Wohnen hinter dem Lärmschutzwall
Am Rande eines Einfamilienhausgebiets von Wunstorf wurden fast siebzig Jahre lang Tiefkühlgerichte hergestellt. Heute ist das Areal nahe der Wunstorfer Innenstadt ungenutzt. In dem Wettbewerb „Entwicklung des ehemaligen VION-Geländes“ wurde nach Lösungen für ein Wohngebiet auf dem Konversionsareal gesucht. Unser Autor war Jurymitglied und berichtet von den Entwürfen.
Text: Lehmann, Robert, Berlin
Wohnen hinter dem Lärmschutzwall
Am Rande eines Einfamilienhausgebiets von Wunstorf wurden fast siebzig Jahre lang Tiefkühlgerichte hergestellt. Heute ist das Areal nahe der Wunstorfer Innenstadt ungenutzt. In dem Wettbewerb „Entwicklung des ehemaligen VION-Geländes“ wurde nach Lösungen für ein Wohngebiet auf dem Konversionsareal gesucht. Unser Autor war Jurymitglied und berichtet von den Entwürfen.
Text: Lehmann, Robert, Berlin
Wunstorf ist ein gefragter Wohnort. Direkt am Steinhuder Meer gelegen, vor den Toren der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover, wächst die Stadt stetig und zählt rund 40.000 Einwohner. Nur wenige Gehminuten von der Fußgängerzone entfernt und in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof befinden sich die von der Vorkriegszeit geprägten Wunstorfer Wohnsiedlungen. Inmitten dieser Kernstadt liegt seit 2014 eine damals gewerblich genutzte, sechs Hektar große Fläche brach. Über einhundert Jahre lang wurden dort Nahrungsmittel produziert. Der Verfall begann Ende 1999, als sich die Firma Langnese-Iglo wegen der fehlenden räumlichen Entwicklungsperspektiven zurückzog. 2014 schloss die Vion Food Group die Produktionsstätten.
Im Jahr 2015 lobten Stadt und Eigentümer der Brache den nichtoffenen städtebaulich-freiraumplanerischen Wettbewerb „Entwicklung des ehemaligen VION-Geländes“ mit vorgeschaltetem Bewerbungsverfahren aus. Zwölf Büros machten sich an die nicht einfache planerische Aufgabe, auf dem Areal ein Wohnquartier zu entwickeln, welches sich in die bestehenden Siedlungen einfügt. Eine besondere Klärung und städtebauliche Lösung bedurfte das vorhandene Immissionsproblem. Das Areal wird südlich von Gleisstraßen und einer Bundesstraße in Hochlage begrenzt. Die erhebliche Lärmbelastung, insbesondere zu Nachtzeiten, schränkte bis dahin das Entwicklungspotenzial deutlich ein.
Bereits im Verlauf der Jurysitzung wurde deutlich, dass der städtebaulich-freiraumplanerischer Umgang mit dem Lärmschutzbauwerk grundlegend für die Entscheidung war. Dieser sollte einen Mehrwert für das Quartier erzeugen. Einige Entwürfe zeigten Lärmschutzwände mit einer Höhe von über 10 Metern; aus Sicht der Jury eher unrealistische Rahmenbedingungen für die dahinter anschließende Wohnbebauung. Ein wichtiges Entscheidungskriterium war ein angemessener, städtebaulicher „Wunstorfer Maßstab“. Im Februar wurden vier Arbeiten durch das Preisgericht prämiert. „Mit großer Klarheit“ lösten Octagon Architekturkollektiv zusammen mit Rudolph Langner – STATION C23 das Problem des Lärmschutzes (1. Preis). Nach Auffassung der Jury entwickelt der Siegerentwurf aus dieser städtebaulichen Pflichtübung eine eigene Qualität. Denn das Lärmschutzbauwerk ist auf der Nordseite als Parkanlage gestaltet, die sich in dieser Form „als ein Geschenk an die Stadt erweisen“ kann. Das Quartier fügt sich selbstverständlich strukturell in die nähere Umgebung ein. Hinsichtlich der konkreten architektonischen Umsetzung bietet der Entwurf eine große Flexibilität.
Der dritte Preis wurde an Stefan Giers Architektur & Landschaft in Kooperation mit toponauten landschaftsarchitektur Gesellschaft mbH vergeben. Nach Ansicht des Preisgerichts nutzt die Arbeit „die Notwendigkeit eines baulichen Lärmschutzes als Chance, den Wall als landschaftliches Element so zu entwickeln, dass ein großzügiger Freiraum für das Quartier entsteht, der den neuen Ort positiv besetzt“. Die anerkannte konzeptionelle Idee der Architekten Poos Isensee mit Grün plan Landschaftsarchitekten beantwortet das Lärmproblem mit einem hohen Schutzwall, auf den eine flach absteigende Wohnbebauung folgt. Die Verbannung des Autoverkehrs aus dem Inneren des Quartiers wird positiv bewertet. Aus Sicht der Jury stellt dieser Beitrag eine „städtebaulich inspirierende Lösung“ dar. Kritisch wurde gesehen, dass der Entwurf in einem Bauabschnitt realisiert werden müsste.
Die Arbeit von Gesamtkonzept Architekten mit Dröge + Kerck Landschaftsarchitekten bekam ebenfalls eine Anerkennung. Der Entwurf fügt sich in seiner Maßstäblichkeit und hinsichtlich den Dachformen gut in die Umgebung ein. Die „skulpturale Wallausprägung“ ist zwar eine konsequente Antwort auf die Lärmschutzanforderung, jedoch wird ein „Mehrwert des Bauwerks für die Anwohner vermisst“.
Die Wettbewerbsbeiträge zeigen, wie unterschiedlich und vielzählig die Lösungsmöglichkeiten sind. Jeder der Beiträge schaffte es, Impulse für die Stadtentwicklung im Wunstorfer Osten zu setzen. Der Siegerentwurf stellt einen guten Ausgangspunkt dar, die nächsten Schritte zu gehen und die Umsetzbarkeit und Kosten zu prüfen und einen entsprechenden Bebauungsplan voranzutreiben. Dafür müssen sich jetzt Stadt und Eigentümer auf Investorensuche begeben.
Nichtoffener städtebaulich-freiraumplanerischer Wettbewerb
1. Preis Octagon Architekturkollektiv mit Rudolph Langner - Station C23, Leipzig
3. Preis Stefan Giers Architektur & Landschaft, München mit toponauten landschaftsarchitektur Gesellschaft mbH, Freising
Anerkennung Poos Isensee mit Grün plan Landschaftsarchitekten, Hannover
Anerkennung Gesamtkonzept Architekten mit Dröge + Kerck Landschaftsarchitekten, Hannover
3. Preis Stefan Giers Architektur & Landschaft, München mit toponauten landschaftsarchitektur Gesellschaft mbH, Freising
Anerkennung Poos Isensee mit Grün plan Landschaftsarchitekten, Hannover
Anerkennung Gesamtkonzept Architekten mit Dröge + Kerck Landschaftsarchitekten, Hannover
0 Kommentare