Bauwelt

Wie baut man auf einem fremden Dach?

Die Perspektive der Bauherren

Text: Tollmann, Vera, Berlin; von Borries, Christian, Berlin

Wie baut man auf einem fremden Dach?

Die Perspektive der Bauherren

Text: Tollmann, Vera, Berlin; von Borries, Christian, Berlin

Eine Reihe von Fragen nach der Art des Wohnens und nach der Finanzierung, die wir uns selbst gestellt haben, bildete den Ausgangspunkt für unser Projekt:

Die Wahrnehmung der zentralen Bezirke Berlins wird heute geprägt durch eine Mittelstands-Erbengesellschaft, die nach der Abschaffung des sozialen Wohnbaus 2003 und der damit einhergehenden Immobilienspekulation versucht, sich den Traum vom Eigenheim zu erfüllen.
Wir selbst waren als Gewerbe-Zwischenmieter der Berliner Stadtreinigung am Landwehr­kanal plötzlich in der schizophrenen Situation, eine riesige Abfindung geboten zu bekommen, 40.000 Euro für 12 Monate. Dafür ließen sich heute keine 20 Quadratmeter Wohnfläche mehr am selben Ort kaufen.
 
Wohnen auf dem Dach?

Wir vermuteten erstens, dass es für viele be­geh­renswert erscheint, in einem Penthouse zu wohnen, und dass doch nur wenige das Geld haben, sich diese Lifestyle-Option zu erfüllen. Be- deutet die Option Wohnen auf dem Dach also, dass man über ein Erbe verfügen muss, das mandann verbauen kann? Oder bedeutet es, dassman einen hohen Kredit aufnehmen und entsprechende Sicherheiten bieten muss? Oder gibt es vielleicht noch eine andere Lösung jenseits solcher Abhängigkeiten?
Dächer sind in der Stadt generell wenig erschlossene Orte, sieht man von meist sehr aufwendig und teuer ausgebauten Dachwohnungen bei Altbauten ab. Andrerseits bietet der Standort Dach gerade in einer Stadt wie Berlin unbestreitbare Vorteile. Das Dach ist der hellste Ort, gerade in einer Stadt mit langen Wintern, in der Licht und Sonne willkommen sind und mansich nur selten vor zu viel Licht schützen muss.
Wir stießen bei unserer Recherche auf eine noch weitgehend ungenutzte Ressource: die Dächer von Gewerbebauten, die meist Flachdächer sind. Zumindest in der Theorie bieten sie ein großes Potential an ungenutzter Baufläche. Da die Statik meist großzügig dimensioniertist, lässt sich zumindest eine leichte Struktur ohne Probleme aufsetzen.
Bei älteren Bauten handelt es sich nicht selten um die oberste Geschossdecke eines Hau­ses, bei dem der im Krieg zerstörte Dachstuhl nicht wieder aufgebaut wurde. In solchen Fällen – dies galt dann auch für unser Beispiel in Berlin-Wedding – gibt es noch den zusätzlichen Vorteil, dass man über einen direkten Zugang zur Dachfläche und einen Lastenaufzug verfügt.
Bei üblichen Dachausbauten muss meistens ein bestehendes Giebeldach geöffnet und dann mit hohem Aufwand umgebaut werden. Im Falle von Fabriketagendachflächen gibt es aber die Möglichkeit, eine sehr leichte Kons­truktion direkt aufzusetzen, die sich über einen Ring­anker auf den Außenwänden abstützt. Die Dachhaut muss dann gar nicht geöffnet werden.
 
Welche Vorteile bietet eine solche Leichtkonstruktion. Vor allem: Wie sieht sie aus?

Der Typus Gewächshaus, so wie er halbfertig zu kaufen ist, bot sich an. Aber ist ein solches Gewächshaus überhaupt eine Antwort auf aktuelle Stichworte wie Klimaschutz und ökologi­sches Bauen? Kann man diesen Typus als Modell ei­nes Lowtech-Billig-Ökohauses betrachten? Wir sind – sozusagen eine Arbeitshypothese – da­von ausgegangen. Als Anhaltspunkt für das
Entwurfskonzept bot sich der Weg an, den die französischen Architekten Lacaton Vassal seitJahren schon in unterschiedlichen Größen undTypologien (Bauwelt 27.2007) ausprobieren. Wir haben mit den Architekten Kontakt aufgenommen.
In jedem Fall wollten wir die monatlichen Miet/Pachtkosten so gering wie möglich halten. Wir zahlen heute die Pacht und die Nebenkosten, 225 Euro plus 150 Euro (und zwar für eine Dachfläche von 150 Quadratmetern, wobei sichals Grundfläche für den zur Hälfte zweigeschossig nutzbaren Aufbau 90 Quadratmeter ergab).

Wie lässt sich überhaupt ein „freies“ Dach finden, wenn es gar keinen Immobilienmarkt für Gewerbedachflächen gibt?

Wohnungsbaugesellschaften haben heute nur noch selten Gelder für zusätzliche Investitio­nen. Wir wurden hier trotz längerer Suche nicht fündig. Dann half der Zufall. Wir stießen auf ei­nen privaten Besitzer, der nicht sofort in den Kategorien Wertsteigerung und Bestandschutz dachte und unser ausgefallenes Bauvorhaben gut fand. Klar war, dass der langfristige Pachtvertrag (30 Jahre) den Wert der Immobilie am Markt ein Stück weit mindern würde.
 
