama, Andreas, Berlin
Ein Treffen im „Sprechzimmer der Geschichte“
Dieter Hoffmann-Axthelm und Andreas Nachama im Streitgespräch mit Nils Ballhausen.
Text: Ballhausen, Nils, Berlin; Hoffmann-Axthelm, Berlin; Nachama, Andreas, Berlin
„Spricht das Gelände oder spricht die Institution?“, lautete eine Kernfrage der Vergangenheit. Hier sprechen zwei Vertreter dieser Positionen miteinander. Das Gespräch mit Andreas Nachama und Dieter Hoffmann-Axthelm fand am 18. März 2010 in den Räumen des neuen Dokumentationszentrums statt.
Man darf die Planungsgeschichte der „Topographie des Terrors“ mit all ihren Verästelungen als kompliziert bezeichnen. Sie nahm mitunter Wendungen, die selbst Kennern gewisse Schwindelgefühle verursachen konnten. Seit über dreißig Jahren wird über einen angemessenen Umgang mit dem Areal an der ehemaligen Prinz-Albrecht-Straße diskutiert, wo einst die Zentralen von Gestapo, SS und Reichssicherheitshauptamt standen. Die Debatten fügen sich rückblickend zu einem wertvollen Kapitel der (west-)deutschen Nachkriegsgeschichte; manche Idee für diesen Ortwurde anderswo realisiert, etwa das „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ nahe dem Brandenburger Tor.
Die Voraussetzungen haben sich geändert, aus der West-Berliner Randlage ist ein Teil des Zentrums geworden. Heutige Besucher kommen mit anderen Erwartungen, sie kommen auch deswegen so zahlreich, weil sich an diesem Ort unterschiedliche touristische Bedürfnisse auf engem Raum decken lassen: Kultur im Martin-Gropius-Bau, Fototermin vor den Resten der Berliner Mauer, Shopping am Potsdamer Platz. In dieses Umfeld muss das komplexe Thema, die Organisation und Durchführung des nationalsozialistischen Massenmords, eingepasst werden.
„Spricht das Gelände oder spricht die Institution?“, lautete eine Kernfrage der Vergangenheit. Hier sprechen zwei Vertreter dieser Positionen miteinander. Das Gespräch mit Andreas Nachama und Dieter Hoffmann-Axthelm fand am 18. März 2010 in den Räumen des neuen Dokumentationszentrums statt.
Herr Nachama, wer hat sich eigentlich den Namen Topographie des Terrors einfallen lassen?
Andreas Nachama | Das lässt sich genau rekonstruieren: Anfang 1987 erschien eine Monographie von Reinold Schattenfroh und Johannes Tuchel. Der Titel: „Zentrale des Terrors. Prinz-Albrecht-Straße 8. Das Hauptquartier der Gestapo“. Die 750-Jahr-Feier Berlins fiel ins gleiche Jahr, und es war ge-
plant, neben dem im Gropiusbau unter der Leitung von Reinhard Rürup und Gottfried Korff gezeigten Kaleidoskop zur Geschichte der Stadt auf dem Prinz-Albrecht-Gelände, wie es damals noch genannt wurde, eine Dokumentation einzurichten, und für die brauchte es einen Namen. Frank Dingel, der viel zu früh verstorbene erste Kurator der Ausstellung, hat dafür „Topographie des Terrors“ vorgeschlagen. „Zentrale des Terrors“ konnte man wegen des Copyrights des Buches nicht nehmen.
In der Bauwelt sprach sich Ulrich Conrads 1984 dafür aus, es besser SS-Gelände zu nennen.
AN | Die damalige Debatte lief unter dem Namen „PAP“ – Prinz-Albrecht-Palais.
Dieter Hoffmann-Axthelm | Nein, das ist einseitig. Es war vor allem eine Folge davon, dass das Prinz-Albrecht-Palais durch die IBA in den Vordergrund gerückt wurde. Deren Leiter, Josef Paul Kleihues, träumte davon, das Prinz-Albrecht-Palais durch Giorgio Grassi wieder aufbauen zu lassen. Das war der zweite Preis im Wettbewerb von 1983. Sonst war niemand daran interessiert, es Prinz-Albrecht-Gelände zu nennen. Es war das Gestapo-Gelände, das war in meinen Kreisen der Ausdruck. Die Bezeichnung „Prinz-Abrecht-Gelände“ ist dann von der CDU und Diepgen benutzt worden, um das Ganze weiter zu befördern. Der Wettbewerb 1983 lief noch unter einem ganz anderen Thema. Ich bin der Erste gewesen, der auf dem Gelände gestanden und gesagt hat: „Machen wir was“ – und der auch was gemacht hat. Da war vom Reichssicherheitshauptamt und von der Gestapo die Rede, auch dann noch, als Ulrich Eckardt (Anm.: Leiter der Berliner Festspiele GmbH) das Gelände entdeckt hat und dort die erste offizielle, senatsfinanzierte Veranstaltung gemacht hat.
AN | Die erste Ausstellung im wiederhergerichteten ehemaligen Kunstgewerbemuseum, das dann Martin-Gropius-Bau genannt wurde, war die Preußen-Ausstellung von 1981. Der vorletzte Raum der Ausstellung beschäftigte sich mit dem Thema Preußentum und Nationalsozialismus. Vor dem unverhüllten Fenster befand sich ein Podest, von dem man nach draußen blicken konnte. Auf dem Gelände stand eine Tafel, auf der die Standorte der wichtigsten Gebäude markiert waren, die Kunstgewerbeschule als Gestapo-Zentrale usw. Ich war damals einer der Kuratoren der Ausstellung, und das war aus meiner Sicht die erste offizielle Präsentation zu dem Gelände, die mit öffentlichen Geldern gemacht wurde.
DHA | Es gab auch eine Freiraumveranstaltung. Die Berliner Symphoniker haben die 9. Symphonie gespielt.
AN | Die Berliner Festspiele waren nicht die ersten. Das behauptet auch keiner. Aber sie haben die Initiativen aufgegriffen.
DHA | Es geht auch eher um die konzeptionellen Dinge, über die wir uns heute unterhalten müssen, darüber, warum das eine Konzept vollkommen untergegangen ist und das andere 100-prozentig realisiert wurde.
AN | Ich will die damalige Debatte so fassen: Prinz-Albrecht-Gelände versus historisches Erinnern. Das waren die beiden Positionen, die es gegeben hat. Auf der Seite der historischen Erinnerung stand Hardt-Waltherr Hämer mit der Altbau-IBA, auf der anderen Seite standen diejenigen, die, mit welchem Wettbewerbsentwurf auch immer, das Prinz-Albrecht-Palais wieder in den Vordergrund zu rücken versuchten.
DHA | Das sehe ich ein bisschen anders. In der Wettbewerbsjury 1983 gab es offene und heftige Diskussionen, drei Tage lang. Die Kampflinie war noch gar nicht, wie im Jahrzehnt darauf, Institution gegen freies historisches Erinnern, es ging vielmehr um die Frage: Ist das Gelände selbst ein Denkmal, oder ist es eine Fläche, auf die ein Denkmal gesetzt werden muss? Damals gab es schon die Idee von einem Holocaust-Mahnmal.
AN | Das kam erst 1988.
DHA | Nein, das war schon bei diesem ersten Wettbewerb eine der Möglichkeiten, zum Beispiel hatte Rebecca Horn ein Denkmal entworfen. Die Neubau-IBA war der Hebel, um die Idee endgültig abzuschmettern, die Kochstraße über das Gelände hinweg zu verlängern. Das war das Positive an der ganzen Geschichte. Aus dieser Kontroverse ist die Idee immer weiter gewachsen, ein Mahnmal zu errichten, das nur ein Mahnmal und ortsungebunden ist. Wenn man Frau Rosh gelassen hätte, läge es heute nicht an der Behrenstraße, sondern hier.
AN | Das war einer der Anläufe, die sie unternommen hat. Danach bekam das eine ganz andere Dynamik, weil sie eine Mannschaft gefunden hatte, die dahinter stand.
DHA | Vorher war es nur ein Vorschlag neben 300 anderen.
Mit der Frage nach der Herkunft des Namens wollte ich eigentlich wissen: Ist der Name überhaupt noch passend? Der Begriff Terror wird heute in ganz anderen Zusammenhängen gebraucht.
