Bauwelt

Keine Zeit zum Ausruhen!

Freitagnachmittag in einem Kopenhagener Bio-Bistro der lokalen Kette Foodshop no 26. An der Tür strömt das Straßenleben vorbei, das Surren der Fahrräder und Dauerquasseln der Kleinkinder; alle zwei Minuten zischt der Milchschäumer an der Theke. Trotz des Lärmpegels sitzt Tina Saaby Madsen, Stadtarchitektin von Kopenhagen, kurz vor dem Wochenende lieber hier für ein Gespräch als in ihrem Büro um die Ecke

Text: Crone, Benedikt, Berlin

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    Zum Interview Café statt Büro: Tina Saaby Madsen im Foodshop no. 26
    Foto: Benedikt Crone

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    Zum Interview Café statt Büro: Tina Saaby Madsen im Foodshop no. 26

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    Neue Radwege sollen in Kopenhagen auch Spaß machen
    Foto: Ursula Bach

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    Neue Radwege sollen in Kopenhagen auch Spaß machen

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    Die Umgestaltung der Platzfläche über dem unterirdischen Bahnhof Nørreport hat die parkenden Fahrräder aufgeräumt
    Foto: Ursula Bach

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    Die Umgestaltung der Platzfläche über dem unterirdischen Bahnhof Nørreport hat die parkenden Fahrräder aufgeräumt

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    Kopenhagen soll grüner werden. Blick auf den Israels Plads im Zentrum von Kopenhagen
    Foto: Benedikt Crone

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    Kopenhagen soll grüner werden. Blick auf den Israels Plads im Zentrum von Kopenhagen

    Foto: Benedikt Crone

Keine Zeit zum Ausruhen!

Freitagnachmittag in einem Kopenhagener Bio-Bistro der lokalen Kette Foodshop no 26. An der Tür strömt das Straßenleben vorbei, das Surren der Fahrräder und Dauerquasseln der Kleinkinder; alle zwei Minuten zischt der Milchschäumer an der Theke. Trotz des Lärmpegels sitzt Tina Saaby Madsen, Stadtarchitektin von Kopenhagen, kurz vor dem Wochenende lieber hier für ein Gespräch als in ihrem Büro um die Ecke

