Kaputtsaniert
Dieter Oesterlens Braunschweiger Okerhochhaus
Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig
Kaputtsaniert
Dieter Oesterlens Braunschweiger Okerhochhaus
Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig
Das Staatliche Baumanagement Braunschweig und die TU Braunschweig schätzen den Sanierungsstau im gesamten Gebäudebestand der Universität auf 200 Millionen Euro. Umso mehr verwundert es, dass eine endlich in Angriff genommene Maßnahme dann architektonisch misslingt.
„Das Institutsgebäude der TU Braunschweig ist eine Inkunabel der Hochhausarchitektur der 1950er Jahre. Es entstand 1954–56 nach Plänen von Dieter Oesterlen, zwei Jahre vor Mies van der Rohes Seagram Building in New York und vier Jahre vor HPPs Dreischeiben-Hochhaus in Düsseldorf. Zwar tritt es deutlich bescheidener auf als seine metropolitanen Brüder, zeigt aber einen bemerkenswerten räumlich-konzeptionellen Luxus, der prototypisch scheint für eine glückliche Phase bundesrepublikanischer Bauproduktion: Die 58 Meter hohe und nur zehn Meter tiefe Hochhauscheibe ist als Einbund organisiert. Zur Ostseite werden Instituts- und Arbeitsräume vornehmlich baubezogener Lehrstühle aufgereiht. Die Westseite nimmt ein breiter Zirkulationsraum ein, zum Teil mit Panoramablick über die Stadt. Die Fenster gehen ab Brüstung bis unter die Decke. Ihre großen Öffnungen sind als horizontal angeschlagene Holzrahmen-Schwingflügel ausgeführt. Diese zur Entstehungszeit ganz moderne Fenstertechnik erlaubt ein luftiges Achsmaß von zwei Metern, das mit einem Drehflügel nicht realisierbar gewesen wäre. Nachts gelüftet wird über einen sicher nicht unter ganz strikten Praktikabilitätsgesichtspunkten ersonnenen Kippflügel, Lamellen aus Drahtglas wirken als vorgesetzter Filter. Tragwerks- und Brüstungsverkleidungen in grauem Betonwerkstein bilden den materiell „armen“, aber diskret noblen Hintergrund. So war
es gedacht. Seit 2001 steht das 17-geschossige Okerhochhaus als Zeugnis der „Braunschweiger Schule“, jener funktional und technisch interessierten Architekturhaltung um die Lehrenden Kraemer, Henn und eben Oesterlen, als Einzeldenkmal unter Schutz.
Organisierte Verantwortungslosigkeit
Kritiker bezeichnen den Bauunterhalt und die Instandsetzung des Hauses durch die öffentliche Hand gern als organisierte Verantwortungslosigkeit: Nach knapp 50 Jahren Betrieb wirkte das Okerhochhaus substantiell und optisch vernachlässigt. Ab 2002 wurde über eine Sanierung nachgedacht. Mit 14 anderen Bürogebäuden in der Bundesrepublik machte man es zum Gegenstand eines Forschungsprojekts der Bundesstiftung Umwelt zur „energieeffizienten und komfortgerechten Sanierung“. Die Studie, die drei universitäre Institute durchgeführt hatten, wurde 2006 einer Raumkommission der TU vorgestellt, drang aber, nach dortiger Aussage, nicht bis zum Staatlichen Baumanagement Braunschweig durch. Das Lehrpersonal jedoch zeigte sich mit dem Ergebnis zufrieden: Die Fenster mit Oberlichtern sollten sich am Bestand orientieren, die Dämmungsollte verbessert werden. Daraufhin beschloss das hauseigene Baumanagement der TU, die Sanierung der Westfassade und des Daches zu finanzieren, das Staatliche Baumanagement übernahm die Ostfassade, zusätzlich akquirierte KP II-Mittel sollten die Sanierung der Giebel, der Haustechnik und der Innenräume ermöglichen. Insgesamt standen 4,8 Millionen Euro zur Verfügung. Ein örtliches Architekturbüro wurde mit Leistungsphasen der Fassadenarbeiten beauftragt, Bausprecher der im Haus ansässigen Institute wurden installiert, die Landesdenkmalpflege involviert. Doch anstatt die Transparenz in den Abläufen zu befördern, bewirkten die vielen Akteure und vielleicht nicht immer nachvollziehbare Zuständigkeiten genau das Gegenteil.