AN | Als ich kurz nach dem Anschlag auf das World Trade Center nach Amerika flog und mich bei der Einreise der Beamte nach meinem Beruf fragte, antwortete ich: „Ich bin Direktor der Topographie des Terrors“ (lacht) ... Gott sei Dank hatte ich einen englischsprachigen Katalog im Handgepäck, und die Situation entspannte sich nach drei, vier Minuten. Es zeigt sich aber daran, dass der Titel auch missverständlich sein kann. Es wurde auch einmal diskutiert, ihn zu ändern in „Topographie des NS-Terrors“. Ich glaube aber, er ist ein Markenzeichen, und die Leute verstehen auch, dass hier sozusagen das Zentrum des Bösen im sogenannten „Dritten Reich“ war. Deswegen kommen sie auch her, was die Befragungen der Besucher belegen. Die Touristen, besonders die ausländischen, wollen wissen, wo das war und wie das funktioniert hat.
DHA | Der Begriff Terror hat für mich viel verschüttet, er ist zu allgemein. Es war auch 1983 schon nicht damit getan, es einfach „das Böse“ zu nennen. Das überlagerte die verschiedenen Motivationen und die Intelligenz, die damals in die Gestapo reingegangen ist, was an Ambivalenzen darin steckt, einen solchen Terrorapparat zu errichten, und was das für einen Schatten wirft auf ganz andere Bereiche, die man mit diesem Begriff gar nicht fassen kann. Warum sind so viele Leute damals einfach in den Dienst dieser Organisation gegangen und haben sich da unter dem Gesichtspunkt Selbstverwirklichung qualifiziert? Das reicht weit in gesellschaftliche Bereiche hinein. Deswegen ist für mich schon damals der Begriff „Topographie des Terrors“ ein Unbegriff gewesen. Und jetzt ist auch noch die reale Topographie weg! Im Augenblick ist kaum noch nachvollziehbar, was an Geschichte und was an Nach-
geschichte hier auf dem Gelände gelaufen ist. Das ist das Ergebnis von dreißig Jahren Diskussion. Oder eher wohl von dreißig Jahren Nicht-Diskussion.
AN | Das ist eher ein Ort der Täter als ein Ort der Opfer, auch wenn hier ein Gefängnis war. Es bestand die merkwürdige Konstellation, dass die, die hier in der Zeit von 1933 bis 1945 gearbeitet haben, junge Leute waren, im Mittel zwischen 30 und 40 Jahre alt, gebildet ...
DHA | ...und ehrgeizig...
AN | ...promovierte Juristen und andere. Das waren Leute, die wussten, was sie taten. Von denen kann man nicht sagen, sie seien irgendwie hineingeraten. Nein, die haben sich in diese Terrormaschinerie eingearbeitet. Wenn man sich ansieht, wie oft die Gestapo auf den Titelblättern des „Völkischen Beobachters“ gewesen ist, wird deutlich, wie mit der Einschüchterung gearbeitet wurde. Es war zwar eine Geheime Staatspolizei, aber sie lag im Zentrum Berlins. Sie hätten von den räumlichen Arbeitsmöglichkeiten ja besser irgendeine Kaserne am Stadtrand nehmen können. Aber sie war hier an der Wilhelmstraße, ganz bewusst im Zentrum der Macht, neben dem Außenamt, der Reichskanzlei, den Ministerien und SS-Agenturen errichtet, um damit Politik zu machen, im Sinne von Einschüchtern der Öffentlichkeit. Eigentlich ist der Name Geheime Staatspolizei ein Witz, eigentlich war es ein „Öffentliches Staatspolizeiamt“.
DHA | Ich denke, dass das eigentlich Erschütternde ist, dass die Leute nicht mit dem Ziel in die Gestapo eintraten, Osteuropa aufzurollen oder die Juden zu vernichten, sondern um Karriere zu machen, und dass sie die ihnen aufgetragenen Tätigkeiten übernommen haben, um mal so richtig loslegen zu können, ohne irgendwelche bürokratischen Hemmnisse. Das ist für mich das eigentlich Unheimliche, das mit dem Wort Terror nicht ausreichend zu greifen ist.
Aber was ist seitdem mit dem Ort gemacht worden? Da hat sich einiges dreimal um sich selbst gedreht – und das hat auch mit Architektur zu tun, also mit ganz unterschiedlichen Vorstellungen: Was hat die Architektur eigentlich hier zu suchen? Wie kann überhaupt eine Zusammenfassung der Ergebnisse aussehen? Ein weiterer Punkt, der für mich damals der eigentliche Streitpunkt war und bei dem ich schon ganz früh auf der Verliererseite stand: Ich habe von Anfang an dafür plädiert, dass das Gelände spricht, und Sie, Herr Nachama, stehen für die Lösung Institution. Das steht sich – wie man jetzt sieht – auf der ganzen Linie im Wege. Während wir auf halber Strecke, also mit dem Entwurf von Peter Zumthor, die Illusion hatten, oder vielleicht auch die Chance – das ist von heute aus nicht mehr ganz einfach zu beurteilen –, einen Mittelweg zu finden. Etwas, das das Gelände sprechen lässt und auf der anderen Seite die Institution beherbergt.
AN | Es wäre schön, wenn Sie recht hätten in dem Sinne, dass Zumthor nicht – seinen eigenen Plan eigentlich verratend – aufgegeben hätte. Den Schuttberg am Gebäude hat er aufgegeben, weil er sich statisch nicht einbinden ließ, der hätte ihm eher das Gebäude umgeworfen. In der ersten Fassung hatte er den Notausgang im Treppenturm über den Schuttberg geführt. Dann war der Schuttberg weg, nachdem der Statiker gesagt hatte, dass das Gebäude augenblicklich zusammenbricht, wenn der Schuttberg nur einmal nass wird. Dann hat Zumthor nach New Yorker Vorbild eine Feuerleiter hinuntergeführt, weil er auf einmal in der anderthalbten Etage den Notausgang gehabt hätte. Er hat letztlich die Dinge zwar philosophisch, aber doch nicht architektonisch gelöst. Philosophisch war es ein interessanter Entwurf, der hätte die Nachkriegsschuttberge erhalten können. Aber als es zur Realisierung kam, war es damit vorbei.
DHA | Das betraf ja nicht das ganze Gelände.
AN | Doch.
DHA | Es hätten nicht alle Schuttberge weggemusst.
AN | Doch, die waren doch weg. Er hatte sie doch alle umgelagert, zur Seite geschoben.
DHA | Das wäre mir egal, weil die Schuttberge an sich kein historisches Monument sind, sondern Schrott aus Kreuzberger Häusern, die abgerissen worden sind, und der Ort, an dem das gelagert wird, hat keinen Heiligkeitscharakter. Das gehört zu den Zufälligkeiten des Geländes. Interessant an der Geschichte war einmal die Metaphorik: Es ist der Abriss der Stadt des 19. Jahrhunderts und hat auch etwas mit dem Schuldbewusstsein zu tun, hat etwas, im psychoanalytischen Sinn, von Verschiebung an sich, insofern gab es auch noch einen un-
terirdischen Zusammenhang. Das ist auch im Wettbewerb von 1983 von vielen Teilnehmern reflektiert worden, zum Beispiel von Andreas Reidemeister. Was den Zumthor-Entwurf angeht, sehe ich das Hauptproblem einerseits in der Eitelkeit des Architekten, der nicht fähig war, sein Gebäude rechtzeitig so umzustrukturieren und zu vereinfachen, dass es baubar war, und andererseits in der Entschlusslosigkeit der Politik, die nicht sah, dass sie da energischer zupacken muss und keine Zeit verlieren darf. Dann kam es in die Mühlen der Po-litik, als nach dem Sturz von Stadtentwicklungssenator Strieder dessen Nachfolgerin nicht begriff, worum es geht und nur gesagt hat, hier brennt ein Feuer, das muss man löschen. Schluss.
Ich möchte einen Begriff aus einer anderen Debatte einbringen: das „sichtbare Zeichen“, das von der „Stiftung Flucht Vertreibung Versöhnung“ eingefordert wurde. Haben wir hier auf dem Gelände der „Topographie des Terrors“ so etwas wie ein sichtbares Zeichen?