Text: Crone, Benedikt, Berlin

Kopenhagen hat sich große Ziele gesetzt: Bis 2025 will die dänische Hauptstadt CO2-neutral sein. Derzeit stößt sie rund zwei Millionen Tonnen Kohlendioxid im Jahr aus, das entspricht circa 3,6 Tonnen pro Einwohner. In den kommenden zehn Jahren soll die Emission auf etwa 400.000 Tonnen reduziert werden. Den Welttitel der fahrradfreundlichsten Großstadt hat sich Kopenhagen längst erarbeitet, aber auch hier will die Stadt noch zulegen. Außerdem sollen Bewohner und Besucher mehr Zeit im Freien verbringen und häufiger zu Fuß gehen. Den Einfluss, den der geringere Autoverkehr und die steigende Qualität des öffentlichen Raums auf Luft und Klima haben, ist für Tina Saaby Madsen kein Nebeneffekt, sondern vielmehr ein Mittel im Kampf gegen den Klimawandel.
Tatsächlich sieht der offizielle Klimaplan von Kopenhagen bis 2025 vor, dass 75 Prozent aller Wege in der Stadt zu Fuß, per Rad oder mit dem öffentlichen Nahverkehr zurückgelegt werden. Letzterer soll dafür auch komplett CO2-neutral abgewickelt und etwa ein Drittel aller motorisierten Fahrzeuge sollen mit Elektrizität, Wasserstoff, Biogas oder Bioethanol betrieben werden. Ein stadtweites Netz an Leihrädern mit zusätzlichem Elektroantrieb ist bereits eingerichtet worden, das bisher allerdings weniger genutzt wird als erwartet.
Insgesamt gingen 2013 „nur“ 24 Prozent aller Kohlendioxid-Emissionen auf den Verkehr zurück – genausoviel wie auf die Produktion der Fernwärme. Als größte CO2-Quelle gilt in Kopen-hagen die Stromversorgung, mit einem Anteil von 48 Prozent. Handlungsbedarf sieht die Stadt daher vor allem im Gebäudesektor und hier besonders bei den Bauten der sechziger und siebziger Jahre, welche über schlechte Energiewerte verfügen.
Die Ziele für die nähere Zukunft sind präzise formuliert. In zehn Jahren sollen Privathaushalte zehn Prozent und private Unternehmen zwanzig Prozent weniger Strom und zehn Prozent weni-ger an Heizenergie verbrauchen als heute. In öffentlichen Gebäuden soll – mit bestem Beispiel vorangehend – der gesamte Energieverbrauch sogar um vierzig Prozent reduziert werden. Bei der Energiegewinnung setzt Kopenhagen auf den Ausbau von Biogasanlagen und Windparks. Die Lage der Stadt an einer Meerenge begünstigt dies. Handlungsbedarf sieht Tina Saaby Madsen vor allem noch bei der Müllentsorgung, hier liegt Kopenhagen im Vergleich mit anderen Städten West- und Nordeuropas nur im Mittelfeld. Auch auf mögliche Folgen des Klimawandels wie Extremwetter und starke Regenfälle will man sich vorbereiten: mit mehr Grünflächen, Sickerungsmulden und neuen Entwässerungssystemen.
Wenn man durch Kopenhagen läuft meint man, hier sei vieles erreicht, von dem andere Kommunen nur träumen können. Die Stadt gilt Politikern und Planern weltweit als Paradebeispiel einer gelungenen Entwicklung. Was machen Sie anders?
Die Situation heute geht sicher auf viele Einzelinitiativen zurück, die zusammen ihre Wirkung entfalten und sich nun im öffentlichen Leben zeigen. Es ist aber nicht so, dass wir nicht auch von anderen Städten lernen: zum Beispiel von Berlin beim Ausbau der Grünflächen oder von Hamburg bei der Entwicklung des Hafens. Was bei uns vielleicht anders läuft, ist die Arbeitsweise, die Ausrichtung der Stadtverwaltung. Lange Zeit ging es nur darum, einen Stadtteil zu entwickeln. Dann bat uns die Politik, uns auf größere, übergreifende Ziele zu einigen. Diese Ziele – formuliert unter anderem in einem Klimaplan, einem Radverkehrsplan und einem Plan für das öffentliche Leben – haben wir erarbeitet und in Richtlinien übertragen. Jeder meiner Kollegen muss sich nun die Frage stellen: Was kann ich in meinem kleinen Aufgabenfeld aber auch als Bewohner dieser Stadt dazu beitragen, sie lebenswerter zu machen? Wichtig ist dabei, das Projekt auch ändern zu können, also offen und flexibel zu sein, solange wir das Ziel nicht aus den Augen verlieren.
Ist das ein idealistischer oder ein pragmatischer Ansatz?
