Bauwelt

„Wir sprechen nicht über dasselbe“

Interview mit Yona Friedmann und Pancho Guedes

Text: Hoetzel, Dagmar, Berlin

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Yona Friedman (links) und Pancho Guedes
Foto: Dagmar Hoetzel

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Yona Friedman (links) und Pancho Guedes

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„Wir sprechen nicht über dasselbe“

Interview mit Yona Friedmann und Pancho Guedes

Text: Hoetzel, Dagmar, Berlin

Yona Friedman und Pancho Guedes über Team 10, Le Corbusier, die Über-Professionalisierung von Architekten, Kurt Schwitters und was man Architekturstudenten mit auf den Weg geben sollte
Zwei Architekten einer Generation, die unterschiedlicher kaum sein können: Pancho Guedes hat fern von Europa und von kulturellen und sozialen Zwänge ein imposantes, ex­zentrisches und gestalterisch vielfältiges Werk von annähernd 500 Bauten geschaffen, während Yona Friedman, geprägt von der Erfahrung des Zweiten Weltkriegs, in seinen Visionen und Manifesten die Freiheit, das eigene Lebensumfeld selbst zu gestalten in den Vordergrund stellt und dem Architekten eher eine passive Rolle zuspricht. Sie bewegten sich zur selben Zeit an den Rändern der Nachkriegs-Avantgarde, trafen sich aber nie persönlich. Im Juli 2009 ergab sich in Venedig die Gelegenheit, sie zu einem Gespräch zusammenzubringen.
Yona Friedman | Wir haben es hier mit einem Zwiegespräch der Schwerhörigen zu tun. Wir repräsentieren auf jeden Fall eine bestimmte Altersgruppe, die der Achtzigjährigen. Ich bin 86 Jahre alt
Pancho Guedes | Und ich bin 84.
Yona Friedman | Dann sind Sie geradezu ein Jüngling. Ich habe gehört, dass Sie 1956 beim CIAM X in Dubrovnik dabei waren.
Pancho Guedes | Nein, ich habe mich Team10 später an­geschlossen. 1960 traf ich die Smithsons, und 1962, bei dem Team10-Treffen in Royaumont, dann alle anderen.
Yona Friedman | Ich kenne Team10 von Dubrovnik her, John Voelcker und die Smithsons. Zu diesem Treffen kam Le Corbusier nicht mehr, aber er schrieb einen Brief.
Pancho Guedes | Le Corbusier schrieb, dass er es nun in die Hände der Jugend übergeben wolle, die wieder einen Neubeginn machen sollte, wie er es in seiner Jugend gemacht hatte. 
Yona Friedman | Ich kannte Corbusier seit 1949, und für mich war es ganz logisch, dass er sich von dem lösen wollte, was er über eine derart lange Zeit gemacht hat. Ich denke, Corbusier war des Mainstreams überdrüssig, zu dem CIAM geworden war, und er konnte nicht mehr erkennen, dass sich irgendetwas Neues hieraus entwickeln würde. Er hatte mit Ronchamp einen Bruch vollzogen und wollte sich nicht selbst wiederholen.
Würden Sie sich als Utopisten bezeichnen?
Yona Friedman | Ich bin kein Utopist – das trifft es nicht. Ich bin in meiner Ausbildung sehr stark von den Protagonisten des Bauhauses beeinflusst worden, und das Bauhaus war auf der Suche nach dem, was „das Beste“ für die Leute ist. Ich habe aber herausgefunden, dass die Menschen ganz dezidierte Vorstellungen von dem haben, was sie mögen. Sie können es nur nicht ausdrücken. Ich muss also Wege finden, eine Methode oder Technik entwickeln, um ihnen zu helfen, das umzusetzen, was sie sich wünschen. 
Pancho Guedes | Ich bin mein eigenes Utopia. Alle Gesellschaften hängen von Autoritäten ab, und die bestimmen die Regeln und Gesetze. Eine eklektische, chaotische Gesellschaft kann aber auf sich selbst aufpassen. Venedig beispielsweise könnte viel erfolgreicher sein, wenn es sich aufspaltete in kleine Einheiten, die keine übergeordnete Stadtverwaltung über sich hätten. 
Aber Sie sind Architekt ...
Pancho Guedes | Na ja, so ganz stimmt das nicht, ich bin Künstler-Architekt.
Yona, nennen Sie sich selbst einen Architekten?
Yona Friedman | Ich bin ein besonderes Tier. Soll heißen, ein Tier ist ein Lebewesen ohne Spezialisierung. Nur als Beispiel (hebt das Glas): Jetzt ist trinken mein Beruf, jetzt ist mein Beruf sitzen (zeigt auf den Stuhl). Ich glaube, Architekten haben sich selbst überprofessionalisiert. Sie haben Scheuklappen und genau das mag ich gar nicht. 
