Modularität als Werkzeug zur Improvisation
Bettina Schürkamp im Gespräch mit OMA-Partner Reinier de Graaf
Text: Schürkamp, Bettina, Köln
Modularität als Werkzeug zur Improvisation
Bettina Schürkamp im Gespräch mit OMA-Partner Reinier de Graaf
Text: Schürkamp, Bettina, Köln
Nutzungsmischungen prägen OMA-Projekte seit vielen Jahren. Entwürfe wie Byzantium (1985) oder das Hyperbuilding (1996) wurden publiziert, blieben aber unrealisiert. Mit De Rotterdam (2013) und dem Timmerhuis (2015) haben Sie in Rotterdam zwei Projekte mit gemischter Nutzung fertiggestellt. Welche Bedeutung hat Mixed-Use in Ihren aktuellen Projekten?
Seit den achtziger Jahren experimentieren wir bei OMA mit Mixed-Use. Erst jetzt werden sie gebaut. Solange unsere Ideen unerprobt waren, blieben viele Auftraggeber skeptisch. Gerade bei kommerziellen Projekten assoziieren Projektentwickler mit neuen Konzepten hohe finanzielle Risiken. Wenn Sie dann ein Gebäude erfolgreich realisieren, ändert sich alles – es entsteht Vertrauen und eine Nachfrage. Heute fördert die Stadt Rotterdam mit ihrer Stadtentwicklungspolitik Mixed-Use, um neue Wohnangebote im Stadtzentrum zu schaffen. Bei vielen neuen öffentlichen Gebäuden werden Wohnungen hinzuaddiert, sodass Neubauten oft mit mindestens zwei Nutzungen entstehen. Darüber hinaus gewinnen Mixed-Use-Konzepte auch bei Bauherren an Attraktivität, weil sie bei der Zertifizierung von Nachhaltigkeit bevorzugt werden.
Mit dem Commonwealth Institute errichten Sie zurzeit einen Komplex mit Kulturangeboten und Wohnungen in London. Wie unterscheiden sich die Bedingungen für Mixed-Use in den beiden Städten?
In England haben wir gemischte Nutzungskonzepte bei vielen Gelegenheiten vorgestellt. Leider lehnten die Projektentwickler Mixed-Use-Konzepte lange als zu riskant ab. Der Erfolg der Immobilienwirtschaft beruht auf detaillierter Ortskenntnis, welche Stadtquartiere in den nächsten fünf Jahren boomen werden. Während Architekten global operieren, übernehmen Projektentwickler nur zögerlich internationale Trends.
Das Timmerhuis und das Commonwealth Institute sind von gewachsenen Stadtquartieren umgeben. Wie unterscheiden sich diese europäischen MIxed-Use-Projekte von Konzepten, die Sie von 2006 bis 2008 für den Mittleren Osten entwickelt haben?
Die Gebäude Al Faisaliah II in Riad und Dubai Renaissance sind mit über 500.000 Quadratmetern um ein vielfaches größer als das Timmerhuis mit 45.000 Quadratmetern. Wie ein Mikrokosmos beinhalten solche Komplexe Büros, Wohnungen, Handel, Hotels und Kulturangebote. Sie funktionieren wie Mini-Städte. Die Gebäude kompensieren die Abwesenheit der eigentlichen Stadt und werden so zu einem kleinen Stück Urbanismus.
Mit der Veröffentlichung „Project Japan. Metabolism Talks …“ schlossen AMO, Rem Koolhaas und Hans Ulrich Obrist 2009 ein mehrjähriges Forschungsprojekt ab. Welche Spuren hat die japanische Architektengruppe, die durch das Manifest „Metabolismus 1960“ und die Weltausstellung in Osaka 1970 bekannt wurde, im Entwurf für das Timmerhuis hinterlassen?
Auch wenn der Metabolismus für uns eine Quelle der Inspiration war, besteht dennoch ein großer Unterschied. Die Metabolisten entwickelten raumgreifende, modulare Systeme, die mit ihren Prinzipen oft das Umfeld verdrängten. Wir hingegen nutzen eine ähnliche Formensprache und die Idee der Modularität als Werkzeug für eine Improvisation, die das städtische Umfeld in die Konzeption einbezieht. Mit der Anmutung von gestapelten Quadern entwickelten wir beim Timmerhuis ein Thema weiter, das OMA schon seit dem Wettbewerb für das Rathaus von Den Haag im Jahr 1986 verfolgt. Auch wenn dieser Entwurf nicht gebaut wurde, hat er die Evolution unserer Ideen mit einer Ästhetik des Zufalls nachhaltig geprägt. Unsere Form der geplanten Wahllosigkeit ermöglicht immer neue Anpassungen. Denn wie bei einer Miniatur-Skyline oder Miniatur-Stadt ändern Vergrößerungen und Verkleinerungen das äußere Erscheinungsbild kaum. Dennoch verfügt auch das Timmerhuis über formale Perfektion, verborgen im Inneren. Inspiriert durch die Drahtrastermodelle von Sol LeWitt, beruhen die Umrisse der zwei Atrien auf Quadern.
Im Vergleich zu früheren Projekten wie der Kunsthal Rotterdam besteht das Timmerhuis vorwiegend aus wiederholten Elementen. Deutet dies auf eine neue Entwicklung hin?
Standardisierung, Neutralität, Veränderbarkeit – das Timmerhuis zählt zu einer Typologie, die wir „generisch“ nennen und die ich besonders verfolge. Variation und Diversität prägen Gebäude aus standardisierten Elementen, die von den geometrischen Strukturen der Timmerhuis bis zu formlosen, naturähnlichen Umrissen reichen. Während wir für das De Rotterdam noch verschiedene Volumen für verschiedene Funktionen entworfen haben, besteht das Timmerhuis aus einer Struktur, die alle Funktionen im gleichen Raster aufnimmt. Vor allem die Apartments zeigen, wie die extreme Wiederholung von wenigen Industrieprodukten variable Grundrisse ohne jede typologische Wiederholung ermöglicht.
Es scheint, dass in diesem Zusammenhang das Detail in den Fokus der Aufmerksamkeit rückt.
Rau und ehrlich gemacht, erhalten unsere Details in den letzten Jahren einen sehr spezifischen Ausdruck. Für das Timmerhuis wählten wir industrielle Materialien, die mit ihren gerasterten Rhythmen auf die Materialität der Moderne verweisen. In meinen Vorträgen zeige ich immer wieder Fotos der Van-Nelle-Fabrik in Rotterdam und vom Farnsworth Hause in Illinois. Beide bestechen durch ihre einfachen Details und die unmittelbar sichtbaren Materialien. In den Atrien konnten wir die Stahlkonstruktion unverhüllt präsentieren; gerne hätten wir dies auch im Stadtraum getan. Noch müssen wir Konstruktionen im Außenbereich verkleiden. Doch wenn beispielsweise Beton durch eine chemische Revolution auch als isolierender Werkstoff erfunden würde, wäre das unmitelbare Zeigen von Materialien – der Ethos der Moderne – wieder möglich.
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