Bauwelt

Zum künstlerischen Repräsentanten der Diktatur

Boris Iofan wurde zu einem Architekten, „wie es Piacentini für Mussolini und Speer für Hitler war. Er wurde zum Ausdruck der Stalin-Ära“. In der Sammlung der Tchoban Foundation befinden sich zahlreiche nicht veröffentlichte Originalzeichnungen.

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

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    Die endgültige Variante des Entwurfs für den Palast der Sowjets in Moskau, das wichtigste Werk Boris Iofans, das nie realisiert wurde.

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    Die endgültige Variante des Entwurfs für den Palast der Sowjets in Moskau, das wichtigste Werk Boris Iofans, das nie realisiert wurde.

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    Der Entwurf für die Wohnhäuser in der Schtscher­bakowskaja-Straße in Moskau; 1962–1969.

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    Der Entwurf für die Wohnhäuser in der Schtscher­bakowskaja-Straße in Moskau; 1962–1969.

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    Entwurf für den Pavillon der UdSSR auf der Weltausstellung 1939 in New York.

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    Entwurf für den Pavillon der UdSSR auf der Weltausstellung 1939 in New York.

Zum künstlerischen Repräsentanten der Diktatur

Boris Iofan wurde zu einem Architekten, „wie es Piacentini für Mussolini und Speer für Hitler war. Er wurde zum Ausdruck der Stalin-Ära“. In der Sammlung der Tchoban Foundation befinden sich zahlreiche nicht veröffentlichte Originalzeichnungen.

