Die Begegnung
Text: Redecke, Sebastian, Berlin
Die Begegnung
Text: Redecke, Sebastian, Berlin
Pier Luigi Nervi und seine Baufirma verfügten über ein großes Netz von Freunden und Geschäftspartnern. Dreißig Jahre nach seinem Tod hat ein anderes weitverzweigtes Netz – Familienmitglieder, Forscher und Institutionen – eine Wanderausstellung zusammengestellt, die sich zwölf seiner Werke mit bisher unbekannten Fotos und mit neu angefertigten Modellen widmet. Ein persönliches Treffen mit Elisabetta Margiotta Nervi.
Die große Freude an dem Projekt ist Elisabetta Margiotta Nervi bei unserem Gespräch im Dezember letzten Jahres sofort anzumerken. Zusammen mit ihrem Mann Marco Nervi ist es ihr gelungen, Partner für eine Ausstellung zum Werk von Pier Luigi Nervi zu gewinnen. Marco Nervi, ein Enkel des 1979 verstorbenen Architekten, ist Präsident der Association Pier Luigi Nervi Research and Knowledge Management Project.
Am 3. Juni ist die Eröffnung in der Fondation pour l’Ar chitecture (CIVA) in Brüssel geplant. Ab Ende August wirddie Ausstellung im Palazzo Giustinian Lolin der Fondazione Levi in Venedig – zeitgleich mit der Architekturbiennale – zu sehen ein. Eine weitere Station ist das neue Museum für zeitgenössische Kunst MAXXI von Zaha Hadid in Rom. Anlass ist hier der 50. Jahrestag der Olympischen Spiele in der italienischen Hauptstadt, für die Pier Luigi Nervi die markantesten Sportbauten errichtet hatte. 2011 wird die Ausstellung weiter nach Paris, Turin, London wandern, später auch in die USA. Die wissenschaftliche Betreuung lag in den Händen des Turiner Bauhistorikers Carlo Olmo. Mitgewirkt haben u.a. Joseph Abram aus Nancy, Barry Bergdoll vom New Yorker MOMA und der Tragwerksplaner Mario Alberto Chiorino aus Turin. Elisabetta arbeitet in Brüssel und ist von ihrem Wohnhaus, das sich wie die Fondation in der Rue de l’Ermitage befindet, ins belgische Architekturzentrum rübergekommen. Im Foyer breitet sie zahlreiche historische Fotos vor mir aus. Ein Schwerpunkt der Ausstellung sind diese Fotos aus dem Archiv des Instituts für Modellstudien und Baukonstruktion I.S.M.E.S. in Bergamo. Zu sehen sind „Modelli di rottura“, Messmodelle, die bei der Prüfung von Belastungen aller Art zerstört wurden. Sie waren zum Teil, wie es das Pirelli-Hochhaus in Mailand eindrucksvoll zeigt, bis zu neun Meter hoch. In der Ausstellung werden zwölf Bauten vorgestellt, einige von ihnen mit neuen Modellen, die unter Zuhilfenahme des Stereolithographie-Verfahrens entwickelt wurden (Seite 30). Die Rechengrundlage für die Modelle lieferten Francesco Romeo und seine Studenten von der Universität Rom mit dem Forschungsvorhaben „Nervi virtual Lab“ (Seite 28).
Nachdem mir Elisabetta das Ausstellungsprojekt erläutert hat, stelle ich ein paar Fragen zur Person Pier Luigi Nervi. Elisabettas übersprudelnde Begeisterung ebbt nun etwas ab. Sie wird leiser, nachdenklicher, und mit Blick auf die Erinnerungen der Söhne und Enkel beginnt sich das Bild des weltweit renommierten Konstrukteurs zu verdüstern. Nervi war der „Padrone“, erzählt sie. Die Familie soll es nicht leicht mit ihm gehabt haben. Mit strenger Hand führte er Regie und verschwendete keine Zeit für andere Dinge. Er habe beharrlich alles selbst in die Hand nehmen wollen und von anderen höchste Arbeitsleistung verlangt. Seine aus Padua stammende Frau Irene Calosi soll er hingegen immer „vergöttert“ haben.
Von den vier Söhnen haben drei ein Ingenieur- bzw. Architekturstudium absolviert und waren in der Firma des Vaters tätig. Elisabettas Worte lassen den Eindruck entstehen, als ob sie keine andere Wahl gehabt hätten. Alle drei sollen vom Vater geschickt im verzweigten „System Nervi“ eingesetzt gewesen sein. Antonio war im Büro an den Projekten beteiligt, Mario für die Baustellenleitung verantwortlich, und Vittorio arbeitete in der Baufirma und in der Verwaltung von Immobilien. Nur Sohn Carlo löste sich vom Vater und wurde Arzt. Das Verhältnis zu den anderen drei Söhnen war wohl öfters angespannt, wenn sie ihm nicht folgen wollten. Nervi war auch erbost, als die Söhne übereinkamen, im Planungsbüro des Vaters für ihre eigenen Zwecke eine für die Zeit übliche Palazzina – in der Via Cortina d’Ampezzo in Rom – zu entwerfen und zu bauen, in der Familienmitglieder zum Teil noch heute wohnen. Der Vater verstand nicht, wie man sich der Planung eines solchen Standardwohnhauses überhaupt hingeben kann.