Pragmatisch. Wir sind der Überzeugung, dass wir unsere Strategien immer wieder neu justieren und an Ort und Menschen anpassen müssen. Die Zeit der Funktionstrennung war einem falschen Denken aufgesessen: Alle Menschen sind gleich, also haben sie auch die gleichen Bedürfnisse. Inzwischen wissen wir, dass nicht jede Frau glücklich ist, wenn sie einfach nur eine Küche von der und der Größe bekommt. Menschen sind verschieden – und die Gesellschaft wandelt sich permanent.
Um diesem Wandel gerecht zu werden, sammelt Kopenhagen Daten über das Verhalten seiner Bewohner und der Besucher im öffentlichen Raum. Das lässt Gedanken an die rationalisierte Stadtplanung der Moderne oder zumindest an Google aufkommen.
 Sicherlich muss man sich bei manchen Daten überlegen, ob sie nützlich sind. Eine in meinen Augen sinnvolle Erhebung bietet eine neue App, die wir entwickelt haben. Auf ihr können Bewohner verorten, wo sie auf ein Problem gestoßen sind. Wenn man beispielsweise über ein Schlagloch stolpert, kann man es an Ort und Stelle vermerken. Dann ist unser Einsatz gefragt.
Neue Technologien sind im Kampf gegen den Klimawandel für viele Menschen Ursache und Hoffnung zugleich. Mit welchen Mitteln will Kopenhagen sein Ziel, bis 2025 CO2-neutral zu werden, erreichen?
Technische Lösungen sind sicher nur ein Teil der möglichen Antworten. Wir haben vor allem auf Windenergie umgerüstet und beispielsweise alle Straßenlampen mit LED-Leuchten ausgerüstet – was sehr viel ausmacht! Ganz weit oben steht bei uns aber die Radstrategie. Wenn man sich ansieht, wie viel der Ausbau einer fahrradfreundlichen Stadt kostet und was der Autoverkehr an Infrastruktur und Folgekosten nach sich zieht, halte ich hier unser Geld für bestens investiert, für das öffentliche Leben und für den Klimawandel. Dabei hilft natürlich auch die überschaubare Größe von Kopenhagen.
Auf dem Weg zu Ihnen habe ich ein neues Ergebnis der Radstrategie passiert: die Cykelslangen (dänisch für „Radschlange“). Dieses Stück Infrastruktur bereitet seinen Nutzern unbestritten Freude beim Herabgleiten. In anderen Städten scheint mir ein solches Projekt kaum vorstellbar. Erleben Sie auch Ablehnung beim Ausbau des Radverkehrs? 
Es gibt natürlich Menschen, die sich darüber ärgern, weil sie keinen Parkplatz finden. Aber so gut wie jeder in dieser Stadt hat ein Fahrrad. 55 Prozent der Kopenhagener nutzen das Rad täglich, diese Zahl wollen wir noch steigern. Wichtig ist hier der Dialog mit den Leuten: zu reden und zu fragen, wie man den Radverkehr verbessern kann. Die Cykelslangen ist dafür nicht nur eine einfache Infrastruktur, die Räume verbindet. Sie soll der gesamten Radstrategie einen neuen Impuls geben und uns als Aushängeschild dienen. Wir müssen den Leuten immer wieder etwas Neues bieten, um sie fürs Radfahren zu begeistern.
Warum brauchen Sie dafür Titel wie den der „Fahrradfreundlichsten Stadt der Welt“? Geht es Ihnen auch darum, Kopenhagen zu einer Marke zu entwickeln und auf diese Weise gezielt Arbeitskräfte und Touristen anzulocken?
Heute trifft das zu. Aber als Kopenhagen sich auf die Radstrategie verständigte, war eine Marken-Entwicklung kein Thema. Außerdem hat der besondere Blick auf den öffentlichen Raum in Kopenhagen schon Tradition. In den fünfziger Jahren wurde hier eine der ersten Fußgängerzonen der Welt eröffnet. Auch die Fahrradkultur ist in Kopenhagen seit Jahrzehnten stark ausgeprägt. In den Achtzigern stand die Stadt wiederum am Rande des Zusammenbruchs. Niemand hat damals ahnen könnnen, was sich zwanzig bis dreißig Jahre später entwickeln würde.
Nun gelten Sie als Vorzeigestadt für den Radverkehr und stehen deswegen vor einem anderen Problem: Wohin mit all den parkenden Fahrrädern?
Gute Frage. Irgendeinen Vorschlag?
Der letzte Schrei aus Japan ist wohl ein elektronisches Parksystem, mit dem man Räder in unterirdischen Metallzylindern verschwinden lassen kann.

