Bauwelt

Das Prinzip Erhabenheit

Wie alpine Infrastrukturen inszeniert werden

Text: Fischer, Ludger, Brüssel

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Das Prinzip Erhabenheit

Wie alpine Infrastrukturen inszeniert werden

Text: Fischer, Ludger, Brüssel

Die Welt an sich ist nicht genug. Die Welt ist schöner, spektakulärer, erhabener, wenn sie inszeniert wird. Die Alpen sind ein Teil der Welt, den viele eigentlich für erhaben genug halten. Was sollte man an einer so grandiosen Landschaft noch inszenieren?
Die Welt an sich ist nicht genug. Die Welt ist schöner, spektakulärer, erhabener, wenn sie inszeniert wird. Die Alpen sind ein Teil der Welt, den viele eigentlich für erhaben genug halten. Was sollte man an einer so grandiosen Landschaft noch inszenieren?
Nicht immer hat man die Alpen als erhaben emp­funden. Jahrtausendelang waren sie für die Menschen nur Bedrohung, Wagnis, Gefahr. Einen ästheti­schen Genuss zogen sie nicht aus diesem für sie weitgehend lebensfeindlichen Landstrich. Das hat sich grundlegend gewandelt. Die Erschließung der Alpen für den Tourismus verläuft seit etwa 1970 in rasan­tem Tempo. Sommer- und Winter-Touristen stehen mittlerweile überall Bergbahnen, Lifte und Bergrestaurants mit Selbstbedienung zur Verfügung. Die Ser­vice-Bauten haben die Wanderer- und Hüttenidylle abgelöst.

Weiche Knie als Leistungsversprechen
Es sind vorwiegend technische Bauwerke, mit denen die Bergwelt heute bestückt wird. Sie werden nicht mehr, wie noch vor vierzig Jahren, devot kaschiert. Sie imitieren nicht länger einen „alpenländischen Stil“, sie trotzen den Naturgewalten und der Idylle, und sie dienen zum Teil auch ganz neuen Zwecken: Erlebniszentren mit pädagogischem Anspruch, weit über Abgründe ragende Aussichtsplattformen, Liftan-lagen für einen bislang unerreichten Massentransport, Schisprungschanzen mit Signalcharakter. Die Bauten machen sich die Dimension des Erhabenen zunutze, die man der Bergwelt zugeschrieben hat. Gleichzeitig verstärken sie die Wahrnehmung der Berge als eine erhabene Landschaft.
„Halten Sie kurz den Atem an und treten Sie direkt über den Abgrund!“ So wird für Deutschlands höchstes Natur-Informationszentrum geworben. Es sei, darauf ist man nicht nur wortspielerisch stolz, „Deutschlands höchste Umweltbildungseinrichtung“. Das Ausstellungsgebäude der „Bergwelt Karwendel“ liegt auf 2244 Metern. Seine Betreiber garantieren, dass die Besucher beim Blick durch das Panoramafenster in den 1300 Meter tiefen Abgrund weiche Knie bekommen. Wo werden einem sonst schon die Knie weich, wenn man eine Ausstellung über Pflanzen, Tiere und Menschen im Hochgebirge besucht? Da ist ein sieben Meter über den Abgrund hinausragendes Gebäude in Form eines riesigen Fernrohrs auf jeden Fall hilfreich. Das Bauwerk von Steinert & Steinert Architekten aus Garmisch-Partenkirchen wurde im Sommer 2008 eröffnet und erhielt prompt den zum ersten Mal verliehenen Umwelt- und Nachhaltigkeitspreis der „Alpenkonvention“.
Noch erhabener wird’s, wenn man Bauten, und seien es auch nur zwei Stege, acht Meter über den Abgrund ragen lässt. Noch atemberaubender ist das, noch knieerweichender. Das dachten sich jedenfalls die Konstrukteure der Aussichtsplattform „AlpspiX“ an der Alpspitze oberhalb von Garmisch-Partenkirchen. Die Eröffnung ist für Juni 2010 vorgesehen. Die Proteste von Naturfreunden, die der Meinung sind, „so etwas“ gehöre nicht in die Landschaft, sind heftig. Extremkletterern ist die Vorstellung zuwider, dass großartige Landschaftserlebnisse künftig auch ohne jede Anstrengung möglich sein sollen. Der drohende Verlust an Exklusivität schmerzt sie.

Die Abkehr von der Camouflage-Strategie
Nicht vorwiegend zur Inszenierung der Alpen, sondern als völlig neuartige Inszenierung des Schispringens wurde die neue Olympiaschanze in Garmisch-Partenkirchen errichtet, für deren Entwurf und Planung das Münchner Büro Terrain: Loenhardt & Mayr gemeinsam mit den Tragwerksplanern Mayr Ludescher Partner, ebenfalls aus München, verantwortlich zeichnet. Bisher sprangen die tollkühnen Schispringer von einer architekturfernen, eher holprig wirkenden Konstruktion. Der Begriff „Anlaufturm“ traf auf die 1950 gebaute Schanze durchaus noch zu. Seit Dezember 2008 steht den Springern aber ein Bauwerk zur Verfügung, das neben dem technischen Zweck auch noch eine Bildidee enthält. Es verkörpert Schwung und Kühnheit. Ein Turm ist das nicht mehr, was den Schispringern zum Anlauf dient. Die mit lichtdurchlässigen Polycarbonatplatten verkleidete 60,4 Meter hohe Stahl-Fachwerkkonstruktion ist die Nachbildung des Schiflugs als technische Großform. Eine Innenbeleuchtung lässt die ganze Konstruk­tion bei Dunkelheit wie eine Lichtskulptur erschei­nen. Von „Anpassung an die Umgebung“ und „Einbin­dung in die Landschaft“ keine Spur.
Die Mayrhofner Bergbahnen im Tiroler Ziller-tal sind stolz auf ihre neue Ahornbahn. Es ist die größte Pendelbahn Österreichs. Sie befördert bis zu 1200 Personen in der Stunde. Jede Gondel fasst
160 Menschen. „Österreichs größte Seilbahn führt in nur sechs­einhalb Minuten direkt von Mayrhofen zum Plateau Ahorn.“ Im Dezember 2006 wurde die Bahn eröffnet. Die Auszeichnungen mit dem Architekturpreis 2007 der Vereinigung der Österreichischen Zementindustrie und dem „best architects 08“-Award verdankt die von M9 Architekten Senfter + Lanzinger, Innsbruck, geplante Anlage offensichtlich dem kom­promisslo­sen Einsatz von dunkelgrau eingefärbtem Beton und von Stahlplatten. Die Talstation duckt sich nicht un­ter die Hotelbauten im pseudo-Tiroler Stil, und die Bergstation imitiert keinen Heustadel. Wer sich mit dieser Maschine auf den Berg transportieren lässt, der spürt, dass er ein Eindringling ist.
Fakten
Architekten Steinert & Steinert Architekten, Garmisch-Partenkirchen; Terrain: Loenhardt & Mayr, München; Mayr Ludescher Partner, München; M9 Architekten Senfter + Lanzinger, Innsbruck
aus Bauwelt 07-08.2010
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