Ziel erreicht? Energieeffizienz der IBA Hamburg
Über die IBA Hamburg1 haben wir 2013 berichtet. Vieles war damals noch nicht fertiggestellt, auch das innovative Energiekonzept für den gesamten Stadtteil war „work in progress“. Im Januar legte die IBA nun den Werkbericht 12 zum Energieatlas 2010 vor. Uli Hellweg, ehemaliger Geschäftsführer der IBA, und der Freiburger Architekt Günter Pfeifer im Gespräch darüber, inwiefern die angestrebten Ziel für die Energieeffizienz der Bauten und des Quartiers erreicht wurden
Text: Bartels, Olaf, Hamburg
Ziel erreicht? Energieeffizienz der IBA Hamburg
Über die IBA Hamburg1 haben wir 2013 berichtet. Vieles war damals noch nicht fertiggestellt, auch das innovative Energiekonzept für den gesamten Stadtteil war „work in progress“. Im Januar legte die IBA nun den Werkbericht 12 zum Energieatlas 2010 vor. Uli Hellweg, ehemaliger Geschäftsführer der IBA, und der Freiburger Architekt Günter Pfeifer im Gespräch darüber, inwiefern die angestrebten Ziel für die Energieeffizienz der Bauten und des Quartiers erreicht wurden
Text: Bartels, Olaf, Hamburg
Wie kam das Thema „Stadt im Klimawandel“ auf die Agenda der IBA in Hamburg?
Uli Hellweg Die Vorlage des vierten IPCC-Berichtes im Februar 2007 war ein einschneidendes Ereignis. „Stadt im Klimawandel“ war davor kein Thema der IBA, aber mit dem Bericht wurde die Brisanz des Klimawandels einer breite Öffentlichkeit bewusst und damit auch für uns wichtig. 3
Welchen Beitrag können Stadtplaner und Städtebauer zur Milderung oder zur Verhinderung des Klimawandels überhaupt leisten?
Uli Hellweg Meiner Meinung nach können sie nicht nur viel, sondern sie müssen viel dazu beitragen. Bekanntlich sind Städte weltweit die Hauptemittenten von CO2. Die Globalisierung ist eine Urbanisierung unserres Planeten. Städte werden sich weiter ausweiten. Das ist auch gut, denn sie sind ein Zivilisationsmodell, das das Umwelt- oder das Klimathema auch lösen kann.
Warum ist der Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg dafür besonders geeignet?
Uli Hellweg Die Elbinseln sind im Grunde ein Mikrokosmos, der zwar nicht stellvertretend für die Welt steht – den man aber ganz gut für sich betrachten kann. Er hat klare Grenzen, die ihn als Untersuchungsfeld definieren. So lässt sich deutlich ablesen, wie viel Energie er selbst verbraucht, wie viel er erzeugen und möglicherweise sogar exportieren kann.
Die IBA Hamburg hat das Stadtentwicklungskonzept „Erneuerbares Wilhelmsburg“ erarbeitet und 2010 einen Energieatlas4 vorgelegt, der dieses empirisch, theoretisch und strategisch untermauert. Können Sie das Konzept kurz erläutern?
Uli Hellweg Das Konzept basiert im Prinzip auf einer Kategorisierung von etwa zwei Dutzend Stadträumen, die von der vorindustriellen, dörflichen Siedlung bis zur Solarsiedlung des letzten Jahrzehnts reichen. Wir haben diesen städtebaulichen Typologien Energieverbrauche und differenzierte Sanierungsstrategien zuordnen können. So mussten wir bei der energetischen Sanierung die Wohnsiedlung aus den siebziger Jahren und die Wohnsiedlung aus den zwanziger Jahren – die Periode, in der der Oberbaudirektor Fritz Schumacher gewirkt hat – nicht über einen Kamm scheren.
Wie soll man sich den architektonischen Umgang mit den Gebäuden nach dem Konzept „Erneuerbares Wilhelmsburg“ vorstellen? Die Visionen des Energieatlasses sehen manchmal aus, als sollte ganz Wilhelmsburg eine Photovoltaikplantage werden.