„Kontakte wie im 17. Jahrhundert“
Pier Luigi Nervi zeigte sich von Anfang an auch geschäftlich versiert; schon in den zwanziger Jahren war sein Planungsbüro zugleich eine Baufirma. Er verfügte über beste Kontakte, arbeitete mit dem großen Betonunternehmen Italcimenti zusammen und meldete Dutzende von Patenten an. Ungeachtet der Bedeutung seiner „Kontakte wie im Rom des 17. Jahrhunderts“ legte er bei mangelnder Leistung eine konsequente Haltung an den Tag. So auch bei dem ihm vermittelten Schwager des Politikers Alcide De Gaspari, mit dem er als Büromitarbeiter unzufrieden war. Und so setzte er ihn gleich wieder vor die Tür. Später soll seine Unzufriedenheit mit der Politik dazu geführt haben, dass er mehr und mehr in Amerika tätig wurde. Bei Bauaufträgen in den USA spielten wichtige Personen italienischer Herkunft eine Rolle.
Was an der kurzen Beschreibung zur Person Pier Luigi Nervi alles stimmt, vielleicht auch überzogen oder gar einseitig dargestellt ist, muss hier offen bleiben. Aber das Gesamtbild einer immer fordernden, charismatischen Persönlichkeit von ungeheurer Autorität und Durchsetzungskraft trifft sicherlich zu. Nach seinem Tod war es nicht möglich, den straff organisierten, allein auf Nervi fixierten „Apparat“ fortzuführen. Sein Sohn Antonio musste nach wenigen Monaten aufgeben. Der Nachlass aus dem Büro, rund 20.000 Zeichnungen, gelangte ins Archiv der Universität Parma. Er soll dort angeblich ohne richtige Inventarisierung gelagert sein. Die Unterlagen der Baufirma, dazu viele Texte, meist Nervis Gedanken zu seinen Entwurfsprinzipien und kritische Kommentare zur Ausbildung sowie eine riesige Menge an Korrespondenz – Nervi hat viele Briefe geschrieben und alles akribisch aufgehoben – sind heute im Archiv der Architektursammlung des MAXXI, Rom.
Auf den folgenden Seiten ist eine Auswahl der größtenteils bisher unveröffentlichten Fotos seiner Prüfmodelle zu sehen, ergänzt mit Texten von Beteiligten an der Ausstellung.
Am 3. Juni ist die Eröffnung in der Fondation pour l’Ar chitecture (CIVA) in Brüssel geplant. Ab Ende August wirddie Ausstellung im Palazzo Giustinian Lolin der Fondazione Levi in Venedig – zeitgleich mit der Architekturbiennale – zu sehen ein. Eine weitere Station ist das neue Museum für zeitgenössische Kunst MAXXI von Zaha Hadid in Rom. Anlass ist hier der 50. Jahrestag der Olympischen Spiele in der italienischen Hauptstadt, für die Pier Luigi Nervi die markantesten Sportbauten errichtet hatte. 2011 wird die Ausstellung weiter nach Paris, Turin, London wandern, später auch in die USA. Die wissenschaftliche Betreuung lag in den Händen des Turiner Bauhistorikers Carlo Olmo. Mitgewirkt haben u.a. Joseph Abram aus Nancy, Barry Bergdoll vom New Yorker MOMA und der Tragwerksplaner Mario Alberto Chiorino aus Turin. Elisabetta arbeitet in Brüssel und ist von ihrem Wohnhaus, das sich wie die Fondation in der Rue de l’Ermitage befindet, ins belgische Architekturzentrum rübergekommen. Im Foyer breitet sie zahlreiche historische Fotos vor mir aus. Ein Schwerpunkt der Ausstellung sind diese Fotos aus dem Archiv des Instituts für Modellstudien und Baukonstruktion I.S.M.E.S. in Bergamo. Zu sehen sind „Modelli di rottura“, Messmodelle, die bei der Prüfung von Belastungen aller Art zerstört wurden. Sie waren zum Teil, wie es das Pirelli-Hochhaus in Mailand eindrucksvoll zeigt, bis zu neun Meter hoch. In der Ausstellung werden zwölf Bauten vorgestellt, einige von ihnen mit neuen Modellen, die unter Zuhilfenahme des Stereolithographie-Verfahrens entwickelt wurden (Seite 30). Die Rechengrundlage für die Modelle lieferten Francesco Romeo und seine Studenten von der Universität Rom mit dem Forschungsvorhaben „Nervi virtual Lab“ (Seite 28).