Als ab 2009 gebaut wurde, offenbarte sich nach und nach eine neue Gebäudehülle, nach Baubetriebs- und Wartungskosten optimiert und der – für ein Baudenkmal gar nicht verpflichtenden – EnEV entsprechend. Die gesamte originale Fassaden-Substanz wurde demontiert und entsorgt. Eine „Black Box“ aus Aluminiumkonstruktion bildet nun den bauphysikalischen Unterbau für ein vorgehängtes Sandwich aus 10 mm Naturstein und 19 mm Leicht-betonträger, wie Lieferant alsecco die Sichtkonstruktion beschreibt. Eine flächige, vom Urzustand ganz und gar abweichende Materialität prägt jetzt das Fassadenbild. Die feinen Profilierungen der handwerklichen Fügung der Fenster, Brüstungen und Tragwerksverkleidungen sind verschwunden und einer ästhetischen wie konstruktiven „Laminatisierung“ gewichen. Und: Das schmale Lüftungsoberlicht ist nur noch Attrappe, die Fassade dahinter geschlossen. Aus der Distanz wirkt das alles proper, so dass auch die Landesdenkmalpflege keine Einwände hatte.
Sensibilität entwickeln
Weshalb wurde bei einem Baudenkmal, das noch weitgehend im Original erhalten war, das Verdikt der Denkmalpflege, dass gerade die physische Authentizität seines Überlieferungsbestands den Zeugniswert eines Baudenkmals ausmacht, so leichtfertig aufgegeben? Und wie steht es mit der Forderung der Denkmalpflege nach materialgerechter Erneuerung alter Substanz? Sollte nicht für jedes Baudenkmal nach erfolgter Überarbeitung angestrebt werden, dass weiterhin empfunden werden kann, was die Intention, seine „Poetik“ – in dem Sinne, wie es bauzeitlich gemacht sein wollte – ausgemacht hat? Im Fall des Braunschweiger Okerhochhauses gehören dazu unter anderem die Feinmotorik der Fassade mit differenzierten Fensterflügeln für unterschiedliche Zwecke, die unverstellte Tageslichtführung in den Innenräumen, ohne jeglichen „Sturz“ bis unter die Decke, ebenso wie das beabsichtigte Nachtbild – mit dem gedämpften Lichtaustritt über ein separates, wahrhaftiges Oberlicht. Es scheint, als müssten die im Umgang mit Baudenkmalen der Nachkriegsmoderne gebotenen Sensibilitäten und professionellen Instrumentarien mancherorts erst noch von Grund auf entwickelt werden.
es gedacht. Seit 2001 steht das 17-geschossige Okerhochhaus als Zeugnis der „Braunschweiger Schule“, jener funktional und technisch interessierten Architekturhaltung um die Lehrenden Kraemer, Henn und eben Oesterlen, als Einzeldenkmal unter Schutz.
