Oberkirch. Obst und Wein setzen Grenzen
Oberkirch besitzt schon seit sehr langem den Status einer Stadt. Quasi gottgegeben. Etwa 30 Kilometer von Straßburg entfernt, halb im Schwarzwald – halb im oberen Rheintal gelegen, erhielt es bereits 1326 vom Bistum Straßburg die Stadtrechte. Die hat sie bis heute behalten. Selbst wenn der Nachbar Offenburg schneller wuchs und den Oberkirchern erfolgreich alle regionalen Vertretungen staatlicher Institutionen streitig gemacht hat.
Text: Kabisch, Wolfgang, Paris
Oberkirch. Obst und Wein setzen Grenzen
Oberkirch besitzt schon seit sehr langem den Status einer Stadt. Quasi gottgegeben. Etwa 30 Kilometer von Straßburg entfernt, halb im Schwarzwald – halb im oberen Rheintal gelegen, erhielt es bereits 1326 vom Bistum Straßburg die Stadtrechte. Die hat sie bis heute behalten. Selbst wenn der Nachbar Offenburg schneller wuchs und den Oberkirchern erfolgreich alle regionalen Vertretungen staatlicher Institutionen streitig gemacht hat.
Text: Kabisch, Wolfgang, Paris
Trotzdem ist Oberkirch heute sogar eine „Große Kreisstadt“ und hat immerhin 20.000 Einwohner. Das allerdings ist einzig und allein den Eingemeindungen der siebziger Jahre geschuldet. Die übrigens besonders basisdemokratisch korrekt durchgeführt wurden: Die Einwohner der umliegenden Gemeinden wurden befragt, ob sie zu Oberkirch gehören wollen. Und die Oberkircher wurden befragt, ob sie die Eingemeindungen wollen. Die benachbarten Dorfbewohner waren dagegen, die Schon-Städter dafür. Mit der Mehrheit der Letzteren wurde das Ganze beschlossen. So ist die Konstruktion aus neun Dörfern und einem Zentrum entstanden, das alleinegerechnet gerade einmal 10.000 Einwohner hat. Außer vorhandenen Straßen gibt es keine erkennbare Verbindung.
Natürlich zerbrechen sich die Regionalpolitiker seitdem den Kopf, wie man die „Große Kreisstadt“ zu einer richtig großen Stadt macht. Architektonisch sowie von der Raumordnung her. Dazu ökonomisch stabil mit einer gemeinsamen kulturellen Identität. Doch eine Neuordnung ist ein schwieriges Unterfangen, weil alleine schon die Topographie des Oberkircher Stadtgebiets dem entgegensteht. Das Renchtal ist eng, bevor es sich zur Rheinebene öffnet. An seinen Flanken wächst in Steillagen hochwertiger Wein. Das setzt der Stadtentwicklung natürliche Grenzen.
Die Ebenen zwischen den weit auseinander liegenden „Stadtteilen“ werden von Erdbeerfeldern dominiert. Oberkirch ist ein bedeutendes Obstanbauzentrum. Das beißt sich allerdings mit der ortsansässigen Industrie. Für die fehlen größere, zusammenhängende Flächen. Der Stammsitz der wichtigen Papierfabrik befindet sich zwar noch am östlichen Stadtrand. Teile der Produktion wurden aber schon nach Kehl ausgelagert.
Der ursprüngliche Vorteil einer geschützten Lage hat sich für Oberkirch inzwischen im Wettbewerb um Industrieansiedelungen zum Nachteil verkehrt gegenüber den konkurrierenden Städten in der flachen Rheinebene. Trotzdem geht es der Stadt eigentlich gut. Das Steueraufkommen ist insgesamt ausreichend und die Einwohnerzahl stabil. Berufliche Ein- und Auspendler halten sich die Waage. Die Bevölkerungsstruktur ist ausgeglichen. Der relativ große Anteil der als „Gastarbeiter“ in den sechziger Jahren angeworbenen türkischen Arbeitsmigranten ist inzwischen integriert, und von den ab 2015 staatlich geforderten 350 Flüchtlingsplätzen wurden de facto weit weniger benötigt als gedacht. Die 200 angeschafften Container werden gerade abgebaut.
Eine weitere wichtige Entscheidung, die noch in diesem Monat getroffen wird, betrifft die Zusammenlegung der Geburtshilfestationen Achern und Oberkirch. Es sprechen viele Argumente für Oberkirch, so Braun. Hier werden mehr Kinder geboren als in Achern, die personellen Voraussetzungen seien besser dank der Belegärzte, außerdem wären nicht die hohen Investitionen erforderlich wie in Achern. Dringend notwendig sei es, Anreize dafür zu schaffen, dass sich Ärzte im ländlichen Raum niederlassen. (www.bo.de, 07.06.2018)
Die Ortenaubahn als regionale Eisenbahngesellschaft schafft eine gute Anbindung an die umliegenden Zentren Richtung Offenburg und Karlsruhe. Um Straßburg schert man sich weniger. Eine gut ausgebaute Bundesstraße verbindet das Tal mit der naheliegenden Rheintal-Autobahn. Seit diese B 28 mit Tunneln zur Umgehungsstraße umgebaut ist, stört sie nur noch wenige Anwohner.
Möblierung
Dann gibt es noch Touristen, die den Altstadtkern besuchen und die badische Küche genießen, um von hier aus Ausflüge in den Schwarzwald zu unternehmen. Soweit ist scheinbar alles in bester Ordnung in Oberkirch. Wäre da nicht der Anspruch, eine große Kreisstadt zu sein. Mit allem, was dazugehört. Oberbürgermeister, Bürgermeister, Stadtbaumeister, eine Tourismus GmbH: Sie alle stehen bereit, um diesem Ziel näherzukommen.