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

Wenige Architekten sind so sehr mit einem oder zwei ihrer Bauten verbunden wie Boris Iofan (1891–1976). Noch dazu ist in seinem Fall nur eines der beiden Vorhaben verwirklicht worden: der Sowjetische Pavillon bei der Pariser Weltausstellung von 1937, der zudem temporär war. Das andere Projekt ist der „Palast der Sowjets“ in Moskau, dessen Geschichte der immer grandioseren Steigerungen bis hin zur Unbaubarkeit wie ein Abbild der Epoche wirkt, die ihn hervorgebracht hat.
Iofan wurde zu einem Architekten, „wie es Piacentini für Mussolini und Speer für Hitler war. Er wurde zum Ausdruck der Stalin-Ära“, schreibt der Architekturhistoriker Vladimir Sedov im Katalog der Ausstellung „Stalins Architekt. Aufstieg und Fall von Boris Iofan“ im Museum für Architekturzeichnung der Tchoban Foundation. Der Vergleich gibt die Perspektive vor, unter der Iofans Lebenswerk zu sehen ist: der von Kunst und Macht. Beinahe kopfschüttelnd urteilt Sedov über Iofan, er sei „so groß, wie ein Künstler der Macht in einem einzigen Jahrzehnt werden kann“. Dieses eine Jahrzehnt ist das der Arbeit am Sowjetpalast, und es fällt zusammen mit dem schrankenlosen Regime Stalins.
Es war Boris Iofan nicht an der Wiege gesungen, zum künstlerischen Repräsentanten der Diktatur aufzusteigen. Gebürtig vor 130 Jahren in Odessa, studierte er an einem dortigen Ableger der Petersburger Akademie und ging bald nach Italien, um sich in Rom weiterzubilden. Italien wurde zur Wahlheimat Iofans, dessen Neigung zum Klassizismus bereits zuvor geweckt worden war. In Rom avancierte er zum Assistenten von Andrea Brasini, einem Vertreter des Neoklassizismus und frühen Protagonisten der Mussolini-Zeit.
Die italienische Periode, mochte sie von Iofan später auch heruntergespielt werden, ist entscheidend für seine Auffassung von Architektur und ihrer theatralischen Wirkung. In der Schau ist sie mit einer Fülle von Zeichnungen, Aquarellen und Skizzen belegt, diese wie alle weiteren Werke der Ausstellung aus dem Besitz der Tchoban Foundation. Man glaubte Iofans Nachlass gänzlich im Staatlichen Architekturmuseum in Moskau, doch das ist nicht der Fall. Und was in Berlin gezeigt wird, ist mitnichten zweite Wahl, sondern Blatt für Blatt von eigener Qualität.
2007 gab es im Moskauer Museum eine Ausstellung unter dem überraschenden Titel „Der italienische Palast der Sowjets“, die diese wenig beachtete Verbindung zwischen Iofans Studienjahren und der späteren Ausbildung eines Stalin-Klassizismus herausarbeitete. Der Übergang vom üppigen Formenvokabular, wie es Iofan bei Brasini kennengelernt hatte, zum monumenta­lisierten Stil der Stalin-Zeit geschah nicht bruchlos. Bei Tchoban wird das durch den Wechsel der Wandfarbe kenntlich gemacht: Nach dunkelroten kommt auf weißen Wänden die modernistische Zwischenphase Iofans zur Ansicht.
Dafür steht das berühmte „Haus am Ufer“, jener Wohnkomplex am Ufer der Moskwa schräg gegenüber dem Kreml, dessen rund 540 Wohnungen in einem quasi-autarken Ensemble für hochrangige Funktionäre. Anfangs noch beliebte Unterkunft, in den Jahren des Großen Terrors 1936–38 jedoch Schauplatz nächtlicher Verhaftung durch die Geheimpolizei. Das Ensemble mit eigenem Kino, Theater und Geschäften entstand in den Jahren 1927–31 und markierte bei Fertigstellung die bereits der Parteikritik anheimfallende Phase internationaler Moderne.
Iofan war da schon weiter. Ein erstes Projekt zu einem zentralen Versammlungsgebäude wurde 1931 formuliert. Daraus ging der umfassende Wettbewerb hervor, an dem erst- und einmalig ausländische Architekten teilnahmen, unter ihnen Poelzig, Gropius und natürlich Le Corbusier, der in Moskau bereits das Gebäude des „Zentrosojus“ bauen konnte. Iofans Stern ging auf: Er wurde in die dicht aufeinander folgenden Runden des nunmehr beschränkten Wettbewerbs eingeladen und führte seinen anfangs gerundeten Stufenbau in immer steilere Höhen, bis der bekannte, alles überragende Turmbau mit der bekrönenden Lenin-Statue in suggestiven Ansichten Gestalt gewonnen hatte und zur Ausführung bestimmt wurde. Im Tchoban-Museum ist die zweite, leuchtend rot eingefärbte Ausstellungs­etage dem Palast-Projekt in all seinen Variationen gewidmet; an einer der Stirnwände prangt eine beeindruckende Kohlezeichnung von 1934 im Format von gut 2x2 Metern.
Aufschlussreich für die Entwicklung des Palast-Projekts sind die Skizzen, die Iofan, dem mit Wladimir Schtschuko und Wladimir Gelfreich zwei Architekten von oben zugeordnet wurden, auf einer gemeinsamen Reise in die USA anfertigte. Sie sahen u.a. die neuen Art-Deco-Türme, das noch unfertige RCA-Hochhaus, das später als Rockefeller Center vervollständigt wurde. Gerade dieser Turm mit seinen 72 Geschossen beeindruckte Iofan, zumal in der Ausschmückung durch Skulpturen und Wandgemälde. Das entsprach seiner eigenen Intention, wie er sie beim Pariser Pavillon von 1937 wie auch dem weniger originellen Expo-Pavillon in New York 1939 verwirklichen konnte. Freilich lehnte Iofan als lebenslang überzeugter Kommunist die kapitalistische Architektur der USA rundweg ab.
Der amerikanische Einfluss gilt noch genauer zu erforschen. Den einzigen Wettbewerbsteilnehmer aus den USA, Hector Hamilton, sahen ausländische Beobachter schon als Sieger der offenen Runde; er dürfte wohl auf Anraten des Industriearchitekten Albert Kahn, der in der Sowjetunion riesige Fabriken baute, teilgenommen haben. Unter anderem protestierte Le Corbusier in Briefen, die an Selbstbewusstsein nicht mangeln – nur erreichten keine die Machthaber. Sie fanden sich im Nachlass Iofans, der eine Antwort nur mehr in Stichworten skizzierte. Ein auslän­discher Preisträger kam ohnehin nicht infrage.
Der Palastbau, vor dem Weltkrieg noch begonnen, musste 1941 eingestellt werden, der Stahl wurde für die Rüstung gebraucht. Nach Kriegsende kam es zu keiner Wiederaufnahme. Wiewohl nicht offiziell eingestanden, war deutlich, dass das Vorhaben in seiner zuletzt beschlossenen Gestalt alle Möglichkeiten der Sowjetunion sprengte. Iofan fiel ohnehin in Ungnade, als Stalin 1947 seinen Entwurf für die Moskauer Univer­sität wegen falsch gewähltem Bauplatz verwarf. Iofan, wenn man so will, überlebte sich selbst, suchte nach Stalins Tod Anschluss an die nun wieder nüchternere Formensprache, entwarf Kongressbauten immer noch mit Anklängen an seine hochragenden Stufenbauten zuvor.
Was die Ausstellung im Museum für Architekturzeichnung vorstellt, ist tatsächlich ein Lebenswerk, eines, das in seiner Hoch-Phase um das einzige Thema des Palastbaus kreist, dies aber in schier unendlichen Variationen. Iofan hatte sich mit der Macht verbandelt, mehr als jeder seiner Kollegen und Konkurrenten, und kam davon nicht mehr los.

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