Bauwelt

„Ein allumfassender Masterplan ist nicht mehr machbar“

Stadtbauwelt-Gespräch

Text: Schultz, Brigitte, Berlin; Lengkeek, Arie, Rotterdam

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„Ein allumfassender Masterplan ist nicht mehr machbar“

Stadtbauwelt-Gespräch

Text: Schultz, Brigitte, Berlin; Lengkeek, Arie, Rotterdam

Jenseits spektakulärer Architektur wird in Rotterdam derzeit der Umgang mit der bestehenden Stadt neu verhandelt. Während Developer und Planungsämter Macht abgeben, nutzen Künstler und Architekten die Chance, andere Organisations­formen zu erproben und sich neue Bauaufgaben zu erschließen. Die Wege der verschiedenen Lager führen aufeinander zu – einer Meinung sind sie deshalb noch lange nicht
Deutsche Architekten haben schon immer staunend nach Rotterdam geblickt, wo unsere niederländischen Kollegen nach der Tabula rasa des Zweiten Weltkriegs mutige Experimente wagten und riesige Projekte verwirklicht wurden. Was ist die neue Realität in der Krise?
Jeanne van Heeswijk | Rotterdam war schon immer eine aufregende Stadt, aufgrund der damaligen Situation der Tabula rasa lief alles in Richtung „Neue Stadt“. Heute ist sie immer noch – oder schon wieder – sehr inspirierend, aber aus ganz anderen Gründen. Unter den derzeitigen Umständen gibt es wohl keine Stadt, die mit Rotterdam verglichen werden kann. Alles hier strebt wieder auf eine große Erneuerung zu.
Wie sieht das aus?
van Heeswijk | Die zentrale Stadtplanungsbehörde wird verkleinert und nimmt immer weniger Einfluss. Als die Krise zuschlug, wurden viele große Entwicklungsvorhaben gestoppt. Das ist auch gut so: Jetzt können die Experimente auf einer anderen Ebene stattfinden. Und hier können sie funk­tionieren, denn Rotterdam hat einen überschaubaren Maßstab. Deshalb ist hier vieles möglich. Es finden sich neue Wege, mit denen sich in Zukunft „Stadt“ entwickeln lässt, neue Formen werden getestet, physisch wie organisatorisch.
Wouter Jan Verheul | Das Rotterdam, wie wir es kannten, war eine einzige Abfolge von Erneuerung, Erneuerung, Erneuerung ...
Dirk van Peijpe | Eine echte Hafenstadt eben: immer auf der Suche nach neuen Ufern.
Endry van Velzen | Die reinste Diskontinuität!
Wie hat sich der Umgang mit der Stadt verändert?
Petra Rutten | Wir durchlaufen einen tiefen Wandlungsprozess. Ich bin seit zehn Jahren in der Projekt- und Quartiers­entwicklung tätig, und zwar in der Regel in den Problembezirken der Stadt. Wir haben immer ausgesprochen top-down gearbeitet. In Crooswijk zum Beispiel, einem Quartier aus dem 19. Jahrhundert – mehr als 80 Prozent des Bestandes sind Eigentum von Wohnungsbaugesellschaften, dichte Bebauung, enge Gassen, die Wohnungen in schlechtem Zustand –, wurden für die Erneuerung des Gebiets 800 Gebäude abge­rissen, mit traumatischen Folgen für Stadt und Bewohner. Der Crooswijk-Plan war ein ganz traditioneller, förmlicher Masterplan mit nur wenigen Playern, im Rahmen eines formellen Geschäftsmodells abgewickelt, das rücksichtslos gegenüber den Bewohnern war. Es war der Endpunkt und die extremste Anwendung dieser Strategie, die wir dann aufgeben muss­-ten, denn sie funktionierte nicht länger – zu formell, zu großer Maßstab.
Was machen Sie stattdessen?
Rutten | In  Katendrecht,  der Halbinsel südlich von Wilhelminapier zwischen dem Rijn- und Maashaven, unserem jüngsten Projekt, ist alles viel offener, es gibt alle Arten von Unternehmern, von rein kommerziellen bis hin zu klassisch und weniger klassisch sozialen, die alle ihren Teil zur Transformation des Gebiets beitragen wollen. Als Entwickler nehmen wir hier die Position des Mediators ein, vermitteln zwischen den formal und informell Beteiligten, gehen dadurch natürlich ein großes Risiko ein und investieren eine ganze Menge. Aber das ist heute auch unsere Aufgabe, nicht bloß die Folgen der Krise zu bearbeiten, sondern ein neues System zu etablieren, eine neue Arbeitsweise.
