Bauwelt

Konstruieren mit Otto

Als Student hatte der niederländische Architekt Mick Eekhout die Möglichkeit, am Institut für Leichte Flächentragwerke mit Frei Otto zu arbeiten. Dessen Arbeitsweise prägte den angehenden Architekten, der 45 Jahre später in seinen eigenen Konstruktionen noch immer auf Ottos Erbe zurückgreift

Text: Eekhout, Mick, Delft

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    Der „Südliche Wintergarten“ der Architekturfakultät der TU Delft
    Foto: Marc Faasse

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    Die gläserne Seilnetzfassade der Markthalle in Rotterdam misst 42 auf 34 Meter. Bei maximaler Windlast kann sie sich nach innen wie nach außen bis zu 700 Millimetern biegen.
    Foto: Ossip van Duivenbode

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    Die gläserne Seilnetzfassade der Markthalle in Rotterdam misst 42 auf 34 Meter. Bei maximaler Windlast kann sie sich nach innen wie nach außen bis zu 700 Millimetern biegen.

    Foto: Ossip van Duivenbode

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Konstruieren mit Otto

Als Student hatte der niederländische Architekt Mick Eekhout die Möglichkeit, am Institut für Leichte Flächentragwerke mit Frei Otto zu arbeiten. Dessen Arbeitsweise prägte den angehenden Architekten, der 45 Jahre später in seinen eigenen Konstruktionen noch immer auf Ottos Erbe zurückgreift