AN | Das andere Zeichen wird ja im Deutschlandhaus neben-an, einem historischen Gebäude aus den zwanziger Jahren – versteckt, wenn man so will. Es ist wohl eher ein betretbares Zeichen, es bekommt keine eigene Architektur, keinen eigenen Ausdruck, sondern wird in ein bestehendes Gebäude ein-gefügt.
DHA | Was aber thematisch gut dazu passt.
AN | Das ist nicht so sehr die Frage, sondern wenn man über einen Begriff spricht – Topographie des Terrors oder sichtbares Zeichen –, muss man erst mal fragen: Was habe ich da? Beim Deutschlandhaus handelt es sich um ein Zeichen, das für den, der das Gebäude betritt, sichtbar ist. Architektur, die die Stadt prägt, ist es nicht. Ob bei der Topographie die architektonischen und sonstigen Geländespuren in der neuen Konstellation besser ablesbar sein werden als zuvor, das wird man sehen, wenn alles fertig ist. Ich glaube, dass sowohl die Gebäudereste entlang der Niederkirchnerstraße als auch die Spuren des Autodroms – Kassenhäuschenfundamente und andere Dinge – besser ablesbar werden, weil sie nicht mehr in einem Morast von nicht wahrnehmbaren unaufgeräumten Spuren der Gegenwart versinken, sondern weil sie sichtbar gemacht werden durch ein geordnetes Umfeld. Man sieht, was gestaltet ist, und man sieht, wo die Spuren sind. Ich hoffe, dass es nachvollziehbar sein wird, sobald die Bauarbeiten abgeschlossen sind.
DHA | Aber man sieht doch schon jetzt, wo es hingeht. Wer projektiv denken kann, sieht die glatte Fläche. Und das ist nah dran an dem Siegerentwurf von 1983, insofern, als sich von der glatten Fläche bestimmte Dinge signifikant abheben sollen. Das war für mich damals schon interessant, wie stark die Architekten auf diesen Entwurf abgefahren sind, weil er wirklich ein Versiegelungsentwurf ist. Ein Entwurf, der eine Ebene schafft, auf die man etwas daraufstellen oder von ihr abheben kann. Und eben das hat sich nach den ganzen schwierigen Prozessen wiederhergestellt; mit dem großen Unterschied, dass wir jetzt noch ein Gebäude dazubekommen haben, das als Heim der Institution dient und sich im Grunde an diese Strategie anpasst. Ein Gebäude, das enorm historistisch ist, ich empfinde es auch beim Hereinkommen so: Akademie der Künste, fünfziger Jahre, mit Mies und Eiermann im Kopf. Enorm rückwärtsgewandt, gerade nach außen durch die Vorhangfassade und die Tarnung. Das passt gut zum Verschließen des Geländes.
AN | Ich würde das anders interpretieren, und so war es auch im Wettbewerb formuliert: Wir sind in einem Gebäude, von dem in der Ausstellungsetage, mit Ausnahme des Sonderausstellungsraums, von mehr oder minder jedem Punkt aus das Gelände, über das wir hier verhandeln, und die Stadtlandschaft, die es umgibt, sichtbar bleiben. Sonst hätte man auch eine Black Box irgendwo errichten können, in irgendeinem bestehenden Industriegebäude am Rande oder in der Mitte der Stadt, und die Ausstellung dort zeigen können. Das kann man auch machen, sie andernorts zeigen. Aber dann verliert man den räumlichen Bezug. Den stellt dieser schwebende Pavillon her.
DHA | Ich denke, die Aussage: „Das Gelände ist das erste Ausstellungsobjekt“ ist so ein Satz wie: „Die Renten sind sicher“. Das war damals nicht ganz ernst gemeint, und man hat sich nie darüber verständigt, was er bedeutet.
AN | Na gut, aber wenn man sagt, die Renten sind sicher, dann sind sie sicherer als irgendeine Geldanalage bei Goldman Sachs. Das Absolute kann man an so einer Stelle kaum schaffen, es sei denn, man wählt den Weg, der auch 2005 im Wettbewerb von vielen gedacht worden ist, von der Jury aber verworfen wurde, unter die Erde zu gehen oder auf das angrenzende Gelände. Es gab einen Entwurf, der nicht zugelassen wurde, der wollte das Gebäude auf das Gelände des ehemaligen Reichsluftfahrtministeriums stellen, die Niederkirchnerstraße untertunneln und das Gelände mehr oder minder so belassen, wie es zufälligerweise 2005 war. Das hätte man machen können, aber es ist verworfen worden. Ich finde die Überlegung gut, dass man das Gelände auch wieder von dem historischen Gehweg entlang der Niederkirchnerstraße aus sehen kann, und ich die Fotos, die es von den Gebäuden dort gibt, nicht um 180 Grad gewendet denken muss. Die waren fast alle von der Straße aus aufgenommen und nur einige wenige von der Rückseite. Dass man sie jetzt wieder in der richtigen Perspektive sehen kann, empfinde ich als einen Schritt in diese Richtung. Wenn man aber meint, man sollte mitten in der gestalteten Bundeshauptstadt ein Gelände als offene Wunde oder als verkrustete Narbe belassen, auch auf die Nachkriegsgeschichte in all ihren Facetten hinweisen, und also das visuelle Schwergewicht weniger auf die zwölf Jahre NS-Herrschaft legt, sondern auf den verkommenen Umgang in den fünf Jahrzehnten danach, dann hätte man anders verfahren müssen. Das war aber nicht die Meinung der Historiker. Die Meinung der Historiker war, man sollte ein Sprechzimmer der Geschichte schaffen, ein Gebäude mit Bibliothek und allem, was die Geschichte des NS-Terrors, der von hier ausging, dokumentiert.
DHA | Das ist genau der Konflikt zwischen dem Sichtbaren und den Möglichkeiten des Sichtbaren. Historisch zu argumentieren, mit dem typischen Historikerblick, der blind ist und fragt: Was steht in den Akten? Ich habe selber Geschichte studiert und kenne diese Blindheit, die ist enorm. Für den Historiker ist der Ort relativ gleichgültig. Der Ort bedeutet für den Historiker: Da steht es geschrieben, in diesem oder jenem Archiv, auf der und der Seite.
AN | So argumentieren wir aber nicht!
DHA | Das ist klar, aber der Konflikt ist so gelaufen, weil als Hauptsache eben die Institution herausgekommen ist mit ihrem Haus, und die bestimmt nun das Übrige. Die andere Lösung wäre gewesen – und das muss man sich radikal als eigene Lösung klarmachen: Wir verzichten an diesem Ort auf Didaktik. Es gibt genug Orte in der Stadt, wo über den NS und über den Terror der Gestapo nachgedacht wird, und wir gehen davon aus, dass der Besucher das wahrnimmt oder wahrgenommen hat, bevor er sich diesem Ort aussetzt. Ein Ort, der verwildert ist inmitten der ringsum gestalteten Stadt – was 1983 in der Form noch nicht absehbar war, aber immerhin hat die IBA ja die Ränder bebaut. Dieser Kontrast war auch damals vorhanden. Und das wäre nicht eine Thematisierung der Jahre danach gewesen, sondern durchaus dessen, was davor gewesen war. Die Schutthaufen und all das sprechen ja genau davon. Was muss ich alles tun, um das, was da einmal am Werke war, nicht zu sehen? Und trotzdem kommt es wieder hoch.
AN | Die Schutthaufen hätten dann aber noch ergänzt werden müssen durch die Siebe und Förderanlagen, die es da gegeben hat. Die Schutthaufen für sich genommen haben eine nur geringe Aussage gehabt. Es war ein Schuttabladeplatz der Zeit, und man hätte das Autodrom drum herum weiter führen müssen.
DHA | Das wäre bloß eine komische Inszenierung gewesen, das durfte es nicht sein.