Uli Hellweg Diese Bilder sind ein bisschen Kinder jener Zeit. Die technologische Entwicklung ist darüber heute schon hinweggegangen. Es war zum damaligen Zeitpunk unsere große Hoffnung, die Dächer der Siedlungen aus den sechziger und siebziger Jahren und vor allem die der Industrie- und Gewerbebauten für Solar- oder Photovoltaikanlagen zu nutzen. Allerdings gab es damals die bauteilintegrierte Photovoltaiktechnik noch nicht. Mit den praktischen Beispielen der IBA in der Wohnsiedlung auf der Veddel aus den zwanziger Jahren haben wir einen differenzierten Umgang mit einem Gebäudebestand aufgezeigt. Die Photovoltaikanlagen auf den Dächern sieht man von der Straße nicht. Der Atlas zeigt Vogelschauen, dadurch sind diese Anlagen so präsent.
Wenn ich mir beispielsweise das Weltquartier anschaue, das ja auch prototypisch für die Sanierung des Altbaubestandes stehen soll, dann ist von der Architektur der Altbauten nicht mehr viel zu sehen. Das Stadtbild hat sich mit dem Ansatz der IBA massiv geändert.
Uli Hellweg Ich glaube, man muss hier wirklich in eine Einzelfallbetrachtung gehen. Wir haben uns diese Siedlung im Weltquartier vorher auch unter Stadtbildaspekten angeschaut und waren der Meinung, dass sie gerade im Bezug auf die Gebäudefassaden nicht den gleichen Wert hat, wie die Siedlungsbauten auf der Veddel. Dort sind die Backsteinfassaden sehr stark profiliert. Es gibt Lisenen an den Eingangstüren und dergleichen. Deshalb haben wir sie erhalten. Im Weltquartier war das nicht so. Wir haben die energetische Sanierung dort auch als eine Möglichkeit gesehen, gestalterisch neu anzusetzen. Ob das im Weltquartier in jedem Fall hundertprozentig gelungen ist, darüber kann man sicherlich streiten. Man muss sich aber auch klar machen, dass sich die heutigen Anforderungen an diese Wohnungen von denen aus ihrer Bauzeit fundamental unterscheiden. Es wurden keine Kleinwohnungen mehr gebraucht, sondern große Wohnungen mit mehreren Kinderzimmern. Im Grunde stellte sich eine neue architektonische Aufgabe und nicht die Rehabilitierung eines Bestands.
Im Energieatlas und beim Konzept „Erneuerbares Wilhelmsburg“ geht man davon aus, dass die Energieverbrauche der Gebäude massiv gesenkt werden. Ist das der einzige Weg, um energetisch zu optimieren?
Günter Pfeifer Die bisherigen Energieeinsparverordnungen gehen davon aus, dass man Energieverluste minimiert. Deshalb dämmen wir unsere Häuser so stark und übersehen dabei, dass es ja auch einen anderen Weg gibt – nämlich den, die Energiegewinne zu maximieren. Jedes Dach und jede Wand kann auf einfach Art Energie gewinnen. Seltsamerweise schließt die DIN 18599 das einfach aus, weil man offenbar vor fünfzehn, zwanzig Jahren, als die DIN entstand, der Meinung war, dass Doppelwände dafür nicht kalkulierbar sind. Wir hingegen bauen Häuser, die ohne Dämmung und mit einer ganz minimalen Technik auskommen. Wenn man eine Glasscheibe vor eine Wand stellt, dann hat man auf der Wand sehr schnell eine hohe Erwärmung und die Erwärmung der Wand kehrt den U-Wert um. Wenn man aber eine Rechenmethode anwendet, die von innen nach außen funktioniert, dann ist diese erwärmte Luft 0. In der Energieeinsparverordnung ist das so, da können sie rechnen, soviel sie wollen. Wir sind mit Beginn des 18. Jahrhunderts jeder technischen Entwicklung mit einer weiteren Technik begegnet. Aber wir haben nie die Architektur selbst evaluiert, dabei gibt es so viele architektonische und städtebauliche Elemente, die den Energiegewinn eines Gebäudes steigern können. Das beginnt mit der Gebäudeausrichtung: Wie werden die Gebäude beschienen? Wo kann im Gebäude Wärme gespeichert werden? Mit der Beantwortung dieser Fragen entsteht eine andere Herangehensweise, eine andere Architektur und ein anderer Städtebau als nach der Maxime des Energieeinsparens.
Was meinen Sie, sollte man das Alte bewahren oder für einen radikalen Wechsel in der Architektur plädieren?