Wie kann eine solche neue Arbeitsweise aussehen?
van Heeswijk | Als Künstlerin, die stark in die Abläufe und Mechanismen der Stadtplanung involviert ist, weiß ich, wie wichtig es ist, bei der Quartiersentwicklung vom Bestand auszugehen, dem gebauten wie dem kulturellen und so­zialen Kapital der Bevölkerung. Im  Afrikanerviertel  – nach Katen­drecht der nächste Kandidat für die Gentrifizierung – haben wir jüngst die erste wirklich funktionierende Nach­barschaftskooperative auf die Beine gestellt, bei der sich verschiedene Akteure an gemeinsamen Überlegungen über Investitionen und die Nutzung der Potenziale des Bezirks beteiligen.
Wie arbeitet diese Kooperative?
van Heeswijk | Wir konzentrieren uns zuerst einmal auf die Finanzströme. Es fließen immer viele Millionen in ein solches Quartier, Mittel zur Armutsbewältigung, zur Beschäftigungsförderung, zur Bestanderserhaltung und -erneuerung. Aber fast alles fließt auch sofort wieder ab! Also versuchen wir sicherzustellen, dass die Mittel nicht an eine Gruppe von Leuten geht die gute Ratschläge erteilen, Pläne vorlegen, damit ihr Geld machen und dann schnell wieder verschwinden. Wir wollen, dass das Geld im Quartier bleibt. Wir wollen erreichen, dass lokale Ressourcen genutzt werden, die hier vorhandenen Talente und Potenziale mobilisiert werden. Eine Gentrifizierung, oder Kapitalisierung, findet unweigerlich statt, und sie soll es auch, das darf aber nicht die Verdrängung ganzer Bevölkerungsgruppen bedeuten. 80 Prozent des Afrikaanderwijk sind sozialer Wohnungsbau, umgeben von reinstem Mittelklassemilieu.
van Velzen | Der klassische holländische Ansatz für solche Gebiete lautet: Abriss, Neubau. An solchen Projekten war ich auch beteiligt. Aber in Nieuw Crooswijk hat sich das tot­gelaufen. Wir können in diesen Stadtquartieren nicht mehr einfach alles abreißen, schon allein deshalb nicht, weil wir das vor dreißig Jahren erst gemacht haben. Man kann es nicht immer wieder und wieder machen. Wir haben uns gerade an einer Untersuchung beteiligt, die verglichen hat, welche Quartiere in den siebziger und achtziger Jahren Gegenstand der Stadsvernieuwing waren und welche noch heute – mehr als dreißig Jahre danach – Zuwendungen aus den Förder­programmen für sogenannte „schwierige Nachbarschaften“ erhalten. Nicht wenige sind noch immer wirklich problematisch. Das beweist, dass es nicht reicht, neue Wohnungen zu bauen und das Quartier mit neuen Bewohnern aus der Mittelschicht zu durchmischen. Wir müssen unsere Strategien grundlegend überdenken.
Wie könnten neue Strategien aussehen?
van Velzen | Wir müssen die örtlichen Gegebenheiten nutzen, mit dem öffentlichen Raum arbeiten, alte Verbindungen erneuern, neue Verbindungen zwischen den einzelnen Quartieren und der Gesamtstadt herstellen. Wer aber kommt für diese Art der Stadterneuerung auf? Die großen Investitionen in Rotterdam Süd wurden durch die Wohnungsbaugesellschaften gemacht, die in vielen Quartieren weiterhin große Teile des Wohnungsbestandes halten. Für Investitionen haben sie heute kein Geld mehr. Mit der Krise sind auch die Geldströme aus Institutionen und der Stadtverwaltung versiegt.
Rutten | Das stimmt so nicht für die Stadt als Ganzes. Auch in den letzten fünf Jahren gab es noch enorme Investitionen in der City, riesige Gebäude wurden finanziert und gebaut.
van Peijpe | Auch in den öffentlichen Raum wurde viel in­vestiert – auch wenn da weiterhin noch viel Luft nach oben ist und die Fördertöpfe immer fast leer sind.
Rutten | Und der Hauptbahnhof ist komplett erneuert ... Also, auch in der Krise gab es in Rotterdam umfangreiche Investitionen – vielleicht nicht immer am richtigen Ort und vielleicht auch nicht immer aus den richtigen Gründen, aber es war viel Geld im Umlauf.
An welche falschen Gründe denken Sie dabei?
