Die letzte Form
Das vom niederländischen Architekten Mart Stam gegründete Institut für industrielle Gestaltung prägte das ostdeutsche Design nachhaltig. Eine Ausstellung widmet sich der Aufbruchsphase.
Text: Kasiske, Michael
Die letzte Form
Das vom niederländischen Architekten Mart Stam gegründete Institut für industrielle Gestaltung prägte das ostdeutsche Design nachhaltig. Eine Ausstellung widmet sich der Aufbruchsphase.
Text: Kasiske, Michael
Dass Alltagsgestaltung Gegenstand von Politik wird, mehr noch: Der Staat sich anheischig macht vorzugeben, welche Formen das Volk bilden sollen, erscheint heutzutage abwegig. Die beiden Machtblöcke hingegen, die in der ersten Phase des Kalten Krieges im einstigen Nazi-Deutschland aufeinander trafen, beanspruchten auch mit Produktdesign die jeweilige Gesellschaftsform zu festigen. Die Erzeugnisse der jungen DDR sind Gegenstand der Ausstellung im Werkbundarchiv-Museum der Dinge, ausgerichtet von der Stiftung Industrie- und Alltagskultur, deren Zweck das Erschließen „der industrie- und alltagskulturellen Prozesse für die öffentliche Meinungsbildung insbesondere durch Unterstützung der Sammlung Industrielle Gestaltung“ ist.
Die zentrale Figur ist Mart Stam (1899−1986). Als Bauhäusler und von 1930 bis 1934 in der „Brigade“ von Ernst May für die Sowjetunion tätig, war der niederländische Architekt prädestiniert, dem neu gegründeten Staat auch formal ein Antlitz zu verleihen, das sich von der dunklen Vergangenheit abhob. 1948 wurde er zum Direktor der Hochschule für Werkkunst und auch der Akademie der Künste nach Dresden ernannt, die er zur „BAUSCHULE stattliche hochschule für freie und industrielle Gestaltung“ vereinigen wollte.
Die Aufgabe Stams war „eine besondere Kategorie von Gestaltern heranzubilden, deren Aufgabe es sein soll, künftig der Industrie zu einwandfreien, künstlerischen Formen zu verhelfen.“ Verstanden als Hilfe „beim Aufbau des Sozialismus“, widmete er sich neben dem Wiederaufbau Dresdens intensiv dem Schulbetrieb, berief frühere Kollegen wie Marianne Brandt und Herbert Hirche. Intrigen der freien Künstler sorgten schon 1950 für seine Abberufung an die neu gegründete Kunsthochschule in Berlin-Weißensee, wo „unter besonderer Berücksichtigung der Industrieproduktion gelehrt und gearbeitet werden sollte.“ Das von Stam eingeführte fächerübergreifende Grundlagenstudium nahm des Faden des Bauhauses auf.
In der Position des Direktors gelang Stam die Gründung eines „Instituts für Industrielle Gestaltung“ (IFIG), das abseits der Lehre „einerseits Forschungs- und Entwicklungsarbeit auswertet, andererseits Entwurfs- und Entwicklungstätigkeit leistet, fördert und koordiniert“ und des Weiteren eine „Mustersammlung hervorragender deutscher Industrieerzeugnisse“ anlegt, die schon vor Mauerfall den Grundstock der Sammlung industrielle Gestaltung bildete.
Weit weniger Erfolg war Stam als Hochschullehrer beschieden. Schon 1952 geriet er, der dem Denken über Gegenstände einen höheren Stellwert als einer Debatte über ihre Form beimaß, in die sogenannte „Formalismusdebatte“, die das Bauhaus „wirklichkeitsfälschend“ hieß. Der Widerstand gegen den Generalsekretär des Zentralkomitees der SED Walter Ulbricht, der gelernter Möbeltischler war, besiegelte Stams Entlassung. Anders als die ebenfalls inkriminierten Bauhäusler Selman Selmanagic und Franz Ehrlich war er damit der Vision einer politischen und ästhetischen Avantgarde beraubt und verließ „krank an Leib und Seele“ am Neujahrstag 1953 die DDR.
In der Ausstellung werden zum einen Entwurfszeichnungen präsentiert, mit denen die kollektive Arbeitsweise dokumentiert wird: Von einem in Tusche gezeichneten Grundentwurf wurden Lichtpausen gefertigt, auf denen das Objekt von unterschiedlichen Personen weiterentwickelt wurde, „bis man glaubte, die letzte Form gefunden zu haben: ‚einfach und sauber vom Charakter.“ Ein einheitliches Layout und der gestempelte Schriftblock zeugen vom Architekten Stam.
Zum anderen werden Produkte gezeigt, die seinerzeit entwickelt wurden, teilweise aber erst in Produktion gingen, als nach Stalins Tod 1953 funktionale Gestaltung dann doch die Erscheinung der DDR prägen durfte. Wie im Westen lag der Schwerpunkt auf Haushaltswaren, die effizient unterzubringen waren: das Topfsortiment oder die farbigen Isolierkannen von Margarete Jahny, die später zur führenden Formgestalterin aufstieg, das Stapelgeschirr oder das Puck-Radio von Albert Krause, Stams ersten Mitarbeiter am IFIG.
Dass die Ereignisse nicht im „Haus der Geschichte“ aufgearbeitet wurden, zeugt erneut vom Kuckucksdasein der Sammlung Industrielle Gestaltung (Bauwelt 17.2012). Unbestritten sind die Fortschritte bei der Konservierung und Digitalisierung der Bestände, doch Designtheorie und -geschichte stehen nicht im Fokus eines staatlichen Geschichtsmuseums. Obwohl sich an Stam immerhin zeigt, wie kurzlebig Politik verglichen mit seinem Wirken war, das die Basis für Industriedesign der DDR bildete.
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