Nachdem mir Elisabetta das Ausstellungsprojekt erläutert hat, stelle ich ein paar Fragen zur Person Pier Luigi Nervi. Elisabettas übersprudelnde Begeisterung ebbt nun etwas ab. Sie wird leiser, nachdenklicher, und mit Blick auf die Erinnerungen der Söhne und Enkel beginnt sich das Bild des weltweit renommierten Konstrukteurs zu verdüstern. Nervi war der „Padrone“, erzählt sie. Die Familie soll es nicht leicht mit ihm gehabt haben. Mit strenger Hand führte er Regie und verschwendete keine Zeit für andere Dinge. Er habe beharrlich alles selbst in die Hand nehmen wollen und von anderen höchste Arbeitsleistung verlangt. Seine aus Padua stammende Frau Irene Calosi soll er hingegen immer „vergöttert“ haben.
Von den vier Söhnen haben drei ein Ingenieur- bzw. Architekturstudium absolviert und waren in der Firma des Vaters tätig. Elisabettas Worte lassen den Eindruck entstehen, als ob sie keine andere Wahl gehabt hätten. Alle drei sollen vom Vater geschickt im verzweigten „System Nervi“ eingesetzt gewesen sein. Antonio war im Büro an den Projekten beteiligt, Mario für die Baustellenleitung verantwortlich, und Vittorio arbeitete in der Baufirma und in der Verwaltung von Immobilien. Nur Sohn Carlo löste sich vom Vater und wurde Arzt. Das Verhältnis zu den anderen drei Söhnen war wohl öfters angespannt, wenn sie ihm nicht folgen wollten. Nervi war auch erbost, als die Söhne übereinkamen, im Planungsbüro des Vaters für ihre eigenen Zwecke eine für die Zeit übliche Palazzina – in der Via Cortina d’Ampezzo in Rom – zu entwerfen und zu bauen, in der Familienmitglieder zum Teil noch heute wohnen. Der Vater verstand nicht, wie man sich der Planung eines solchen Standardwohnhauses überhaupt hingeben kann.
„Kontakte wie im 17. Jahrhundert“
Pier Luigi Nervi zeigte sich von Anfang an auch geschäftlich versiert; schon in den zwanziger Jahren war sein Planungsbüro zugleich eine Baufirma. Er verfügte über beste Kontakte, arbeitete mit dem großen Betonunternehmen Italcimenti zusammen und meldete Dutzende von Patenten an. Ungeachtet der Bedeutung seiner „Kontakte wie im Rom des 17. Jahrhunderts“ legte er bei mangelnder Leistung eine konsequente Haltung an den Tag. So auch bei dem ihm vermittelten Schwager des Politikers Alcide De Gaspari, mit dem er als Büromitarbeiter unzufrieden war. Und so setzte er ihn gleich wieder vor die Tür. Später soll seine Unzufriedenheit mit der Politik dazu geführt haben, dass er mehr und mehr in Amerika tätig wurde. Bei Bauaufträgen in den USA spielten wichtige Personen italienischer Herkunft eine Rolle.
Was an der kurzen Beschreibung zur Person Pier Luigi Nervi alles stimmt, vielleicht auch überzogen oder gar einseitig dargestellt ist, muss hier offen bleiben. Aber das Gesamtbild einer immer fordernden, charismatischen Persönlichkeit von ungeheurer Autorität und Durchsetzungskraft trifft sicherlich zu. Nach seinem Tod war es nicht möglich, den straff organisierten, allein auf Nervi fixierten „Apparat“ fortzuführen. Sein Sohn Antonio musste nach wenigen Monaten aufgeben. Der Nachlass aus dem Büro, rund 20.000 Zeichnungen, gelangte ins Archiv der Universität Parma. Er soll dort angeblich ohne richtige Inventarisierung gelagert sein. Die Unterlagen der Baufirma, dazu viele Texte, meist Nervis Gedanken zu seinen Entwurfsprinzipien und kritische Kommentare zur Ausbildung sowie eine riesige Menge an Korrespondenz – Nervi hat viele Briefe geschrieben und alles akribisch aufgehoben – sind heute im Archiv der Architektursammlung des MAXXI, Rom.
Auf den folgenden Seiten ist eine Auswahl der größtenteils bisher unveröffentlichten Fotos seiner Prüfmodelle zu sehen, ergänzt mit Texten von Beteiligten an der Ausstellung.
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