Als weithin erkennbares Zeichen dieser Bemühungen fällt zunächst im Zentrum die nagelneue, fast schnurgerade Fußgängerzone mit ihrem Natursteinpflaster und der „stilvollen Straßenmöblierung“ auf. Es gibt sie seit Anfang des Jahres, und die Einwohner waren behutsam darauf vorbereitet worden. Dank der intensiven Bürgerbeteiligung ist sie zu einem Erfolg geworden, selbst wenn sie außerhalb der Geschäftszeiten regelmäßig verwaist. Doch dabei soll es nicht bleiben. Schon vor dieser ersten Baumaßnahme hatten die Stadtoberen beim Internationalen Stadtbauatelier (ISA) in Stuttgart für gut 40.000 Euro ein Stadtentwicklungskonzept für Oberkirch bestellt, das mit seinem ersten Zwischenstand im Juni 2017 vorgestellt wurde. Die Stadt erhofft sich von dem Konzept ein wichtiges Steuerungselement, das bei künftigen Bebauungsplänen oder Bauvorhaben herangezogen werden kann und Ideen liefert.
Das war eigentlich ein guter Plan, doch die einleitende Analyse wirkt ernüchternd. Vor allem, weil sie offensichtlich die Situation präzise beschreibt: „Die Stadt Oberkirch macht in manchen Bereichen einen noch „unfertigen” Eindruck: Eingangssituationen sind nicht ausgestaltet, Platzräume mit hohem Potenzial sind nicht gestaltet oder dienen als Parkplatz, Straßenräume warten auf eine Aufwertung und eine ganze Reihe von Grundstücken ist nicht in dem Maße genutzt, wie es der zentralen Lage eigentlich entspricht“ (ISA–Stuttgart).
Die Planer sind auf ein „ungeordnetes Mosaik“ unterschiedlichster Typologien gestoßen, die vom historischen Kern der Altstadt – über Vorstadt- bis zu dörflichen Strukturen reichen. Kurz: Oberkirch ist über lange Zeit völlig plan-los gewachsen. Wie vielerorts entstanden auch hier entlang ehemaliger Verbindungsstraßen unwirtschaftlich große Blöcke die – wie ein Plan von 1906 zeigt – „Anfang des 20. Jahrhunderts durch eine Neuorganisation geordnet werden sollten, was aber offenbar nie umgesetzt wurde“.
Parkhäuser?
Was tun? Das Stadtbauatelier schlägt eine Reihe von sinnvollen Maßnahmen vor, die von dekorativen bis zu architektonischen und städtebaulichen Elementen reichen. Ob Oberkirch Parkhäuser und Fußgängerpassagen braucht, um städtisch zu wirken, ist dabei aber zu bezweifeln. Die „Mittelbadische Presse“ schrieb am 28. Juni 2017 zu dem Konzept: „Die Herangehensweise deckte bauliche Schwachstellen in Oberkirch teilweise schonungslos auf und avisierte auch Änderungsmöglichkeiten, die aufgrund der aktuellen Grundstückssituation schwierig oder gar nicht zu realisie-ren wären“. Mit anderen Worten: Da sich viele der betroffenen Liegenschaften in Privateigentum befinden, lassen sich großzügige Änderungen wohl kaum durchsetzen. Als Leitfaden für langfristige Vorhaben und als Vision für die städtischen Planer macht das Stuttgarter Papier weit mehr Sinn: „Als erster Schritt wird empfohlen, für klar abgegrenzte Bereiche bestimmte Typologien zu definieren, die bei Neubauvorhaben dann Anwendung finden: Urbane Vorstadttypologie entlang der Hauptstraßen und grüne Vorstadttypologie an ruhigeren Straßen. Außerdem soll der dörflichen Typus erhalten werden. Ungenutzte Flächen sollen aktiviert oder bewusst freigelassen und gestalten werden sowie undefinierte Flächen bzw. Typologien gemäß anschließender Bebauung definiert werden.“
Eingriffe
Grundlagenarbeit ist also gefragt, wofür jetzt endlich konkrete Ziele benannt sind. Bisherige Versuche mit einer Mediathek und einer „Marktplatz“ genannten Freifläche zwischen gesichtslosen Wohn- und Geschäftsbauten an einer Seite des Ortseingangs wirken noch wie Fremdkörper. Aus den solitären städtebaulichen Eingriffen kann jetzt anhand der neuen Planungsrichtlinien das gewünschte „große Ganze“ werden. Wenn sich die Oberkircher daran halten. Das gilt leider aber nur für die sogenannte Kernstadt. Was soll eigentlich mit den eingemeindeten Dörfern passieren, die vollständig aus dem Blickwinkel der Planer entschwunden zu sein scheinen? Wenn man im Zentrum nicht an die Peripherie denkt, kann sich dort auch kein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln. Dass es daran mangelt, belegen unter anderem die sinkenden Zahlen Freiwilliger bei „gesamt-städtischen“ Veranstaltungen und Feiern.
Womit wir bei der Kultur angelangt wären. Sie spielt weder bei den Mitarbeitern des Stadtbauateliers, noch bei denen der Stadt eine erkennbare Rolle. Eine Stadthalle soll es geben, doch was findet darin statt? Vielleicht könnte man sich in Oberkirch auf einen ehemaligen Bürger besinnen, der hier vor 350 Jahren als Johann Jakob Christoph von Grimmelshausen seinen „Simplicius Simplicissimus“ schrieb. Dabei war er nicht nur Dichter, sondern kümmerte sich als Guts- und Burgverwalter, Vogt und Schultheiß um das Gemeinwohl. Und um den Bau der Schauenburg - das heutige Wahrzeichen von Oberkirch.
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