Rutten | In Rotterdam war die Stadtentwicklung eine Sache von Verträgen mit großen Playern. Eine Ökonomie, die sich für alle lohnte – die Architekten eingeschlossen. Was daran falsch war? Die Verträge waren schlecht ausgehandelt.
van Heeswijk | Über diese falschen Verträge müssen wir dringend sprechen! Denn es gab ja eine Phase, in der wir im Prinzip viel miteinander gesprochen haben, wie sich die Stadt anders entwickeln könnte – aber nur in der Planungsphase. Und als diese Phase vorüber war, wurden die Planungen durch Ausschreibungen oder auf Vertragsbasis an Bauunternehmer und Investoren übergeben und durch Laufzeiten von zehn Jahren festgeschrieben. Lässt man eine zehnjährige Option zu, wird das Bauland blockiert, die Entwicklung unterbrochen. Mit der Krise kam dann alles endgültig zum Stillstand. Aber es ist nicht einfach, geschlossene Verträge wieder zu öffnen, indem man einfach feststellt, hier ist nichts passiert. Sollen sie weitere zehn Jahre darüber verfügen können, auch wenn sie nichts bauen? Das sollten sie nicht, aber sie tun es. Das passiert in dieser Stadt nicht selten!
Martin Aarts, Sie als Vertreter der Stadt, was sagen Sie dazu?
Martin Aarts | Dagegen protestiere ich! Es sieht jetzt so aus, als wäre das alles eine spezifisch Rotterdamer Angelegenheit. Aber dabei handelt es sich doch um eine europaweite Erscheinung. Ich denke, wir hatten sogar eine sehr anspruchsvolle Ausgestaltung der Public Private Partnerships, ein wohlüberlegtes Management aller Prozesse, gerade auch was den Umgang mit den Bewohnern der Nachbarschaft und was
Gestaltungsfragen anging.
Was ist in der Zwischenzeit passiert?
Aarts | Alles das funktioniert nicht mehr. Es ist zu komplex geworden, es ist nicht mehr möglich, solche umfangreichen Prozesse mit einem derart hohen Risiko – auch finanziellem Risiko für die Stadt – über einen langen Zeitraum zu steuern. So etwas kann nur funktionieren, wenn man Projekte räumlich und zeitlich stärker begrenzt, indem man etwa große Projekte in eine Reihe kleinere zerlegt. Ein Masterplan der alles umfasst, ist nicht mehr machbar, aber man kann eine offene Planung machen, eine Planung der Möglichkeiten sozusagen.
Wie hat Ihre Behörde darauf reagiert?
Aarts | Wir haben früher Gott gespielt – was mir tatsächlich ganz gut gefallen hat. Jetzt nehmen wir eine Rolle ein, bei der alle Beteiligten ihr Bestes einbringen und ihre Vorstellungen forcieren können. Das ist nicht nur in Rotterdam so, die Einsicht wächst, dass die Gesellschaft dermaßen komplex ist, dass es arrogant wäre zu glauben, dass einer allein oder eine einzige Gruppe sie beherrschen könnte. Nun sucht jedermann nach seinem Weg vom alten System des Governments zu den neuen Ufern der Governance. Das ist aufregend.
Was bleibt dann von Ihrer Führungsrolle übrig?
Aarts | Für die 80 Prozent der Stadt, die vorwiegend aus Wohnungsbau bestehen, und von denen Jeanne spricht, ist es schon sinnvoll, dass alle miteinander sprechen und das lokale Wissen nutzen. In der Innenstadt wäre ein solches Vorgehen allerdings ziemlich dumm. Hier gibt es so viele Stake­holder, dass man steuern muss. Ich denke, das sehen die Be­teiligten auch so, und sie verlangen von der Stadt, diese Rolle zu übernehmen. Von einem Ladenbesitzer kann man nicht verlangen, über die Auswirkungen seines Geschäfts auf die Metropolregion nachzudenken, oder über den Bau von Metros oder alle Arten der Infrastruktur. Unsere Strategie heute ist, Dinge zu ermöglichen, anstatt, wie früher, zu re­gulieren. Die Stadtverwaltung ist auf der Suche nach einer fruchtbaren Form der Zusammenarbeit.
Was bedeutet dieser Wandel für die Architekten und für deren Rolle?
van Velzen | Architekten haben jetzt eine große Chance, kleine Projekte zu initiieren, vergleichbar jenen vor zehn Jahren in Berlin. Das Problem bei den kleinen Projekten liegt allerdings darin, dass damit nur sehr wenige Leute Geld verdienen können. Also müssen andere, nicht die üblichen Investoren, die Initiative ergreifen. So wird es zu einem Feld, das auch Architekten bearbeiten können. Genau das ver­suchen wir im Moment. Wir wollen die neue Strategie von Martins Behörde umsetzen. Aber soweit ich das beurteilen kann, ist eure Veränderung zu einer Organisation, die neue Entwicklungen fördert, doch eher ein bisschen schwerfällig.