AN | Inszenierung? Es war doch kaum noch ablesbar. Nach dem Beginn des Zumthor-Baus war das Gelände in seiner 1984er- oder 1987er-Situation zerstört. Insofern war das Weiterdenken 2004 unabdingbar. Man hätte die Situation von 1997, begrünt, oder von 1987, etwas weniger begrünt, guterdings nicht wieder herstellen können. Eigentlich hätte zu der 1987er-Situation auch die Kneipe „Land’s End“ gehört und die Situation, dass hier aus Westberliner Sicht der Stadtrand war. Ich glaube, dass die Besucher, die heute in die Stadt kommen, an Berlin die Anforderung stellen, sich seiner Geschichte zu stellen. „Was sagt die Wilhelmstraße?“ hieß das immer so schön in den Depeschen der zwanziger Jahre.
DHA | Das ist aber nicht hier, das ist weiter oben, und da haben wir den Großtafelbau mit all den Verdrängungseffekten.
AN | Wir haben versucht, das zu kommentieren. Ich wundere mich immer, wenn ich die Wilhelmstraße entlanggehe oder
-fahre, wie viele Menschen die Tafeln lesen, die da stehen, obwohl die da schon seit 15 Jahren stehen. Die Leute wollen wissen, wo das war, und stehen dann hilflos vor den Plattenbauten. Da ist ja manchmal nicht mal mehr das Profil der Straße ablesbar. Mit dem Pavillonbau und dem Sichtbarmachen der verbliebenen Spuren, die wir alle, bis auf die Zerstörungen durch das Zumthor-Projekt, erhalten haben, haben wir jetzt eine spannende Situation.
Ich würde noch einmal kurz zum Gebäude zurückkommen. Herr Hoffmann-Axthelm, Sie sagten vorhin, das Gebäude sei rückwärtsgewandt. Man könnte auch sagen, es ist ein sehr zurückhaltendes, pragmatisches Gebäude, das keine spezifische Aussage nach außen formuliert.
DHA | So können Sie es auch beschreiben, aber in dem Augenblick, wo Sie mit den Augen einer gewissen Architekturkenntnis darauf schauen, springt Ihnen doch entgegen, dass das in die sechziger Jahre zurückversetzt ist, von der Thematik her, mit dem Untergeschoss als Sockel und dem darauf gelagerten flachen Mies’schen Kubus, wie mit dem Beton umgegangen ist, das kennen wir doch alles aus der Zeit.
AN | Dazu muss man aber sagen, dass wir in der Wettbewerbsauslobung festgelegt haben, dass wir eine Kulissenarchitektur, wie sie an anderen, an nicht-historischen Orten befindlichen Gedenkeinrichtungen praktiziert wurde, hier nicht wollen.
Die Auslobung forderte: keine Inszenierung, keine Erhebung der Architektur über das Gelände. Nun hat man Neutralität oder Pragmatik, ob rückwärtsgewandt oder nicht, wodurch das Gebäude sich vom Gelände ablöst, wenigstens gedanklich: Es könnte überall stehen.
AN | Ich will es mal so sagen: Wenn man in dem Gebäude ist und durch die Ausstellung geht, wird durch die weitgehende Verglasung der Bezug zum Gelände hergestellt. Das war eine der wichtigen Aufgaben. Als Reinhard Rürup und ich 1997, kurz vor dem Abriss des kleinen Pavillons auf dem Küchenkeller, einen letzten Blick darauf warfen, haben wir gesagt: Eine so gute Architektur werden wir hier wohl nicht mehr sehen, bei der man in dem Gebäude ist und einen Bezug zum Gelände herstellen kann. Beim Zumthor-Bau wäre es undurchsichtiges Industrieglas gewesen, in zwei Schichten mit Hohlraum, da hätte man nur wahrgenommen, ob es draußen hell oder dunkel ist. Der visuelle Bezug zum Gelände wäre vollkommen aufgehoben gewesen. Dann hätte das Gebäude wirklich überall stehen können. Das jetzige Gebäude kann nicht überall stehen. Es ging nicht darum, wie bei der Philharmonie oder dem Jüdischen Museum oder dem Holocaust-Mahnmal, Kulissenarchitektur zu schaffen, ein Denkmal in der Stadtlandschaft, vor dem die Leute stehen und sagen: Donnerwetter, das ist das Dritte Reich gewesen! Ziel war, dass die Leute fragen: Was ist das hier? Und dass sie dann reingehen und die Ausstellung zu sehen bekommen.
DHA | Das heißt natürlich, dass es austauschbar ist. Man hat eine Art zweite Nationalgalerie hier hingestellt. Das ist genau die Typologie.
AN | Das weiß ich nicht...
DHA | Bei der Nationalgalerie blicken sie auf das Kulturforum, hier auf den Rest des Geländes.
AN | Ja, auf das Gelände – eben!
DHA | Es ist eine Fläche, nicht mehr das Gelände. Es ist Blockfläche in einer völlig neuen Gestaltung, die relativ assoziativ ist. Dass die mit Bahnschotter gefüllt ist, ist nicht mal verbunden mit irgendwelchen Ideen von Bahntransport nach Auschwitz, sondern einfach ein Ästhetizismus.
AN | Auch das 1987er-Gelände hatte diese große Freifläche, die verkarstet war, weil jemand zuvor unzulässigerweise Chemikalien ausgeschüttet hatte und der Boden versauert war. Ich will damit nur sagen: Die war ein Betriebsunfall. Sie hatten eine ähnliche Situation mit Ausnahme dessen, dass die beiden Schuttberge standen, die Ausdruck der Verdrängung der Geschichte gewesen sind. Dafür haben sie heute das Robinienwäldchen mit den originalen Pistenschneisen des früheren Autodroms. Wir haben uns Mühe gegeben, die im Jahre 2004 verbliebenen Spuren einzubeziehen. Das ging so weit, dass das Robinienwäldchen nicht zum Wettbewerbsgebiet dazu gehört hat, damit es dem Griff der Planer entzogen blieb.
DHA | Das ist klar, in dem Moment, wo Sie Fläche definieren, haben Sie Gestaltungszwang.
AN | Wir haben es damals ziemlich brutal gemacht. Wir haben einfach eine gedachte Linie durchgezogen und das Wäldchen draußen vor gelassen, wie auch den historischen Gehweg. Der sollte so wie er war, mit den verbliebenen Gehwegplatten und den alten Bordsteinkanten wiederhergerichtet werden. Das fand ich eine wichtige Aufgabe – sozusagen eine Hommage an Sie, Herr Hoffmann-Axthelm. (Beide lachen.)
Könnten Sie sich vorstellen, dass sich in den nächsten dreißig Jahren noch andere Bauten auf dem Gelände ansiedeln?
AN | Dass man noch weitere Baukörper auf dem Gelände errichtet, fände ich falsch, denn es würde die letzten Spuren verschütten. In diesem Zusammenhang möchte ich erwähnen, dass es 1990/1991 eine Überlegung im Bundeskanzleramt in Bonn gab und ein Emissär mit der grandiosen Idee zu mir kam, auf diesem Gelände das neue Bundeskanzleramt zu bauen. Die Idee endete damit, dass er sagte, man könnte im Keller dann auch eine kleine Dokumentation einrichten. Ich habe ihm gesagt, ich fände diese Idee ganz hervorragend, vorausgesetzt, das Bundeskanzleramt würde dann auch die Postadresse Prinz-Albrecht-Straße 8 bekommen. Dann wäre das hinnehmbar. Da ist der Herr Emissär so erschrocken, dass ich von der Idee nie wieder etwas gehört habe.
DHA | Selbstverständlich mit der einstigen Gestapo-Adresse! Dem hätte man auch etwas abgewinnen können.
AN | Ich wollte damit sagen, wie weit die Diskussionen damals gegangen sind. In dem Fall wäre von all dem, was wir hier besprechen, keine Spur übrig geblieben.
Mit der Eröffnung des Neubaus am 6. Mai ist die Debatte abgeschlossen, oder?
AN | Das weiß ich nicht. Ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass es noch weitere gibt. Es fängt an mit dem Küchenkeller, der jetzt nicht zugänglich ist. Wollte man ihn zugänglich machen – barrierefrei –, würde das bedeuten, dass man ihn zerstört. Deswegen habe ich gesagt: Hände weg! Da kommt auch kein Dach drauf, das bleibt so liegen. Aber in Zukunft wird man darüber nachdenken müssen und irgendwas für seine Erhaltung tun. Da wird es schon noch Debatten geben. Aber sicher welche, die punktuell erfolgen werden, und wo man abwägen muss, ob der Eingriff nicht mehr zerstört als kein Eingriff. Das ist auch meine jetzige Position: Ich lasse lieber etwas unter der Erde verschüttet und kennzeichne es oberflächlich, als dass ich daran gehe und die letzten Spuren durch den Aufwand einer Großbaustelle angreife.