Text: Eekhout, Mick, Delft

Nachdem die rebellierenden Studenten im November 1969 ihre Professoren aus der Technischen Universität Delft geworfen hatten, kam Frei Otto und hielt eine Vorlesung in der Aula der Universität. In diesen „revolutionären Zeiten“ wurde er zu einem der Helden, die mich ein Leben lang begeleiten sollten. Ein Jahr später durfte ich am IL Institut für Leichte Flächentragwerke, inmitten der ganzen Hektik des Modellbaus und der fortlaufenden Versuche, an den Seilnetzdächern für die olympischen Bauten in München mitarbeiten.
Diese Zeit bestimmte fortan mein Berufsleben. Dabei spielte es wirklich keine Rolle, ob die Modelle makellos und übertrieben ordentlich waren oder nicht. Die Seilnetzkonstruktion des Münchener Stadiondachs war das letzte große Bauexperiment in Deutschland. Für mich als Architekt und Konstrukteur wurde es zum Inbegriff für einen technologischen Sprung, der seine Grundlage im Experiment hat. Radikale oder revolutionäre Experimente erfordern häufig genug finanzielle Opfer. Aber es sind nicht die finanziellen Verluste, über die später in den Geschichtsbüchern geschrieben wird, sondern die schrittweise erfolgenden Innovationen. Sie sind in jeder Hinsicht erfolgreicher.
Minimaler Aufwand versus freie Form
Die gespannten Membranen und Seilnetzkonstruktionen Frei Ottos waren strukturell in sich vollkommen logisch, hatten ihre eigenen Regeln und ihr eigenes Vokabular. Auch nach mehr als vier Jahrzehnten ist München noch immer das Wunder, das es damals war. Dieses Wunder ist größer als all die skulpturalen und beliebigen Bauten von Frank Gehry, die nicht nur Material verschwenden, sondern auch einen bisher unerreichten Aufwand an menschlicher Energie bei der Konstruktion und der Produktion verlangen. Der heutige Ruf nach einem möglichst niedrigen ökologischen Footprint ist in Wahrheit nichts anderes als eine Wiederbelebung von Frei Ottos Nachkriegspostulat vom „Minimalaufwand“, einem Bauen mit minimalen Materialien. Die Entwürfe Frank Gehrys als Paradebeispiele für eine Architektur des freien skulpturalen Entwerfens wollen zu allererst die interessante Form, koste es was es wolle. Das ökonomische Kalkül kommt erst auf einem Umweg ins Spiel, nicht bei Entwurf und Realisierung, sondern erst wenn man anfängt, mögliche Erträge aufzurechnen, die die Touristen in Bilbao generieren. Gehrys neuester Bau, die Fondation Louis Vuitton in Paris, ist perfekt konstruiert und ausgeführt, aber die Tragstruktur der großen Flügel ist nicht „sauber“. Zug und Druck bei minimaler Biegung ist ein in Vergessenheit geratenes Axiom. Ein Besuch in Paris lohnt sich natürlich trotzdem. Der Bau provoziert für mich eine Grundsatzdiskussion.
Konkurrenz und Eifersucht
Frei Otto hat viele Menschen inspiriert. Mit Bedauern musste ich in den siebziger Jahren sehen, wie seine Zeltkonstruktionen weltweit gierig von vielen Kollegen angenommen und übernommen wurden, ohne einen Gedanken an den ursprünglichen Schöpfer zu verschwenden oder ihm einen Anflug von Anerkennung zu zollen.
Der Riese, auf dessen Schultern wir alle stehen, wurde bewusst ignoriert. Jörg Schlaich sagte auf dem Symposium zur Verabschiedung Frei Ottos, als der 1990 das IL verließ: „Es ist nichts Neues, dass Wissen vergeht.“ Doch sein Erbe wird von Dauer sein. Es ist jetzt an der jüngeren Generation, am ehrgeizigen Ziel eines extrem minimierten Energieaufwands festzuhalten, so lange und so weit es die immer komplizierter werdenden Bauprogramme erlauben.
Innovationen gehen weiter
Nach Beendigung meines Architekturstudiums an der TU Delft und nach acht Jahren Arbeit in meinem eigenen Büro begann ich, eigentlich unmögliche Zeltkonstruktionen als Kunstwerke zu entwerfen, zu konstruieren und zu bauen. Es waren sowohl freigespannte Seilstrukturen als auch frühe „Free Form Structures“ der siebziger und achtziger Jahre. Sie hatten eine zwingende Logik im strukturellen Sinne und folgten in aller Konsequenz dem Ziel des minimalen Materialeinsatzes.
Mit meinem Büro begannen wir am Nullpunkt – technologische Fähigkeiten für gestreckte Membranstrukturen fehlten in den Niederlanden völlig – und entwickelten uns schließlich zu einem Spezialisten für Dächer und Fassaden in Leichtbauweise.
Seil-Konstruktionen
Viele Projekte der letzten 45 Jahre bestanden aus reinen Zug- und Druck-Elementen. Biegung kam kaum vor. Für die Fassade der Technische Universität Delft von Architekt Rijk Rietveld entwickelten und realisierten wir eine Fassadenkonstruktion mit vertikalen Seilen aus Aramid, die in dem Hohlraum zwischen den beiden laminierten Scheiben der Isolierglasverkleidung verlaufen. Verformungen der Scheiben unter maximaler Windlast sind bis 300 Millimeter nach innen wie nach außen möglich.
Die gerade eröffnete Markthalle in Rotterdam (Bauwelt 44.2014) von dem niederländischen Architekturbüro MVRDV besitzt zwei riesige Seilnetzfassaden mit extrem vorgespannten Stahlseilen, verkleidet mit laminierten Glasscheiben. Die maximale Biegung unter maximaler Windlast beträgt hier 700 Millimeter nach innen wie nach außen. Die gläsernen Eckelemente können sich unter Windlast verdrehen, aber genau dafür sind sie entworfen worden. Zerbrechen werden diese nicht. Beide Projekte möchte ich als Hommage an die Kühnheit Frei Ottos, des frühen Pioniers gespannter Konstruktionen, verstanden wissen.
Fakten
Architekten Frei Otto (1925-2015); MVRDV, Rotterdam; Octatube design & build lightweight structures, Delft
aus Bauwelt 20.2015
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