Organisierte Verantwortungslosigkeit
Kritiker bezeichnen den Bauunterhalt und die Instandsetzung des Hauses durch die öffentliche Hand gern als organisierte Verantwortungslosigkeit: Nach knapp 50 Jahren Betrieb wirkte das Okerhochhaus substantiell und optisch vernachlässigt. Ab 2002 wurde über eine Sanierung nachgedacht. Mit 14 anderen Bürogebäuden in der Bundesrepublik machte man es zum Gegenstand eines Forschungsprojekts der Bundesstiftung Umwelt zur „energieeffizienten und komfortgerechten Sanierung“. Die Studie, die drei universitäre Institute durchgeführt hatten, wurde 2006 einer Raumkommission der TU vorgestellt, drang aber, nach dortiger Aussage, nicht bis zum Staatlichen Baumanagement Braunschweig durch. Das Lehrpersonal jedoch zeigte sich mit dem Ergebnis zufrieden: Die Fenster mit Oberlichtern sollten sich am Bestand orientieren, die Dämmungsollte verbessert werden. Daraufhin beschloss das hauseigene Baumanagement der TU, die Sanierung der Westfassade und des Daches zu finanzieren, das Staatliche Baumanagement übernahm die Ostfassade, zusätzlich akquirierte KP II-Mittel sollten die Sanierung der Giebel, der Haustechnik und der Innenräume ermöglichen. Insgesamt standen 4,8 Millionen Euro zur Verfügung. Ein örtliches Architekturbüro wurde mit Leistungsphasen der Fassadenarbeiten beauftragt, Bausprecher der im Haus ansässigen Institute wurden installiert, die Landesdenkmalpflege involviert. Doch anstatt die Transparenz in den Abläufen zu befördern, bewirkten die vielen Akteure und vielleicht nicht immer nachvollziehbare Zuständigkeiten genau das Gegenteil.
Als ab 2009 gebaut wurde, offenbarte sich nach und nach eine neue Gebäudehülle, nach Baubetriebs- und Wartungskosten optimiert und der – für ein Baudenkmal gar nicht verpflichtenden – EnEV entsprechend. Die gesamte originale Fassaden-Substanz wurde demontiert und entsorgt. Eine „Black Box“ aus Aluminiumkonstruktion bildet nun den bauphysikalischen Unterbau für ein vorgehängtes Sandwich aus 10 mm Naturstein und 19 mm Leicht-betonträger, wie Lieferant alsecco die Sichtkonstruktion beschreibt. Eine flächige, vom Urzustand ganz und gar abweichende Materialität prägt jetzt das Fassadenbild. Die feinen Profilierungen der handwerklichen Fügung der Fenster, Brüstungen und Tragwerksverkleidungen sind verschwunden und einer ästhetischen wie konstruktiven „Laminatisierung“ gewichen. Und: Das schmale Lüftungsoberlicht ist nur noch Attrappe, die Fassade dahinter geschlossen. Aus der Distanz wirkt das alles proper, so dass auch die Landesdenkmalpflege keine Einwände hatte.
Sensibilität entwickeln
Weshalb wurde bei einem Baudenkmal, das noch weitgehend im Original erhalten war, das Verdikt der Denkmalpflege, dass gerade die physische Authentizität seines Überlieferungsbestands den Zeugniswert eines Baudenkmals ausmacht, so leichtfertig aufgegeben? Und wie steht es mit der Forderung der Denkmalpflege nach materialgerechter Erneuerung alter Substanz? Sollte nicht für jedes Baudenkmal nach erfolgter Überarbeitung angestrebt werden, dass weiterhin empfunden werden kann, was die Intention, seine „Poetik“ – in dem Sinne, wie es bauzeitlich gemacht sein wollte – ausgemacht hat? Im Fall des Braunschweiger Okerhochhauses gehören dazu unter anderem die Feinmotorik der Fassade mit differenzierten Fensterflügeln für unterschiedliche Zwecke, die unverstellte Tageslichtführung in den Innenräumen, ohne jeglichen „Sturz“ bis unter die Decke, ebenso wie das beabsichtigte Nachtbild – mit dem gedämpften Lichtaustritt über ein separates, wahrhaftiges Oberlicht. Es scheint, als müssten die im Umgang mit Baudenkmalen der Nachkriegsmoderne gebotenen Sensibilitäten und professionellen Instrumentarien mancherorts erst noch von Grund auf entwickelt werden.
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