Aarts | Aber wir versuchen es.
van Velzen | Das glaube ich gern, aber ich merke leider nichts davon. Habt ihr wirklich Platz geschaffen für kleine Initiativen innerhalb eurer großen Verwaltung, die doch darauf programmiert ist, entweder mit den großen Entwicklern zu dealen oder aber mit ausgewiesenen Gebieten für eine private Bauherrenschaft zurechtzukommen? Wenn ich beispielsweise versuche, ganz kleine Grundstücke, Restflächen, zu entwickeln, nicht nur in der Innenstadt, gibt es doch manchmal absurde Diskussionen. „Sie sind kein Entwickler!“, erklärt mir die Verwaltung. „Nein“, sage ich, „ ich bin kein Entwickler – warum verlangen Sie also von mir, ich solle die Standards großer Entwicklungsvorhaben erfüllen?“ Oder, wenn ich eine Baugemeinschaft nach Berliner Vorbild initiieren will bekomme ich zu hören: „Wir sprechen nicht mit einem Vertreter einer Baugemeinschaft, wir wollen mit der ganzen Gruppe reden.“ Auf neue Modelle, die irgendwo dazwischen liegen, seid ihr nicht eingestellt. Das ist auch schwierig, aber um zu einer neuen Planungskultur in der Stadt zu kommen, muss man auch einen großen Schritt wagen.
Aber wer muss den Schritt gehen, nur das Stadtplanungsamt?
van Heeswijk | Verschiedene Akteure in Rotterdam haben sich daran gemacht, neue Formen der Governance zu entwickeln, die diesem Wandel von inside-out zu outside-in, die­-sen Zwischenformen zwischen top-down und bottom-up, angemessen sind. Mit der schon erwähnten Afrikaanderwijk Coop probieren wir gerade ein neues, rechtlich abgesichertes Modell aus, das es auch kleinen Organisationen erlaubt, sich zu beteiligen, ohne gleich einen größeren Verwaltungsapparat ausbilden zu müssen. Will man sich heute am bürokratischen System der Stadtentwicklung beteiligen, zum Beispiel Gelder bei der Stadt oder der EU beantragen, merkt man schnell, dass diese Programme nicht auf solche kleineren Formate eingestellt sind. Also muss man erst ein System ent­wickeln, in dem kleinere Initiativen wirklich innerhalb der Strukturen etwas bewirken können, ohne sich zwangsweise vergrößern zu müssen und so ihre Flexibilität zu verlieren. Neue Organisationsformen sind unbedingt nötig, um diese Art kleiner Projekte, über die wir sprechen, zu ermöglichen.
Aarts | Wir müssen von diesen Initiativen lernen. Wenn man nur sagt: „Es funktioniert nicht“, hat man natürlich immer recht. Wenn man aber sagt: „Mach’, dass es geht, so sieht es aus und das ist das Ziel“, wenn man es so angeht, kann es funk­tionieren. Denn wir sind in einem wirklichen organisatorischen Wandel, wir können daraus lernen, uns zusammen­setzen und herausfinden, warum es nicht geht.
Was lernt ihr? Wie passt sich die Verwaltung an?
Aarts | Ein Beispiel: Wenn es gerade mal um 15 Häuser geht, sollte man aufhören, über Stellplätze und Finanzierungs­modelle zu sprechen, über all das, was zu den Großprojekten gehört. Wer braucht Tiefgaragen in einem Stadtviertel aus dem 19. Jahrhundert? Man sollte stattdessen sagen: „Hey, das ist toll, sie wollen in unsere Stadt investieren, lasst uns ihnen dabei helfen.“ Wir sind noch in der Lernphase. Ich sehe auch, dass wir noch nicht ganz so weit sind, aber an der Spitze der Behörde gibt es den starken Willen herauszufinden, was falsch läuft und was nicht. Ihr könnt gerne sagen: „Das und das ist falsch“, und ich sage: „Helft uns!“
Möchte einer helfen?
van Velzen | Also meinetwegen können wir gleich einen Termin machen. [er lacht]
Verheul | Wichtig bei diesem Übergang von Government zu Governance, gerade wenn man sich alle Arten von Bottom-up-Initiativen wünscht, ist die Rolle dessen, was man „überzeugende Geschichten“, oder „erzählerische Koalitionen“ nennen kann. Ich glaube, dass sich viele dieser neuen Projekte auf „sticky stories“ gründen, also auf eine gute Geschichte. Ein Akteursnetzwerk unter Mithilfe der sozialen Medien kann solche Stories schreiben, aus denen sich neue Initiativen entwickeln. Für mich sind das die neuen Ikonen der Stadt.