Günter Pfeifer Wir müssen überlegen, wie wir diese Systeme auf alte Häuser anwenden. Ich habe für die denkmalgeschützte Gartenstadt in Freiburg, die man nicht dämmen kann, im Auftrag der BBSR eine Methode zur energetischen Sanierung entwickelt: Wir haben auf den mit Biberschwanz gedeckten Dächern auf kleinen Flächen am Dachfirst Luftkollektoren montiert. Sie sammeln die auf der dunkeln Dachoberfläche erwärmte Luft und blasen die gewonnene Wärme direkt in die einzelnen Räume des Hauses. Die Prozessenergien werden gesammelt und über eine Wärmerückgewinnung in die Zwischenräume des doppelschaligen Mauerwerks geführt. Das ist dann unsere Dämmung. Also, es gibt Methoden, Gebäude zu sanieren, ohne sie mit einer Haut zu überziehen. Die Stadt Wolfsburg entwickelt mit dem Berliner Planungsbüro SMAQ eine neue Wohnsiedlung im Stadtteil Hellwinkel. Wir haben die energetischen Berechnung gemacht und konnten zeigen, wie man Gebäude konstruiert, die ohne einen Zentimeter Dämmung auskommen.
Sehen Sie da einen Widerspruch zu Ihrer Position, Herr Hellweg?
Uli Hellweg Nein, ich plädiere nicht dafür, jedes Haus zu überformen. Man muss sich den Einzelfall anschauen und über den Wert der einzelnen Architektur sprechen. Nicht jede Architektur ist per se wertvoll und kann modernen Bedürfnissen angepasst werden. Aber da, wo sie das Stadtbild eines geschlossene Ensembles aus einer bestimmten Zeit prägt, wie das auf der Veddel in Hamburg der Fall ist, da kann man nicht gestalterisch überformen. Dafür braucht man neue Techniken, die man auch immer weiter entwickeln muss. Herr Pfeifer trägt mit seinen Projekten ja dazu bei. Wir haben bei der IBA damals einen anderen Weg gewählt, weil zu der Zeit die technischen Voraussetzungen anders waren. Die Bauten auf der Veddel haben auch ein zweischaliges Mauerwerk. Dort wurde eine Zwangsentlüftung eingebaut, um Schimmelbildung zu verhindern, die Straßenfassaden belassen und die Hoffassaden ganz konventionell gedämmt.
Wie stark soll der Wandel im Umgang mit der Gebäudeenergie überhaupt in die Stadtbildgestal-tung oder auch in den Städtebau einfließen?
Uli Hellweg Wenn es um Neubauten und neue Quartiere geht, dann soll das auch eine ästhetische Gestaltungsaufgabe in Architektur und Städtebau sein. Da meine ich schon, dass das auch sichtbar sein muss. Die IBA hat dafür ja auch ein paar interessante Beispiele realisiert und zur Diskussion gestellt. Aber wenn es darum geht, das Gedächtnis der Stadt zu bewahren, die historische DNA einer Stadt sichtbar zu lassen, dann ist die Neugestaltung meines Erachtens nicht die Hauptaufgabe.
Herr Pfeifer, was sagen Sie dazu?
Günter Pfeifer Die Stadt Wolfsburg ist beim Projekt Hellwinkel so weit gegangen, die Verwendung von Wärmedämmverbundsystemen per Gestaltungssatzung auszuschließen.
Und wie erreichen Sie eine optimale Energieversorgung?
Günter Pfeifer Wir haben das über eine thermodynamische Betrachtung gelöst, und dann erreichen wir mit besonderen Lüftungsgeräten Energiekennwerte von ca. 25 kW/h. Mit einer Wärmerückgewinnung kommen wir zum Teil unter die Passivhausgrenzen von 15 kW/h. Zum Teil wenden wir einfache Techniken wie dezentrale Lüftungs-und Wärmerückgewinnungsgeräte im Fenster an.
Müsste man dann den Energieatlas noch mal neu aufbauen?