DHA | Aus meiner Sicht waren diese ganzen Ausgrabungen sekundär. Ich habe immer nur gelächelt, weil das so ein bisschen was von Reliquienkult hat. Weil sowohl die Aktion des Grabens als auch die zufälligen Mauern einer industriellen Architektur mit einer Bedeutung aufgeladen werden, die in keinem Verhältnis steht zu dem, was an diesem Ort passiert ist.
Die Voraussetzungen haben sich geändert, aus der West-Berliner Randlage ist ein Teil des Zentrums geworden. Heutige Besucher kommen mit anderen Erwartungen, sie kommen auch deswegen so zahlreich, weil sich an diesem Ort unterschiedliche touristische Bedürfnisse auf engem Raum decken lassen: Kultur im Martin-Gropius-Bau, Fototermin vor den Resten der Berliner Mauer, Shopping am Potsdamer Platz. In dieses Umfeld muss das komplexe Thema, die Organisation und Durchführung des nationalsozialistischen Massenmords, eingepasst werden.
„Spricht das Gelände oder spricht die Institution?“, lautete eine Kernfrage der Vergangenheit. Hier sprechen zwei Vertreter dieser Positionen miteinander. Das Gespräch mit Andreas Nachama und Dieter Hoffmann-Axthelm fand am 18. März 2010 in den Räumen des neuen Dokumentationszentrums statt.
Herr Nachama, wer hat sich eigentlich den Namen Topographie des Terrors einfallen lassen?
Andreas Nachama | Das lässt sich genau rekonstruieren: Anfang 1987 erschien eine Monographie von Reinold Schattenfroh und Johannes Tuchel. Der Titel: „Zentrale des Terrors. Prinz-Albrecht-Straße 8. Das Hauptquartier der Gestapo“. Die 750-Jahr-Feier Berlins fiel ins gleiche Jahr, und es war ge-
plant, neben dem im Gropiusbau unter der Leitung von Reinhard Rürup und Gottfried Korff gezeigten Kaleidoskop zur Geschichte der Stadt auf dem Prinz-Albrecht-Gelände, wie es damals noch genannt wurde, eine Dokumentation einzurichten, und für die brauchte es einen Namen. Frank Dingel, der viel zu früh verstorbene erste Kurator der Ausstellung, hat dafür „Topographie des Terrors“ vorgeschlagen. „Zentrale des Terrors“ konnte man wegen des Copyrights des Buches nicht nehmen.
In der Bauwelt sprach sich Ulrich Conrads 1984 dafür aus, es besser SS-Gelände zu nennen.
AN | Die damalige Debatte lief unter dem Namen „PAP“ – Prinz-Albrecht-Palais.
Dieter Hoffmann-Axthelm | Nein, das ist einseitig. Es war vor allem eine Folge davon, dass das Prinz-Albrecht-Palais durch die IBA in den Vordergrund gerückt wurde. Deren Leiter, Josef Paul Kleihues, träumte davon, das Prinz-Albrecht-Palais durch Giorgio Grassi wieder aufbauen zu lassen. Das war der zweite Preis im Wettbewerb von 1983. Sonst war niemand daran interessiert, es Prinz-Albrecht-Gelände zu nennen. Es war das Gestapo-Gelände, das war in meinen Kreisen der Ausdruck. Die Bezeichnung „Prinz-Abrecht-Gelände“ ist dann von der CDU und Diepgen benutzt worden, um das Ganze weiter zu befördern. Der Wettbewerb 1983 lief noch unter einem ganz anderen Thema. Ich bin der Erste gewesen, der auf dem Gelände gestanden und gesagt hat: „Machen wir was“ – und der auch was gemacht hat. Da war vom Reichssicherheitshauptamt und von der Gestapo die Rede, auch dann noch, als Ulrich Eckardt (Anm.: Leiter der Berliner Festspiele GmbH) das Gelände entdeckt hat und dort die erste offizielle, senatsfinanzierte Veranstaltung gemacht hat.
AN | Die erste Ausstellung im wiederhergerichteten ehemaligen Kunstgewerbemuseum, das dann Martin-Gropius-Bau genannt wurde, war die Preußen-Ausstellung von 1981. Der vorletzte Raum der Ausstellung beschäftigte sich mit dem Thema Preußentum und Nationalsozialismus. Vor dem unverhüllten Fenster befand sich ein Podest, von dem man nach draußen blicken konnte. Auf dem Gelände stand eine Tafel, auf der die Standorte der wichtigsten Gebäude markiert waren, die Kunstgewerbeschule als Gestapo-Zentrale usw. Ich war damals einer der Kuratoren der Ausstellung, und das war aus meiner Sicht die erste offizielle Präsentation zu dem Gelände, die mit öffentlichen Geldern gemacht wurde.
DHA | Es gab auch eine Freiraumveranstaltung. Die Berliner Symphoniker haben die 9. Symphonie gespielt.
AN | Die Berliner Festspiele waren nicht die ersten. Das behauptet auch keiner. Aber sie haben die Initiativen aufgegriffen.
DHA | Es geht auch eher um die konzeptionellen Dinge, über die wir uns heute unterhalten müssen, darüber, warum das eine Konzept vollkommen untergegangen ist und das andere 100-prozentig realisiert wurde.
AN | Ich will die damalige Debatte so fassen: Prinz-Albrecht-Gelände versus historisches Erinnern. Das waren die beiden Positionen, die es gegeben hat. Auf der Seite der historischen Erinnerung stand Hardt-Waltherr Hämer mit der Altbau-IBA, auf der anderen Seite standen diejenigen, die, mit welchem Wettbewerbsentwurf auch immer, das Prinz-Albrecht-Palais wieder in den Vordergrund zu rücken versuchten.
DHA | Das sehe ich ein bisschen anders. In der Wettbewerbsjury 1983 gab es offene und heftige Diskussionen, drei Tage lang. Die Kampflinie war noch gar nicht, wie im Jahrzehnt darauf, Institution gegen freies historisches Erinnern, es ging vielmehr um die Frage: Ist das Gelände selbst ein Denkmal, oder ist es eine Fläche, auf die ein Denkmal gesetzt werden muss? Damals gab es schon die Idee von einem Holocaust-Mahnmal.
AN | Das kam erst 1988.
DHA | Nein, das war schon bei diesem ersten Wettbewerb eine der Möglichkeiten, zum Beispiel hatte Rebecca Horn ein Denkmal entworfen. Die Neubau-IBA war der Hebel, um die Idee endgültig abzuschmettern, die Kochstraße über das Gelände hinweg zu verlängern. Das war das Positive an der ganzen Geschichte. Aus dieser Kontroverse ist die Idee immer weiter gewachsen, ein Mahnmal zu errichten, das nur ein Mahnmal und ortsungebunden ist. Wenn man Frau Rosh gelassen hätte, läge es heute nicht an der Behrenstraße, sondern hier.
AN | Das war einer der Anläufe, die sie unternommen hat. Danach bekam das eine ganz andere Dynamik, weil sie eine Mannschaft gefunden hatte, die dahinter stand.
DHA | Vorher war es nur ein Vorschlag neben 300 anderen.
Mit der Frage nach der Herkunft des Namens wollte ich eigentlich wissen: Ist der Name überhaupt noch passend? Der Begriff Terror wird heute in ganz anderen Zusammenhängen gebraucht.
AN | Als ich kurz nach dem Anschlag auf das World Trade Center nach Amerika flog und mich bei der Einreise der Beamte nach meinem Beruf fragte, antwortete ich: „Ich bin Direktor der Topographie des Terrors“ (lacht) ... Gott sei Dank hatte ich einen englischsprachigen Katalog im Handgepäck, und die Situation entspannte sich nach drei, vier Minuten. Es zeigt sich aber daran, dass der Titel auch missverständlich sein kann. Es wurde auch einmal diskutiert, ihn zu ändern in „Topographie des NS-Terrors“. Ich glaube aber, er ist ein Markenzeichen, und die Leute verstehen auch, dass hier sozusagen das Zentrum des Bösen im sogenannten „Dritten Reich“ war. Deswegen kommen sie auch her, was die Befragungen der Besucher belegen. Die Touristen, besonders die ausländischen, wollen wissen, wo das war und wie das funktioniert hat.
