Bauwelt

Aus der Enge ausbrechen

Der Luxemburger Architekt François Valentiny über Herausforderungen und vertane Chancen bei der Entwicklung der Cité des Sciences in Belval

Text: Wünschmann, Anita, Berlin

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    François J. V. Valentiny
    Foto: WIA – What is architecture? Luxemburg 2014

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    François J. V. Valentiny

    Foto: WIA – What is architecture? Luxemburg 2014

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    Die Bibliothek wird sich mit bedruckten Wand- ...
    Foto: Abbildungen: © Valentiny hvp Architects

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    ... und Dachelementen deutlich von ihrer Umgebung abheben
    Foto: Le Fonds Belval

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    ... und Dachelementen deutlich von ihrer Umgebung abheben

    Foto: Le Fonds Belval

Aus der Enge ausbrechen

Der Luxemburger Architekt François Valentiny über Herausforderungen und vertane Chancen bei der Entwicklung der Cité des Sciences in Belval

Text: Wünschmann, Anita, Berlin

Herr Valentiny, Ihre Universitätsbibliothek in der ehemaligen Möllerei wird im April 2017 eröffnet. Kann man aus einer schmalen, langgestreckten Halle ein modernes Learning Center entwickeln?
Die Form war durch die Struktur der vorhandenen Möllerei vorgegeben. Die Frage ist, warum muss eine neue Universitätsbibliothek in eine ehemalige, schuppenähnliche Industriehalle integriert werden? Noch grundsätzlicher gefragt: Wie kommt man dazu, ein für Luxemburg so wichtiges Gebäude neben die alten Hochöfen zu setzen, ohne dass im Vorfeld eine inhaltliche Diskussion dazu stattfand? Ich habe Verständnis für die Idee, die Universität als Zugkraft für die Entwickelung der Südregion von Luxemburg zu sehen. Aber das erklärt noch nicht, warum eine zukunftsorientierte internationale Bildungsstätte irgendwo in einem ehemaligen Industriegebiet angesiedelt werden muss. Der Architekt ist nun mal seit jeher an die Entscheidungen der Politik gebunden, egal ob diese nachvollziehbar sind oder nicht. Dies bleibt die Tragik unseres Berufs.
Sie haben sich der Herausforderung gestellt.
Ja, weil diese neue Universität Zeichen braucht, eine Aussage. Das Sammeln von Wissen ist die eine, die Verpackung eine andere Sache. Mein größter Aha-Effekt in dieser Richtung war die Universität in Mexiko-City. In meiner Jugend hatte ich Fotos gesehen von der mit eindrucksvollen Fayencen verkleideten Bibliothek. Dieser farbenfrohe Bau war vielleicht der Grund, warum ich Architektur studiert habe. Viele Jahre später kam ich nun in die Situation, eine Universitätsbibliothek zu bauen, fand aber die Idee, an diesem Ort absurd. Der Wille, aus dieser Enge auszubrechen, gab mir dann doch den Antrieb, etwas Besonderes, eventuell sogar ein Wahrzeichen zu schaffen. Mir sind viele Bauten in Belval zu anonym, zu beliebig. Das erklärt auch meine anfängliche Ablehnung, einen Beitrag zu entwerfen.
Waren vom Bauherrn Le Fonds Belval Gestaltungswünsche formuliert?
Was wurde da formuliert? Überhaupt nichts! Gott sei Dank. Damit wurde uns die Chance gegeben, andere Wege zu gehen, um doch noch korrigierend auf das Ensemble wirken zu können. Ärger und Frust legen neue Energien frei. Ich nutzte also diesen Freiraum und konzentrierte mich auf die Frage, wie die Bibliothek im Kontext wirken kann. Die komplette Halle stand uns nicht zur Verfügung.
Was passiert mit dem Rest?
Das weiß ich nicht. Es erscheint mir sehr problematisch, in diesem Kontext noch ein verstaubtes Substrat aus der Vergangenheit zu erhalten. Die Halle muss eine ganzheitliche architektonische Sprache haben.
Man war, so verstehe ich Sie, angstbesetzt, sich mehr von der industriellen Vergangenheit zu lösen?
Ja. Womöglich war es aber auch eine ängstliche Haltung, um ein neues Denken zu verhindern. Auf jeden Fall betrachte ich das Gesamtkonzept des neuen Campus als nicht zeitgemäß. Ich versuche nun, aus einer Haltungslosigkeit eine Haltung zu entwickeln. Die Frage ist, was sind mir die Inhalte wert. Sind wir in unserem reichen Land Luxemburg immer noch unfähig, eigene zeitgenössische Positionen zu entwickeln und wenn, müssen wir dazu die Geschichte bemühen! Die Geschichte gibt es ohnehin nicht. Es gibt nur Zeitsequenzen, aus denen sich Geschichte nachvollziehen lässt. Es muss vielmehr darum gehen, alte Werte nur zu erhalten, wenn sie noch Bestand haben und einen Sinn ergeben. Jede Zeit schafft ihre eigene Ethik.