Uli Hellweg Nein, man muss ihn weiterentwickeln. Das haben wir ja mit dem „Werkbericht 1“ auch getan. Er ist im Januar dieses Jahres erschienen. Wir haben darin eine sehr differenzierte, kritische Bilanz der Ausgabe aus dem Jahr 2010 gezogen und uns gefragt: Was haben wir bislang erreicht – und was noch nicht?5 Es ist ganz klar: Die Roadmap, die wir 2007 entwickelt haben, wurde 2011 schon differenziert weiterentwickelt und wird es auch in Zukunft werden müssen. Es ändern sich ja nicht nur die technischen Rahmenbedingungen, sondern auch die wirtschaftlichen und die rechtlichen. Die EnEV wird ständig novelliert, oder denken Sie an das Kraftwärmekopplungsgesetz, das jetzt überarbeitet werden soll. Das geschieht alles sehr mit Blick auf die Interessen der Industrie und nicht in dem Sinne, über den wir hier sprechen. Ich könnte mir durchaus auch andere Zielsysteme vorstellen, die man auf anderen Wegen erreicht. Warum nicht einfach die Primärenergiebedarfe festsetzten und es den Architekten und Energieberatern überlassen, wie sie dahin kommen?
Günter Pfeifer Eines stört mich – bei allem Respekt – am Energieatlas: Wenn ich den aufblättere, habe ich nur Bilanzen vor mir. Mir fehlt das architektonische Element. Wir haben uns bemüht, den Architekten zu zeigen, was aus unserer Sicht Urbanität ausmacht. Es geht uns um Zonen vor den Häusern oder eine Konstruktionserläuterung von Kastenfenstern, um sie energetisch sinnvoll einzusetzen. Wir sollten versuchen, praktikable Handreichungen zu geben.
Welche Instrumente wünschen Sie sich, um einen energetisch optima-len und zugleich architektonisch befriedigenden Städtebau zu erreichen?
Günter Pfeifer Städtebau müssten wir so betreiben, dass wir von vornherein wissen, wie die Besonnungsabstände aussehen. Deshalb muss man die Südorientierung geschickt einrichten, dass man möglichst viel Wärme einfängt. Dort, wo es Verschattungen gibt, muss man den Gebäudetyp so wählen, dass man Energien von der anderen Seite her einfängt. Das ist das eine, das andere ist die Systematik der Energiebilanzierung. Diese sollte in erster Linie eine thermodynamische Simulation sein. Dafür gibt es einige Spezialisten in Deutschland. Leider ist die dafür notwendige Planungsintelligenz noch sehr rar. Der sogenannte Energieberater kann sie nicht liefern.
Beim Energieatlas ist die Differenzierung der Stadträume beeindruckend. Sie haben aus den Stadtraumanalysen Typologien entwickelt und darauf unterschiedliche Herangehensweisen an die Gebäudestruktur bei der energetischen Optimierung der Bestands- oder der Neubauten aufgebaut. Wäre es denkbar, die Anregungen von Herrn Pfeifer sozusagen aufzusatteln und den Energieatlas in seiner Struktur zu verfeinern? Der Energieatlas geht ja zunächst grundlegend davon aus, den Energiebedarf der Gebäude auch durch Sanierung und da vor allem durch Isolierungen zu reduzieren.
Uli Hellweg Der Energieatlas ist kein Handbuch für innovative energetische Effizienztechnologien im Gebäude, das stimmt. Sein eigentlicher Ansatz ist, ein Quartierskonzept mit Schwerpunkt Altbau zu realisieren. Wir sind davon ausgegangen, dass 98–99 Prozent der Gebäudesubstanz existieren und nur 1–1,5 Prozent im Jahr neu gebaut werden. Die Energieschlacht wird letztlich im Altbau geschlagen. Dabei geht es dann weniger um die Dämmung einzelner Bauwerke, sondern um die energetische Quartierssanierung. Architektonische und technologische Innovationen, die von Herrn Pfeifer oder anderen entwickelt wurden, lassen sich natürlich hervorragend aufsatteln. Das entspricht ja der Strategie einer differenzierten Betrachtung des Gebäudebestandes. Man soll aber die Wirtschaftlichkeit nicht vergessen. Natürlich ist unheimlich viel machbar, aber ein gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis entscheidet letztlich auch über die Akzeptanz der Maßnahmen.
Ist das, was Sie vorschlagen, teuer?