Wir haben uns das Radverhalten der Kopenhagener angesehen: Sie nutzen das Rad, weil das Losfahren und Abstellen schnell und einfach geht. Wenn man das Rad kompliziert an einer Maschine abgeben muss, wird diese Anlage niemand nutzen. Wir müssen uns eher darum kümmern, das Radstellplätze besser in die Gestaltung der öffentlichen Räume integriert werden. Landschaftsarchitekten haben manchmal die Angewohnheit, einfach nur „Fahrrad“ an die entsprechenden Stellen ihres Plans zu schreiben. COBE Architects haben vor der neuen Nørreport-Station, dem am meisten genutzten Bahnhof von Kopenhagen, etwas anderes versucht: Das Büro senkte vor und hinter dem Eingang zur Station den Platz an mehreren Stellen etwas ab, sodass Fahrräder in Mulden unterhalb der üblichen Augenhöhe geparkt werden können – aber nicht gleich in einem Loch verschwinden. Das hält den Blick frei und zwingt die vielen Räder, die sich immer so unschön clustern, zu einer Ordnung.
Wie können Sie als Stadt solche Ideen stimulieren?
 Wir setzen bei Planungen in der Regel voraus, dass Flächen für den Radverkehr und Radstellplätze vorgesehen werden. In dem Fall der neuen Nørreport-Station schlugen COBE Architects die abgesenkten Bereiche in einem Wettbewerb vor. Ich halte Wettbewerbe für gute Ideenlieferanten – offene Wettbewerbe allerdings für betriebswirtschaftlich fraglich. Stattdessen schätze ich Verfahren, bei denen die Stadt in einen Dialog mit Planern treten kann, damit gute Ideen wie diese nicht nur entdeckt, sondern auch ausgebaut werden können.
Blickt man auf Kopenhagener Architekturprojekte des letzten Jahrzehnts – zum Beispiel auf den Stadtteil Ørestad – scheint vieles zwar nachhaltig, aber klassische natürliche Baumaterialien finden selten Verwendung. Nehmen Sie als Stadt Einfluss auf die Materialwahl bei Neubauprojekten?
Ja. Wir machen bei Plänen weniger Vorgaben zu Größen und Umfang der Bauprojekte als zu deren Charakter – und als Teil des Charakters verste-hen wir auch das Baumaterial. Pläne für Projekte wie Ørestad stammen teilweise noch aus den neunziger Jahren. Inzwischen werden vor allem wie-der häufiger Ziegel bei Neubauten verwendet, was mich sehr freut, da es ein sehr widerstandsfähiger Baustoff ist. Ein fantastisches Projekt mit
einer haptischen, fast reliefartigen Wandstruktur aus Ziegeln entsteht beispielsweise gerade im Entwicklungsgebiet Carlsberg, entworfen von dem kleinen dänischen Büro Praksis Arkitekter.
Ein anderes aktuelles und grünes Projekt ist ØsterGro: eine große Gartenfläche auf dem Dach eines alten Parkhauses im Stadtteil Østerbro. Urban Gardening ist seit Jahren angeblich ein Trend, begrünte Dächer in dem Format von ØsterGro sieht man aber tatsächlich selten. Warum dauert die Entwicklung so lange?
Urban Gardening ist eine klassische Bewegung, die nicht von oben, also Top-Down, durchgesetzt werden kann, sondern von unten, von Eigentümern, Bewohnern und Nachbarn, getragen werden muss. Es macht keinen Sinn, dass wir als Stadt bei Neubauten Dachgärten vorschreiben, die am Ende niemand pflegt. Außerdem sind viele Bestandsbauten für die Lasten eines Gartens gar nicht gerüstet. Auf einem Parkhaus für Autos ist das kein Problem. Interessant an ØsterGro ist aber auch die Entstehungsgeschichte. Einer meiner Kollege hat vor Ort Anwohnern den Gedanken un-terbreitet, dass man auf das Parkhaus doch einen Garten setzen könnte. Die Idee machte die Runde, erst passierte nichts, dann meldeten sich
Anwohner bei meinem Kollegen und fragte nach einer Genehmigung zur Umnutzung und einer verwaltungstechnischen Unterstützung. Dieser Anstoß ist ein Konzept unseres Nachbarschaftsprogramms.
Was steckt dahinter?
 Beim Nachbarschaftsprogramm begibt sich ein Kollege für eine bestimmte Zeit in einen Stadtteil und siedelt sich mit seinem Büro in einem Erdgeschoss an. Dann geht er oder sie in die Nachbarschaft, redet mit Leuten und hört ihnen zu, um herauszufinden: Was ist besonders an diesem Stadtteil? So schöpfen wir lokales Wissen und geben Anstöße für neue Projekte.
Mit Blick auf den nächsten Klimagipfel in Paris ist auch gute Kommunikation gefragt. Wie können westliche Städte mit ihrer Vergangenheit, ihrer Suburbanisiserung und ihrem Ressourcenverbrauch Städte in China oder Brasilien vor der Wiederholung alter Fehler warnen, ohne sie zu bevormunden?
 Wir haben für den Erfahrungsaustausch mit den Berufskollegen von außerhalb ein Besucherzentrum eingerichtet. Hier arbeitet eine kleine Gruppe von Fachleuten, die interessierte Planer und Vertreter anderer Städte durch Kopenhagen führt und deren Fragen beantwortet. Sich zu öffnen, ein Gespräch anzubieten und Erfahrungen auszutauschen, hilft vermutlich am besten, um an einem Strang zu ziehen. Delegierte aus China waren übrigens in diesem Jahr die häufigsten Nutzer unseres Angebots. Ich merke auch, dass es in China viele Planer gibt, die bereit sind, die bisherige Entwicklung in eine andere Richtung zu lenken, erste Ansätze sind auch schon zu erkennen. Ich bin mir sicher: Wenn eine Nation einen schnellen Kurswechsel schafft, dann ist das China.
Fakten
Architekten Saaby Madsen, Tina, Kopenhagen
aus Bauwelt 36.2015
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