In ganz Europa steht man vor der Aufgabe, Konzepte für  Konversionsflächen zu finden.
Sie missverstehen mich. Ich habe nichts dagegen, ein altes Gebäude für eine andere Funktion umzuplanen. Statt der neuen Universität ein Branding des Zukünftigen zu geben, belasten wir sie aber mit einer untergegangenen industriellen Kultur. Inhaltlich betrachtet ist mir diese Haltung nicht stimmig, intellektuell viel zu pessimistisch.
Was wäre für Sie eine angemessene Gestalt?
Es ist keine Frage der Gestalt sondern des Inhalts. Ich denke, dass die neue Bibliothek in ihrer Gestalt sicher eine positive Auswirkung auf das Branding der Universität haben wird. Damit aber dieses Ziel erreicht wird, muss die Frage wieder an die Funktion retourniert werden. Auf dem neuen Campus gibt es keinen Ort, an dem sich Studenten ungezwungen versammeln können. Im Hauptgebäude (Seite 20) wird die Kommunikation sehr schwierig sein. Dabei ist eine Hochschule doch ein Ort, an dem man sich zum Wissensaustausch trifft, ein Ort, an dem sich Studenten auch beiläufig über den Weg laufen. Dies soll nun in der Bibliothek passieren.
Die Bibliothek war immer ein Ort der Ruhe.
Das ist sie so absolut nicht mehr. Sie entwickelt sich zunehmend zu einem Haus der Kommunikation und des Austauschs. Unsere Bibliothek wird der Ort auf dem Campus sein, an dem man sich in einem überdachten Bereich fakultätsübergreifend treffen kann. Das, was sich auf der Westseite wie Schubladen herausschiebt, sind komplett abgeschirmte Räume, geschlossene Studierzimmer.
Sie sind ein Verfechter der Campusidee, verbunden mit einer gewissen Hermetik gegenüber dem Umfeld.
Ja, genau. Vielleicht ist es das „Normale“, das mich am Campus der neuen Universität in Belval stört. Ich kritisiere eine populistische Haltung. Man kann Orte und deren Funktionen nicht beliebig vermischen.
Sie haben Ihre eigene Stiftung gegründet. Sie fungiert als Ort, der Neues befördert, aber vor allem Ihr Werk archiviert und dokumentiert. Inwiefern hat  der Aspekt des Bewahrens für Sie ein positives Moment?
Das Bewahrte stellt für uns Werte dar und verlangt Achtung, sonst würde man es nicht aufheben wollen. Insofern sind sowohl die Bibliothek als auch die Stiftung Orte,  die der haptischen Dimension von Büchern und Dokumenten gerecht werden müssen, trotz oder auch parallel zur Digitalisierung von Wissensbeständen.
Eine Bibliothek im Kontext der industriellen Hinterlassenschaften und neuer Gebäude. Ergibt sich dennoch ein harmonisches Ensemble?
Ich glaube schon. Es wird harmonisch sein, weil vor allem die alten Bauten, bedingt durch ihre durchgängige Materialität, sehr poetisch sind. Ihre Konstruktionen sind oftmals geschraubt und genietet. Das vermittelt eine zusätzliche Sinnlichkeit. Dem setzen wir einen deutlichen Kontrapunkt gegenüber. Ein einziger Kontrapunkt kann wunderbar in diesem Kontext wirken, aber keine zehn. Mit der polygonalen Fassadenstruktur entsteht noch eine zusätzliche Irrationali-tät, die in Belval sicherlich für Erstaunen sorgen wird.
Das Fassadenmaterial ist ein Hightech-Kunststoff. Sie arbeiten sonst mit Stein, rostigem Stahl, Holz – dezidiert sinnlichen Werkstoffen.
Ja, das stimmt. Damit die Bibliothek sich harmonischer in den Bestand einfügt, wollte ich ursprünglich mit Coten-Stahl arbeiten. Diese Haltung haben wir, nachdem jetzt einige Neubau-ten stehen, aufgegeben. Sie ergibt keinen Sinn mehr. Das Gebäude wird jetzt nahezu weiß!
So erlebt man jetzt nicht nur eine Transformation sondern auch einen deutlichen Kontrast.
Ja, beides und zwar bei den Grundrissen und der Hülle. Die eingezogenen Ebenen sind dem ursprünglichen Volumen fremd und doch wirkt der Raum in seiner Ursprünglichkeit. Diesen Effekt verdankt man den Rauminseln im Gebäude. Eine weitere Verfremdung entsteht dann durch die Fassaden mit den Reflexionen der aufgedruckten Struktur.
Fakten
Architekten Valentiny, François J.V., Remerschen
aus Bauwelt 5.2016
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