Pancho Guedes | Ja, ganz schrecklich. Sie warten immer auf die ganz große Aufgabe, die sie aber nicht allein erledigen, sondern für deren Bewältigung sie eine ganze Zahl von Leuten anstellen müssen, und in den meisten Fällen sind sie so zum Scheitern verurteilt.
Yona Friedman | Auf ihre Art ist diese Überspezialisierung die größte antidemokratische Angelegenheit. Dass der Profi besser weiß, was gut für mich ist, an diese Idee glaube ich nicht. Alle meine architektonischen Vorstellungen beginnen mit soziologischen Überlegungen. Für mich ist Bauen ein Prozess. 
Pancho, in Ihrer Auffassung gibt der Architekt den Bauten eine Form?
Pancho Guedes | Ja, man gibt den Bauten eine Gestalt. Mit einem gewissen Fingerspitzengefühl kann man Gebäude machen, die sich einpassen. Häufig stehen sie aber auch in Opposition zum Bestand und machen so Städte lebenswert. Anders als Städte aus einem Guss, die Diktatoren über den Grundriss einer gewachsenen Stadt gestülpt haben.
Für Sie beide hat Kurt Schwitters eine gewisse Bedeutung.
Pancho Guedes | Ja, ein großer Architekt.  
Yona Friedman | Ich stimme dem weitgehend zu. Ich finde das wichtigste bei Schwitters jedoch die Improvisation. Ich habe eine Reihe von Dingen gemacht, die ich „irreguläre Strukturen“ genannt habe. Davon kann man keine Pläne machen. Ich habe eine kleine Privatphilosophie: „Intelligenz beginnt mit Improvisation“ – also genau das Gegenteil der normalen architektonischen Praxis mit ihrer Über-Planung. Ich habe mal ein kleines Museum gebaut, direkt vor Ort, ohne Pläne, einen Schritt nach dem anderen, alles improvisiert. Der Kommunikationsprozess war dabei das wichtige.
Pancho, Sie kennen diese Art des Bauens ohne Pläne, das Bauen mit nicht ausgebildeten Leuten, die keine Pläne lesen können?
Pancho Guedes | Ja, und das funktionierte ganz wunderbar. Die Leute fühlten sich sehr stark mit ihrer  Gemeinschaft verbunden. Als wir einmal eine Schule bauten, gingen alle los und sammelten Steine von den Feldern, um Beton her­zustellen. Dann legten wir eine große Zisterne an, denn wir mussten das Regenwasser sammeln und über die Trockenzeit aufbewahren. 
Warum halten Sie Schwitters für einen Architekten?
Pancho Guedes | Er brachte eine Reihe von Gegenständen in sein Haus und baute sie dort ein, in eigens hergestellte Erker und Nischen. Alles war symbolisch für ihn. Es wuchs sich zu einem regelrechten Gebäude aus, es geht durch den Boden, stößt hindurch, auf eine nicht ganz unähnliche Weise wie bei Gaudí. Seine Forderung war, dass jede Wohnung anders sein sollte, keine Wiederholung – eine Feier der Individualität. 
Was würden Sie Studenten raten, um ihren Horizont zu erweitern?
Yona Friedman | Ich würde sie für drei Wochen in die Fabrik schicken oder auch drei Wochen als Bauer auf das Feld, vielleicht sollten sie auch als Fischer arbeiten. Dann würde ich ihnen raten, irgendwo in der Welt in armen Gegenden mit wenig Geld zu leben. Also versuchen, ein Bild von der Wirklichkeit zu bekommen. Dann können sie anfangen, eigene Ideen zu entwickeln. Ich werde oft gefragt, wer mein Lehrer war. Darauf sage ich immer, der Zweite Weltkrieg. Dort musste ich das Überleben lernen. Ich lebte in einer Stadt, in der es keine Wasserversorgung und keine Elektrizität gab, keine Fenster, keine Heizung.  Ich weiß, dass Überleben die einzig wichtige Sache ist, da ist Architektur schlichtweg nutzlos. Ich respektiere sehr, was Pancho geschaffen hat – aber wir sprechen nicht über dasselbe. Das Beispiel Schwitters: Ich bin an der gesellschaftlichen Seite interessiert und nicht an der künstlerischen.
Pancho, was würden Sie als Lehrer anders machen?
Pancho Guedes | Lehrt die Studenten das Zeichnen, mit dem Bleistift, in Tinte, lehrt sie Pläne zeichnen. Dann würde ich sie die Architekturgeschichte lehren, und ich rate den Hochschulen, Busse anzuschaffen und jede Woche mit Studenten zu ausgewählten Plätzen zu fahren, um ein Kloster oder eine neue Siedlung anzuschauen, sich das Gefühl an einem Ort einzuprägen und kritisch zu werden und empfänglich zu sein für die Dinge.
Fakten
Architekten Friedmann, Yona, Paris; Guedes, Pancho, Johannesburg/Lissabon
aus Bauwelt 4.2014
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