Günter Pfeifer In Bezug auf die Planungsintelligenz ist es teurer. Aber ich sehe die Architektenhonorar in Deutschland ohnehin als zu gering bewer-tet an, das sei nur am Rande angemerkt. Unsere Devise heißt: So wenig Technik wie möglich oder so viel Technik wie notwendig! Der Einsatz jedweder Technik verringert den Zeitwert eines Gebäudes, und bei Hightech ist dieser besonders kurz. Deshalb sollte möglichst wenig Technik in Häuser eingebaut werden. Wir versuchen, mit natürlichen Kreisläufen und mit nachhaltigen Materialien zu arbeiten. Eine Wärmedämmung aus Polystyrol gehört definitiv nicht dazu! Ich kann mit meiner Methode preiswerter bauen als ein Passivhaus mit viel Dämmung, dicken Fenstern und hoher Technologie wird. Die Architekten haben schon vor zweihundert Jahren aufgehört, die Intelligenz autochthoner Gebäude weiterzuverfolgen. Das war ein Fehler! Wir können kühle Gebäude bauen, wenn wir über Speichermassen Bescheid wissen, wenn wir über Thermik Bescheid wissen oder wenn wir schauen, wie wir Erdkühle in das Gebäude einleiten können. Das geschieht auf eine einfache Weise. Wir brauchen allerdings komplexe Rechenprogramme und eine gute Architektur.
Ein wichtiges Projekt der IBA war der Energieverbund Wilhelmsburg-Mitte. Gemeint ist ein Verbund von Energieverbrauchern und -produzenten, die zu unterschiedlichen Zeiten oder in unterschiedlicher Art aus diesem Verbund Energie entnehmen oder in ihn einbringen. Das System findet dann einen entsprechenden Ausgleich. Kann dieses Modell einen Beitrag zum Thema Stadtgestalt leisten?
Uli Hellweg Ja, vor allen Dingen dann, wenn es sich um eine Mischung von Alt- und Neubau handelt. Ich würde keine Abstriche bei Neubauten machen. Man kann über die Art der Dämmung und das Dämmmaterial diskutieren, aber nicht über die Dämmstandards und die Energieeffizienz der Bauten. Der Vorteil dieser Verbünde liegt darin, dass man die Abstriche bei der Bestandssanierung machen kann. Alle IBA-Neubauten sind zwischen 50 und 80 Prozent energieeffizienter als es die EnEV 2009 vorgeschrieben hat. Die-se Energie kann dann für den Altbaubestand oder für die Beheizung eines Schwimmbades genutzt werden, das ja nie energieneutral sein kann. Gemischte Quartier, in denen durch Gewerbe und Industrie Prozesswärme anfällt, die man für andere Verbraucher nutzen kann, sind für solche Verbünde besonders geeignet.
Günter Pfeifer In diesem Punkt stimme ich ganz mit Ihnen und mit der IBA Hamburg überein. Man muss versuchen, diese Quartiere energetisch zusammenzubinden und das Neue das Alte mitversorgen zu lassen. In städtischen Quartieren wird meiner Meinung nach noch zu wenig über solche Dinge nachgedacht. Dafür brauchen wir aber auch eine andere Stadt- und eine andere Planungstechnologie.
Uli Hellweg Es gibt allerdings sehr viele rechtliche und wirtschaftliche Barrieren zu überwinden. Hier ist insbesondere der Gesetzgeber auf Bundesebene gefordert. Er könnte durch mehr Rechtskonsistenz Fördermittel und Verordnungsaktivitäten einsparen. Wir haben ein Modellprojekt dafür entwickelt, wie ein großer Industriebetrieb seine Prozesswärme in einen Energieverbund einspeisen kann und damit Wohnungen und andere Verbraucher mit Wärme beliefert. Die Infrastruktur liegt schon da, aber es gibt immer noch rechtliche Probleme die Wärme einzuspeisen.
Woran liegt das?
Uli Hellweg Ich glaube, es liegt einerseits an der Aufteilung dieser Thematik in die unterschiedlichen Kompetenzen der Bundesministerien für Wirtschaft, für Finanzen sowie für Umwelt- und Bauen. Andererseits ist das Problem, dass sich der Wärmepreis nach dem Anschluss des Industriebetriebes nicht verändern darf. Denn wenn Investitionskosten für die Heizanlage im Wärmepreis enthalten sind und sie die Kosten für einen eingebauten Brennwertkessel als Modernisierungspauschale umlegen können, macht eine Mischung der Energiequellen in einem Verbund wirtschaftlich keinen Sinn. Die Wohnungsbaugesellschaften würden dann einen finanziellen Verlust machen. Das erklärt, warum an den Energieverbund erst 800 Wohnungen angeschlossen sind, obwohl es schon 3000 Wohnungen sein könnten.
