Neo-Neogotik
Research Nr. 09
Text: Haberle, Heiko, Berlin
Neo-Neogotik
Research Nr. 09
Text: Haberle, Heiko, Berlin
Mit der neuen Wandgestaltung für die Alte Universität Marburg halten die Architekten Bayer Uhrig das traditionelle Grundprinzip der Tapete hoch: ein Muster aus regelmäßig sich wiederholenden Ornamenten. Die Kleinserien-Herstellung durch die Marburger Tapetenfabrik erfolgte mit dem Vliesplotter.
Ein Teil des alten Hauptgebäudes der Universität Marburg sollte für das Institut für Kirchenbau renoviert werden; mehr als der karge „Universitätsstandard“ stand nicht zur Verfügung. Die Architekten Dirk Bayer und Andrea Uhrig wollten diesen Standard überbieten und bei der Sanierung einen Bezug zu dem 1879 realisierten Gebäude und dessen Architekt Carl Schäfer herstellen. Alle Sonderwünsche an Gestaltung mussten durch Sponsoring erzielt werden. Die Marburger Tapetenfabrik bot eine Beteiligung an. Als Herausforderung für die Architekten erwies sich der Umgang mit der traditionellen, ornamental bedruckten Tapete. Diese sei lange verpönt gewesen als „Konzentrat dessen, was Architektur nicht sein soll“, so Dirk Bayer. Die Zeiten haben sich geändert – in dem selbstbeförderten Auftrag sah der Architekt eine Gelegenheit zu einem Bekenntnis für das neo-gotische Ornament. Florale Motive aus verschiedenen Tür-Oberlichtern des Schäfer-Altbaus wurden auf abstrakte Art zitiert und auf der Tapete neu arrangiert. Mit der Gestaltung wurden der Grafiker Roman Bittner und seine Firma Apfel Zet beauftragt. Bittner wählte Versatzstücke aus und „verknüpfte“ sie in Varianten: mit Konturen oder ohne, auf hellem oder dunklem Untergrund sowie in unterschiedlichen Skalierungen, um Fern- und Nahwirkung in Einklang zu bringen. Eine Schwierigkeit musste gelöst werden: Die klassische Produktionsweise einer Tapete war angesichts der relativ geringen Menge ausgeschlossen. Der übliche Rotationssiebdruck verlangt speziell angefertigte Walz-Schablonen, aus deren Innenraum die Farbe durch Perforationen auf das Papier austritt. Dem Umfang der Walzen von üblicherweise 64 Zentimetern entsprechend, ergibt sich für die Tapete der sogenannte Rapport: also eine Wiederholung des gleichen Grundmusters. Weil sich dieses Vorgehen erst ab tausend Rollen rentiert, kam der neue Großformat-Digitaldruck zum Einsatz. Damit sind quasi endlose Motive ohne vertikale Wiederholungen möglich. Dirk Bayer und Roman Bittner wollten aber kein endloses Bild. Obwohl technisch eigentlich obsolet, sahen sie den Rapport als Indikator für den Typus Tapete – und hielten an deren Grundprinzip fest, wonach sich ein fortlaufend wirkendes Muster aus sich wiederholenden Einzelelementen zusammensetzt.
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