Geschichten als neue Ikonen?
Verheul | Nicht die Geschichten, aber die Projekte und Initiativen, die sich mit ihrer Hilfe entwickeln. Urbane Ikonen sind nicht länger diese großen extravaganten Architekturprojekte der Stararchitekten à la Frank Gehry oder OMA. Die Leute selbst definieren, was ikonisch ist oder nicht, nicht
die Architekten. Von diesen neuen Ikonen lassen sich in Rotterdam einige finden.
Zum Beispiel?
Verheul | Initiativen für die Um- und damit Wiedernutzung alter Gebäude. Aktuell von großer Bedeutung ist der  Hofbogen,  sozusagen die High Line von Rotterdam. Zwei Kilometer aufgelassene Hochbahntrasse durch ein Stadtgebiet, das zu einer grünen Stadtlandschaft entwickelt wird. Vielleicht sind die Ikonen der Zukunft diese Art von Entwicklungen.
Also, wo sind die Ikonen der Zukunft? Wo kann man das „neue Rotterdam“ erfahren?
van Heeswijk | Sie sollten dahin gehen, wo die Stadt täglich neu gestaltet wird. Zu meinen Besuchern sage ich immer: „Geht am besten gleich am Hauptbahnhof in die U-Bahn“. Im Zentrum gibt es nicht viel Interessantes zu sehen, also, ab in die U-Bahn und auf direktem Weg nach Süden.
Andere Vorschläge?
van Peijpe | Ich würde Sie nach ZoHo mitnehmen, dem Zomerhofkwartier, der Nachbar des Hofbogens. Ganz in der Nähe liegt auch unser  Waterplein  [Wasserplatz]. Hier haben wir Gelder aus dem Budget für „Wasser-Management und Entwässerungsverbesserungen“ benutzt, um zusammen mit den Bewohnern einen anständigen öffentlichen Raum zu schaffen. Solche Geschichten der Kombination von Infrastrukturprojekten und partizipativer Gestaltung des öffentlichen Raums sind von großer Bedeutung für die Zukunft unserer Stadt.
Aarts | Ja, wo liegt das neue Rotterdam? Mein Baby ist das iLaurenskwartier.  Ein durchmischtes Innenstadtquartier, das die Früchte unserer Anstrengungen zeigt, mehr Bewohner in das Stadtzentrum zu bringen. Wäre man vor zehn Jahren, ja noch vor vier Jahren dorthin gegangen, man hätte kaum irgend jemanden gefunden, der dort wohnte. Heute ist dort eine andere Welt. Nachkriegsarchitektur mit neuen Funktionen angereichert, eine Rotterdam eigene Eleganz. Die Qua­litäten des öffentlichen Raums sind durch die Stadt in enger Partnerschaft mit den örtlichen Unternehmen und Grundstückeignern verbessert worden. Und dies strahlt mehr und mehr auch auf die Nachbargebiete rund um Hoogstraat aus. Schon seit Langem haben wir uns eine solche Dynamik für die Innenstadt gewünscht. Zugleich beherbergt das Quartier das große Architekturspektakel der Markthalle von MVRDV.
Also, wohin sollen wir deutschen Besucher denn nun gehen, ins Zentrum oder an die Ränder?
van Velzen | Müsste ich mir für einen Besucher aus Deutschland eine Tour ausdenken, fällt mir nur ein Wort ein: „Verbindungen“. Ich liebe dieses atypische Stadtzentrum Rotterdams und seine lockere Bebauung, die einem das Gefühl der Offenheit gibt – aber auch der Verlorenheit, denn die Verbindungen zwischen den interessanten Orten waren immer sehr schwach ausgeprägt. Heute geht es darum, neue Verbindungen herzustellen – nicht bloß baulicher Art, sondern auch im Kopf.
Fakten
Architekten Aarts, Martin, Rotterdam; van Heeswijk, Jeanne, Rotterdam; Rutten, Petra, Rotterdam; Verheul, Wouter Jan, Delft; van Peijpe, Dirk, Rotterdam; van Velzen, Endry, Rotterdam
aus Bauwelt 12.2014
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