Wie geht preiswert bauen?

Auf dem Dach eines bestehenden Hauses zu bauen, bietet eine Reihe von grundsätzlichen Vor­teilen: Kein zusätzliches Grundstück ist nötig, für die Erschließung und für die Sicherung ist bereits gesorgt, es ist weniger aufwendig, an eine bestehende Infrastruktur (Heizung, Wasser, Strom, Telefon) anzuschließen, als diese neu zu bauen.
Das Konzept von Lacaton Vassal, den Standardbausatz eines Gewächshauses als Readymade zu nehmen, wollten wir auch beim Innenausbau weiterverfolgen. Wir haben Industriepro­dukte von der Stange in einem anderen Kontext verwendet (z.B. Fliesenbauplatten als mobile Wärmedämmwand, eine Kellertür wurde zur Ein­gangstür etc.).
Die Idee war: Ein neues Haus muss nicht neu aussehen. Wir haben viele gebrauchte Teile verwendet (z.B. bei ebay ersteigerte Vintage-Fenster), und wir haben häufig die preiswerteste, aber stabil wirkende Standardware gewählt (Waschbecken, Dusche, Toilette, Zimmertüren, Fliesen, Türgriffe). 
 
14 Monate Verhandlungen mit dem Bauamt – Was waren die Probleme?

Lässt sich nur stichwortartig zusammenfassen:
– Überschreitung des Bauvolumens aufgrund eines 50 Jahre alten Bebauungsplans
– Überschreitung der Abstandsfläche zum Vorderhaus
– Begrenzung der Höhe des Aufbaus durch Brandschutzvorschriften (Traufhöhe)
– Einbauten nur aus feuerfesten Baustoffen zu- lässig (kein Holzständerwerk, sondern Gasbeton)
– Fortführung einer Brandwand
– Denkmalschutz
– Genehmigungsprozess des Gewächshausdaches aus Luftkissen
 
Welche Rolle hatte der ausführende Architekt?

Seine Rolle war sicher schwierig, in jedem Fall war sie aufwendig. Erstens sind aus den genannten Gründen viele Rahmenbedingungen vorge­geben, andererseits fällt durch die Anpassungen viel zusätzliche Detailarbeit an. Wir haben auf der Basis von Regeldetails gearbeitet, die der Architekt entworfen hat und die wir dann umsetzten.
 
Welche Vorzüge hat das Leben im Gewächshaus?

Lebensweise, Material und Ort bedingen sich gegenseitig: Mit wechselnden Jahreszeiten ändert sich die Nutzung. Im Winter sind vor allem die gemauerten Räume konventionell bewohnbar, der offene Mittelteil kann mit einem Kamin (Holz) zeitweise beheizt werden und ist mit wärmerer Kleidung nutzbar. Diesen Bereich schüt­zen wir im Sommer mit Verschattungsvorhängen (Sun screens für Gewächshäuser); bei kühleren Temperaturen kann so zusätzlich isoliert werden. Ein Propeller sorgt dafür, dass im Winter die warme Kaminluft wieder nach unten geleitet wird und dass im Sommer bei geöffnetenSchiebetoren und offenen Dachklappen die warme Luft unter dem Dach abzieht.
Für die mobile Nutzung der Räume gibt es Mobiliar auf Rollen, und es gibt einen Sommer- und einen Winteranschluss für die Küchenspüle. Entscheidungen über den Gebrauch der Räume können so immer wieder neu getroffen werden.
 
Wie lässt sich vermeiden, dass ein solcher Bau aussieht wie eine typische Neubauwohnung? 

Man kann zum Beispiel von Reisen Armaturen, Beschläge mitbringen, preiswerte und schöne Elemente, die weit weg sind vom üblichen Ikea-Standard. Homogene Gleichförmig­keit genauso wie Status-Symbolik lassen sich so vermeiden. Wir haben etwa aus China eine sogenannte „Hegemoniedusche“ mitgebracht (ein Kombi­gerät aus Lüftung und Heizlampe, das es auf dem europäischen Markt so nicht gibt) und ei­nen dimmbaren LED-Fluter (den Prototypen einer LED-Firma aus Shenzhen), der uns zur Beleuchtung des offenen Bereichs im Mittelteil des Gewächshauses dient. Den größtmöglichen Kontrast zur industriellen Ästhetik des Gewächshauses stellt der große Kamin dar, der sich als eine Art Replik auf das „steinerne Berlin“ und den „Post-Schinkel-Klassizismus“ versteht und sich an einem Kamin orientiert, den Speer fürdie Reichskanzlei entworfen hatte. Er ist aus rotbraunem Kalkstein und hat eine weißschwarze Marmorierung.
 
Welchen Namen geben wir unserem Prototypen?

„Hegemonietempel“, in Anlehnung an die oben erwähnte „Hegemoniedusche“, die sich in China in fast jeder Neubauwohnung findet. 

Adresse Mayer, Christof, Berlin


aus Bauwelt 22.2010

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