Machen autarke, dezentrale Energiekonzepte für Hamburg oder Wolfsburg Offshore-Windparks und überlandgeführte Hochspannungsleitungen überflüssig?
Uli Hellweg Wir müssen zwischen dezentral und autark unterscheiden. Dezentral heißt auf gar keinen Fall autark. In der Bilanz erzeugt Wilhelmsburg im Jahr vielleicht einen Stromüberschuss von ca. 130 Megawatt, aber das heißt noch lange nicht, dass der Überschuss über das Jahr gleichmäßig anfällt. Es gibt Jahres- und Tageszeiten, in denen wir extreme Überschüsse produzieren und es gibt Zeiten, wo wir importieren müssen. Inwieweit diese Verbundlösungen dann irgendwann Offshore-Anlagen oder Ähnliches ersetzen können, das kann ich nicht beurteilen.
Brauchen wir eine neue Architektur, einen neuen Städtebau, im Zeichen der gewandelten Klimasituation oder können wir mit leichten Modifikationen mit den vorhandenen Stadtstrukturen weiterarbeiten?
Günter Pfeifer Wir brauchen auf jeden Fall einen Neuanfang, aber wir werden deshalb keine gewachsenen Stadtstrukturen abreißen müssen. Wir können sie mit klugen Interventionen ergänzen. Mir schwebt ein Prinzip vor, vergleichbar dem der kommunizierenden Röhren, das die Defizite ausgleicht. Dann hat man eine Serie neuer, hoch effizienter Bauten, die die energetische Sanierung erhaltenswerter Bauten zu vermeiden hilft. Eine wirklich klimagerechte Architektur gibt es noch nicht. Ich schlage des-halb vor, dass wir uns auf die natürlichen, physikalischen Prozesse konzentrieren und mit so gewonnenen Kenntnissen neue Architektur und auch eine andere Art von Städtebau entwickeln, der wieder lokalen Klimabedin-gungen entspricht. Heute haben wir im Grunde genommen im Iran die gleichen Haustypen wie in Südamerika oder in Norddeutschland. Das ist absurd.
Uli Hellweg Ich muss davor warnen, die Stadt so nach einem einzelnen Kriterium neu erfinden zu wollen. Wenn wir uns anschauen, welche Anforderungen unsere Städte lösen sollen, müssen wir zu einem interdisziplinären Dialog zurückfinden. Es geht dabei um das Thema der Mobilität, der sozialen und kulturellen Integration, um die Frage, wie sich Arbeit weiter entwickelt. Dabei spielen die Klima- und Energiespezialisten eine zentrale Rolle, aber wir brauchen auch Leute, die über neue Arbeitsplätze in der Stadt nachdenken, oder über eine verträgliche Mischungen von Nutzungen, die mobilitätsreduzierend wirken. Wir brauchen eine ganzheitliche Stadtplanung, die von einem intelligenten Dialog mit den Bürgern, mit den Politikern aber eben auch mit den verschiedenen Fachdisziplinen geleitet wird.
1 Stadtbauwelt 12.2013
2 Energieatlas Werkbericht 1 – Zukunftskonzept Erneuerbares Wilhelmsburg, Jovis Verlag, 2015
3 Stadtbauwelt 12.2013, S. 14 ff, „Die wahre IBA gibt es nicht“
4 Energieatlas – Zukunftskonzept Erneuerbares Wilhelmsburg, Jovis Verlag, 2010
5 Energieatlas Werkbericht 1, S. 86 ff, Gebäudemonitoring
2 Energieatlas Werkbericht 1 – Zukunftskonzept Erneuerbares Wilhelmsburg, Jovis Verlag, 2015
3 Stadtbauwelt 12.2013, S. 14 ff, „Die wahre IBA gibt es nicht“
4 Energieatlas – Zukunftskonzept Erneuerbares Wilhelmsburg, Jovis Verlag, 2010
5 Energieatlas Werkbericht 1, S. 86 ff, Gebäudemonitoring
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