DHA | Der Begriff Terror hat für mich viel verschüttet, er ist zu allgemein. Es war auch 1983 schon nicht damit getan, es einfach „das Böse“ zu nennen. Das überlagerte die verschiedenen Motivationen und die Intelligenz, die damals in die Gestapo reingegangen ist, was an Ambivalenzen darin steckt, einen solchen Terrorapparat zu errichten, und was das für einen Schatten wirft auf ganz andere Bereiche, die man mit diesem Begriff gar nicht fassen kann. Warum sind so viele Leute damals einfach in den Dienst dieser Organisation gegangen und haben sich da unter dem Gesichtspunkt Selbstverwirklichung qualifiziert? Das reicht weit in gesellschaftliche Bereiche hinein. Deswegen ist für mich schon damals der Begriff „Topographie des Terrors“ ein Unbegriff gewesen. Und jetzt ist auch noch die reale Topographie weg! Im Augenblick ist kaum noch nachvollziehbar, was an Geschichte und was an Nach-
geschichte hier auf dem Gelände gelaufen ist. Das ist das Ergebnis von dreißig Jahren Diskussion. Oder eher wohl von dreißig Jahren Nicht-Diskussion.
AN | Das ist eher ein Ort der Täter als ein Ort der Opfer, auch wenn hier ein Gefängnis war. Es bestand die merkwürdige Konstellation, dass die, die hier in der Zeit von 1933 bis 1945 gearbeitet haben, junge Leute waren, im Mittel zwischen 30 und 40 Jahre alt, gebildet ...
DHA | ...und ehrgeizig...
AN | ...promovierte Juristen und andere. Das waren Leute, die wussten, was sie taten. Von denen kann man nicht sagen, sie seien irgendwie hineingeraten. Nein, die haben sich in diese Terrormaschinerie eingearbeitet. Wenn man sich ansieht, wie oft die Gestapo auf den Titelblättern des „Völkischen Beobachters“ gewesen ist, wird deutlich, wie mit der Einschüchterung gearbeitet wurde. Es war zwar eine Geheime Staatspolizei, aber sie lag im Zentrum Berlins. Sie hätten von den räumlichen Arbeitsmöglichkeiten ja besser irgendeine Kaserne am Stadtrand nehmen können. Aber sie war hier an der Wilhelmstraße, ganz bewusst im Zentrum der Macht, neben dem Außenamt, der Reichskanzlei, den Ministerien und SS-Agenturen errichtet, um damit Politik zu machen, im Sinne von Einschüchtern der Öffentlichkeit. Eigentlich ist der Name Geheime Staatspolizei ein Witz, eigentlich war es ein „Öffentliches Staatspolizeiamt“.
DHA | Ich denke, dass das eigentlich Erschütternde ist, dass die Leute nicht mit dem Ziel in die Gestapo eintraten, Osteuropa aufzurollen oder die Juden zu vernichten, sondern um Karriere zu machen, und dass sie die ihnen aufgetragenen Tätigkeiten übernommen haben, um mal so richtig loslegen zu können, ohne irgendwelche bürokratischen Hemmnisse. Das ist für mich das eigentlich Unheimliche, das mit dem Wort Terror nicht ausreichend zu greifen ist.
Aber was ist seitdem mit dem Ort gemacht worden? Da hat sich einiges dreimal um sich selbst gedreht – und das hat auch mit Architektur zu tun, also mit ganz unterschiedlichen Vorstellungen: Was hat die Architektur eigentlich hier zu suchen? Wie kann überhaupt eine Zusammenfassung der Ergebnisse aussehen? Ein weiterer Punkt, der für mich damals der eigentliche Streitpunkt war und bei dem ich schon ganz früh auf der Verliererseite stand: Ich habe von Anfang an dafür plädiert, dass das Gelände spricht, und Sie, Herr Nachama, stehen für die Lösung Institution. Das steht sich – wie man jetzt sieht – auf der ganzen Linie im Wege. Während wir auf halber Strecke, also mit dem Entwurf von Peter Zumthor, die Illusion hatten, oder vielleicht auch die Chance – das ist von heute aus nicht mehr ganz einfach zu beurteilen –, einen Mittelweg zu finden. Etwas, das das Gelände sprechen lässt und auf der anderen Seite die Institution beherbergt.
AN | Es wäre schön, wenn Sie recht hätten in dem Sinne, dass Zumthor nicht – seinen eigenen Plan eigentlich verratend – aufgegeben hätte. Den Schuttberg am Gebäude hat er aufgegeben, weil er sich statisch nicht einbinden ließ, der hätte ihm eher das Gebäude umgeworfen. In der ersten Fassung hatte er den Notausgang im Treppenturm über den Schuttberg geführt. Dann war der Schuttberg weg, nachdem der Statiker gesagt hatte, dass das Gebäude augenblicklich zusammenbricht, wenn der Schuttberg nur einmal nass wird. Dann hat Zumthor nach New Yorker Vorbild eine Feuerleiter hinuntergeführt, weil er auf einmal in der anderthalbten Etage den Notausgang gehabt hätte. Er hat letztlich die Dinge zwar philosophisch, aber doch nicht architektonisch gelöst. Philosophisch war es ein interessanter Entwurf, der hätte die Nachkriegsschuttberge erhalten können. Aber als es zur Realisierung kam, war es damit vorbei.
DHA | Das betraf ja nicht das ganze Gelände.
AN | Doch.
DHA | Es hätten nicht alle Schuttberge weggemusst.
AN | Doch, die waren doch weg. Er hatte sie doch alle umgelagert, zur Seite geschoben.
DHA | Das wäre mir egal, weil die Schuttberge an sich kein historisches Monument sind, sondern Schrott aus Kreuzberger Häusern, die abgerissen worden sind, und der Ort, an dem das gelagert wird, hat keinen Heiligkeitscharakter. Das gehört zu den Zufälligkeiten des Geländes. Interessant an der Geschichte war einmal die Metaphorik: Es ist der Abriss der Stadt des 19. Jahrhunderts und hat auch etwas mit dem Schuldbewusstsein zu tun, hat etwas, im psychoanalytischen Sinn, von Verschiebung an sich, insofern gab es auch noch einen un-
terirdischen Zusammenhang. Das ist auch im Wettbewerb von 1983 von vielen Teilnehmern reflektiert worden, zum Beispiel von Andreas Reidemeister. Was den Zumthor-Entwurf angeht, sehe ich das Hauptproblem einerseits in der Eitelkeit des Architekten, der nicht fähig war, sein Gebäude rechtzeitig so umzustrukturieren und zu vereinfachen, dass es baubar war, und andererseits in der Entschlusslosigkeit der Politik, die nicht sah, dass sie da energischer zupacken muss und keine Zeit verlieren darf. Dann kam es in die Mühlen der Po-litik, als nach dem Sturz von Stadtentwicklungssenator Strieder dessen Nachfolgerin nicht begriff, worum es geht und nur gesagt hat, hier brennt ein Feuer, das muss man löschen. Schluss.
Ich möchte einen Begriff aus einer anderen Debatte einbringen: das „sichtbare Zeichen“, das von der „Stiftung Flucht Vertreibung Versöhnung“ eingefordert wurde. Haben wir hier auf dem Gelände der „Topographie des Terrors“ so etwas wie ein sichtbares Zeichen?
AN | Das andere Zeichen wird ja im Deutschlandhaus neben-an, einem historischen Gebäude aus den zwanziger Jahren – versteckt, wenn man so will. Es ist wohl eher ein betretbares Zeichen, es bekommt keine eigene Architektur, keinen eigenen Ausdruck, sondern wird in ein bestehendes Gebäude ein-gefügt.
DHA | Was aber thematisch gut dazu passt.
AN | Das ist nicht so sehr die Frage, sondern wenn man über einen Begriff spricht – Topographie des Terrors oder sichtbares Zeichen –, muss man erst mal fragen: Was habe ich da? Beim Deutschlandhaus handelt es sich um ein Zeichen, das für den, der das Gebäude betritt, sichtbar ist. Architektur, die die Stadt prägt, ist es nicht. Ob bei der Topographie die architektonischen und sonstigen Geländespuren in der neuen Konstellation besser ablesbar sein werden als zuvor, das wird man sehen, wenn alles fertig ist. Ich glaube, dass sowohl die Gebäudereste entlang der Niederkirchnerstraße als auch die Spuren des Autodroms – Kassenhäuschenfundamente und andere Dinge – besser ablesbar werden, weil sie nicht mehr in einem Morast von nicht wahrnehmbaren unaufgeräumten Spuren der Gegenwart versinken, sondern weil sie sichtbar gemacht werden durch ein geordnetes Umfeld. Man sieht, was gestaltet ist, und man sieht, wo die Spuren sind. Ich hoffe, dass es nachvollziehbar sein wird, sobald die Bauarbeiten abgeschlossen sind.
DHA | Aber man sieht doch schon jetzt, wo es hingeht. Wer projektiv denken kann, sieht die glatte Fläche. Und das ist nah dran an dem Siegerentwurf von 1983, insofern, als sich von der glatten Fläche bestimmte Dinge signifikant abheben sollen. Das war für mich damals schon interessant, wie stark die Architekten auf diesen Entwurf abgefahren sind, weil er wirklich ein Versiegelungsentwurf ist. Ein Entwurf, der eine Ebene schafft, auf die man etwas daraufstellen oder von ihr abheben kann. Und eben das hat sich nach den ganzen schwierigen Prozessen wiederhergestellt; mit dem großen Unterschied, dass wir jetzt noch ein Gebäude dazubekommen haben, das als Heim der Institution dient und sich im Grunde an diese Strategie anpasst. Ein Gebäude, das enorm historistisch ist, ich empfinde es auch beim Hereinkommen so: Akademie der Künste, fünfziger Jahre, mit Mies und Eiermann im Kopf. Enorm rückwärtsgewandt, gerade nach außen durch die Vorhangfassade und die Tarnung. Das passt gut zum Verschließen des Geländes.
AN | Ich würde das anders interpretieren, und so war es auch im Wettbewerb formuliert: Wir sind in einem Gebäude, von dem in der Ausstellungsetage, mit Ausnahme des Sonderausstellungsraums, von mehr oder minder jedem Punkt aus das Gelände, über das wir hier verhandeln, und die Stadtlandschaft, die es umgibt, sichtbar bleiben. Sonst hätte man auch eine Black Box irgendwo errichten können, in irgendeinem bestehenden Industriegebäude am Rande oder in der Mitte der Stadt, und die Ausstellung dort zeigen können. Das kann man auch machen, sie andernorts zeigen. Aber dann verliert man den räumlichen Bezug. Den stellt dieser schwebende Pavillon her.
DHA | Ich denke, die Aussage: „Das Gelände ist das erste Ausstellungsobjekt“ ist so ein Satz wie: „Die Renten sind sicher“. Das war damals nicht ganz ernst gemeint, und man hat sich nie darüber verständigt, was er bedeutet.
AN | Na gut, aber wenn man sagt, die Renten sind sicher, dann sind sie sicherer als irgendeine Geldanalage bei Goldman Sachs. Das Absolute kann man an so einer Stelle kaum schaffen, es sei denn, man wählt den Weg, der auch 2005 im Wettbewerb von vielen gedacht worden ist, von der Jury aber verworfen wurde, unter die Erde zu gehen oder auf das angrenzende Gelände. Es gab einen Entwurf, der nicht zugelassen wurde, der wollte das Gebäude auf das Gelände des ehemaligen Reichsluftfahrtministeriums stellen, die Niederkirchnerstraße untertunneln und das Gelände mehr oder minder so belassen, wie es zufälligerweise 2005 war. Das hätte man machen können, aber es ist verworfen worden. Ich finde die Überlegung gut, dass man das Gelände auch wieder von dem historischen Gehweg entlang der Niederkirchnerstraße aus sehen kann, und ich die Fotos, die es von den Gebäuden dort gibt, nicht um 180 Grad gewendet denken muss. Die waren fast alle von der Straße aus aufgenommen und nur einige wenige von der Rückseite. Dass man sie jetzt wieder in der richtigen Perspektive sehen kann, empfinde ich als einen Schritt in diese Richtung. Wenn man aber meint, man sollte mitten in der gestalteten Bundeshauptstadt ein Gelände als offene Wunde oder als verkrustete Narbe belassen, auch auf die Nachkriegsgeschichte in all ihren Facetten hinweisen, und also das visuelle Schwergewicht weniger auf die zwölf Jahre NS-Herrschaft legt, sondern auf den verkommenen Umgang in den fünf Jahrzehnten danach, dann hätte man anders verfahren müssen. Das war aber nicht die Meinung der Historiker. Die Meinung der Historiker war, man sollte ein Sprechzimmer der Geschichte schaffen, ein Gebäude mit Bibliothek und allem, was die Geschichte des NS-Terrors, der von hier ausging, dokumentiert.
DHA | Das ist genau der Konflikt zwischen dem Sichtbaren und den Möglichkeiten des Sichtbaren. Historisch zu argumentieren, mit dem typischen Historikerblick, der blind ist und fragt: Was steht in den Akten? Ich habe selber Geschichte studiert und kenne diese Blindheit, die ist enorm. Für den Historiker ist der Ort relativ gleichgültig. Der Ort bedeutet für den Historiker: Da steht es geschrieben, in diesem oder jenem Archiv, auf der und der Seite.
AN | So argumentieren wir aber nicht!
DHA | Das ist klar, aber der Konflikt ist so gelaufen, weil als Hauptsache eben die Institution herausgekommen ist mit ihrem Haus, und die bestimmt nun das Übrige. Die andere Lösung wäre gewesen – und das muss man sich radikal als eigene Lösung klarmachen: Wir verzichten an diesem Ort auf Didaktik. Es gibt genug Orte in der Stadt, wo über den NS und über den Terror der Gestapo nachgedacht wird, und wir gehen davon aus, dass der Besucher das wahrnimmt oder wahrgenommen hat, bevor er sich diesem Ort aussetzt. Ein Ort, der verwildert ist inmitten der ringsum gestalteten Stadt – was 1983 in der Form noch nicht absehbar war, aber immerhin hat die IBA ja die Ränder bebaut. Dieser Kontrast war auch damals vorhanden. Und das wäre nicht eine Thematisierung der Jahre danach gewesen, sondern durchaus dessen, was davor gewesen war. Die Schutthaufen und all das sprechen ja genau davon. Was muss ich alles tun, um das, was da einmal am Werke war, nicht zu sehen? Und trotzdem kommt es wieder hoch.
AN | Die Schutthaufen hätten dann aber noch ergänzt werden müssen durch die Siebe und Förderanlagen, die es da gegeben hat. Die Schutthaufen für sich genommen haben eine nur geringe Aussage gehabt. Es war ein Schuttabladeplatz der Zeit, und man hätte das Autodrom drum herum weiter führen müssen.
DHA | Das wäre bloß eine komische Inszenierung gewesen, das durfte es nicht sein.
AN | Inszenierung? Es war doch kaum noch ablesbar. Nach dem Beginn des Zumthor-Baus war das Gelände in seiner 1984er- oder 1987er-Situation zerstört. Insofern war das Weiterdenken 2004 unabdingbar. Man hätte die Situation von 1997, begrünt, oder von 1987, etwas weniger begrünt, guterdings nicht wieder herstellen können. Eigentlich hätte zu der 1987er-Situation auch die Kneipe „Land’s End“ gehört und die Situation, dass hier aus Westberliner Sicht der Stadtrand war. Ich glaube, dass die Besucher, die heute in die Stadt kommen, an Berlin die Anforderung stellen, sich seiner Geschichte zu stellen. „Was sagt die Wilhelmstraße?“ hieß das immer so schön in den Depeschen der zwanziger Jahre.
DHA | Das ist aber nicht hier, das ist weiter oben, und da haben wir den Großtafelbau mit all den Verdrängungseffekten.
AN | Wir haben versucht, das zu kommentieren. Ich wundere mich immer, wenn ich die Wilhelmstraße entlanggehe oder
-fahre, wie viele Menschen die Tafeln lesen, die da stehen, obwohl die da schon seit 15 Jahren stehen. Die Leute wollen wissen, wo das war, und stehen dann hilflos vor den Plattenbauten. Da ist ja manchmal nicht mal mehr das Profil der Straße ablesbar. Mit dem Pavillonbau und dem Sichtbarmachen der verbliebenen Spuren, die wir alle, bis auf die Zerstörungen durch das Zumthor-Projekt, erhalten haben, haben wir jetzt eine spannende Situation.
Ich würde noch einmal kurz zum Gebäude zurückkommen. Herr Hoffmann-Axthelm, Sie sagten vorhin, das Gebäude sei rückwärtsgewandt. Man könnte auch sagen, es ist ein sehr zurückhaltendes, pragmatisches Gebäude, das keine spezifische Aussage nach außen formuliert.
DHA | So können Sie es auch beschreiben, aber in dem Augenblick, wo Sie mit den Augen einer gewissen Architekturkenntnis darauf schauen, springt Ihnen doch entgegen, dass das in die sechziger Jahre zurückversetzt ist, von der Thematik her, mit dem Untergeschoss als Sockel und dem darauf gelagerten flachen Mies’schen Kubus, wie mit dem Beton umgegangen ist, das kennen wir doch alles aus der Zeit.
AN | Dazu muss man aber sagen, dass wir in der Wettbewerbsauslobung festgelegt haben, dass wir eine Kulissenarchitektur, wie sie an anderen, an nicht-historischen Orten befindlichen Gedenkeinrichtungen praktiziert wurde, hier nicht wollen.
Die Auslobung forderte: keine Inszenierung, keine Erhebung der Architektur über das Gelände. Nun hat man Neutralität oder Pragmatik, ob rückwärtsgewandt oder nicht, wodurch das Gebäude sich vom Gelände ablöst, wenigstens gedanklich: Es könnte überall stehen.
AN | Ich will es mal so sagen: Wenn man in dem Gebäude ist und durch die Ausstellung geht, wird durch die weitgehende Verglasung der Bezug zum Gelände hergestellt. Das war eine der wichtigen Aufgaben. Als Reinhard Rürup und ich 1997, kurz vor dem Abriss des kleinen Pavillons auf dem Küchenkeller, einen letzten Blick darauf warfen, haben wir gesagt: Eine so gute Architektur werden wir hier wohl nicht mehr sehen, bei der man in dem Gebäude ist und einen Bezug zum Gelände herstellen kann. Beim Zumthor-Bau wäre es undurchsichtiges Industrieglas gewesen, in zwei Schichten mit Hohlraum, da hätte man nur wahrgenommen, ob es draußen hell oder dunkel ist. Der visuelle Bezug zum Gelände wäre vollkommen aufgehoben gewesen. Dann hätte das Gebäude wirklich überall stehen können. Das jetzige Gebäude kann nicht überall stehen. Es ging nicht darum, wie bei der Philharmonie oder dem Jüdischen Museum oder dem Holocaust-Mahnmal, Kulissenarchitektur zu schaffen, ein Denkmal in der Stadtlandschaft, vor dem die Leute stehen und sagen: Donnerwetter, das ist das Dritte Reich gewesen! Ziel war, dass die Leute fragen: Was ist das hier? Und dass sie dann reingehen und die Ausstellung zu sehen bekommen.
DHA | Das heißt natürlich, dass es austauschbar ist. Man hat eine Art zweite Nationalgalerie hier hingestellt. Das ist genau die Typologie.
AN | Das weiß ich nicht...
DHA | Bei der Nationalgalerie blicken sie auf das Kulturforum, hier auf den Rest des Geländes.
AN | Ja, auf das Gelände – eben!
DHA | Es ist eine Fläche, nicht mehr das Gelände. Es ist Blockfläche in einer völlig neuen Gestaltung, die relativ assoziativ ist. Dass die mit Bahnschotter gefüllt ist, ist nicht mal verbunden mit irgendwelchen Ideen von Bahntransport nach Auschwitz, sondern einfach ein Ästhetizismus.
AN | Auch das 1987er-Gelände hatte diese große Freifläche, die verkarstet war, weil jemand zuvor unzulässigerweise Chemikalien ausgeschüttet hatte und der Boden versauert war. Ich will damit nur sagen: Die war ein Betriebsunfall. Sie hatten eine ähnliche Situation mit Ausnahme dessen, dass die beiden Schuttberge standen, die Ausdruck der Verdrängung der Geschichte gewesen sind. Dafür haben sie heute das Robinienwäldchen mit den originalen Pistenschneisen des früheren Autodroms. Wir haben uns Mühe gegeben, die im Jahre 2004 verbliebenen Spuren einzubeziehen. Das ging so weit, dass das Robinienwäldchen nicht zum Wettbewerbsgebiet dazu gehört hat, damit es dem Griff der Planer entzogen blieb.
DHA | Das ist klar, in dem Moment, wo Sie Fläche definieren, haben Sie Gestaltungszwang.
AN | Wir haben es damals ziemlich brutal gemacht. Wir haben einfach eine gedachte Linie durchgezogen und das Wäldchen draußen vor gelassen, wie auch den historischen Gehweg. Der sollte so wie er war, mit den verbliebenen Gehwegplatten und den alten Bordsteinkanten wiederhergerichtet werden. Das fand ich eine wichtige Aufgabe – sozusagen eine Hommage an Sie, Herr Hoffmann-Axthelm. (Beide lachen.)
Könnten Sie sich vorstellen, dass sich in den nächsten dreißig Jahren noch andere Bauten auf dem Gelände ansiedeln?
AN | Dass man noch weitere Baukörper auf dem Gelände errichtet, fände ich falsch, denn es würde die letzten Spuren verschütten. In diesem Zusammenhang möchte ich erwähnen, dass es 1990/1991 eine Überlegung im Bundeskanzleramt in Bonn gab und ein Emissär mit der grandiosen Idee zu mir kam, auf diesem Gelände das neue Bundeskanzleramt zu bauen. Die Idee endete damit, dass er sagte, man könnte im Keller dann auch eine kleine Dokumentation einrichten. Ich habe ihm gesagt, ich fände diese Idee ganz hervorragend, vorausgesetzt, das Bundeskanzleramt würde dann auch die Postadresse Prinz-Albrecht-Straße 8 bekommen. Dann wäre das hinnehmbar. Da ist der Herr Emissär so erschrocken, dass ich von der Idee nie wieder etwas gehört habe.
DHA | Selbstverständlich mit der einstigen Gestapo-Adresse! Dem hätte man auch etwas abgewinnen können.
AN | Ich wollte damit sagen, wie weit die Diskussionen damals gegangen sind. In dem Fall wäre von all dem, was wir hier besprechen, keine Spur übrig geblieben.
Mit der Eröffnung des Neubaus am 6. Mai ist die Debatte abgeschlossen, oder?
AN | Das weiß ich nicht. Ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass es noch weitere gibt. Es fängt an mit dem Küchenkeller, der jetzt nicht zugänglich ist. Wollte man ihn zugänglich machen – barrierefrei –, würde das bedeuten, dass man ihn zerstört. Deswegen habe ich gesagt: Hände weg! Da kommt auch kein Dach drauf, das bleibt so liegen. Aber in Zukunft wird man darüber nachdenken müssen und irgendwas für seine Erhaltung tun. Da wird es schon noch Debatten geben. Aber sicher welche, die punktuell erfolgen werden, und wo man abwägen muss, ob der Eingriff nicht mehr zerstört als kein Eingriff. Das ist auch meine jetzige Position: Ich lasse lieber etwas unter der Erde verschüttet und kennzeichne es oberflächlich, als dass ich daran gehe und die letzten Spuren durch den Aufwand einer Großbaustelle angreife.
DHA | Aus meiner Sicht waren diese ganzen Ausgrabungen sekundär. Ich habe immer nur gelächelt, weil das so ein bisschen was von Reliquienkult hat. Weil sowohl die Aktion des Grabens als auch die zufälligen Mauern einer industriellen Architektur mit einer Bedeutung aufgeladen werden, die in keinem Verhältnis steht zu dem, was an diesem Ort passiert ist.
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