Bauwelt

Mons bäumt sich auf

Die Kulturhauptstadt 2015 im ehemaligen Steinkohlerevier Borinage möchte mit fünf neuen Museen zu einer Kulturstadt werden

Text: Burgard, Roland, Frankfrut am Main

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    Blick auf die Stadt. In der Mitte steht der barocke Belfried, der zurzeit restauriert wird.
    Foto: Rino Noviello

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    Blick auf die Stadt. In der Mitte steht der barocke Belfried, der zurzeit restauriert wird.

    Foto: Rino Noviello

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    Die zentrale Halle mit Shops des neuen Hauptbahnhof von Santiago Calatrava soll Alt- und Neustadt verbinden.
    Visualisierungen: Eurogare/Studio Milo

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    Die zentrale Halle mit Shops des neuen Hauptbahnhof von Santiago Calatrava soll Alt- und Neustadt verbinden.

    Visualisierungen: Eurogare/Studio Milo

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    Das Kongresszentrum mit Holzverkleidung von Daniel Libeskind steht hinter dem Bahnhof. Der Ausguck bietet einen Blick auf den Belfried.
    Foto: Georges De Kinder

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    Das Kongresszentrum mit Holzverkleidung von Daniel Libeskind steht hinter dem Bahnhof. Der Ausguck bietet einen Blick auf den Belfried.

    Foto: Georges De Kinder

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    Der Anbau des Museums und Archivs Mundaneum von Jean-Pierre Saintenois und Codelenovi wurde in diesem Jahr eröffnet.
    Foto: Maud Faivre

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    Der Anbau des Museums und Archivs Mundaneum von Jean-Pierre Saintenois und Codelenovi wurde in diesem Jahr eröffnet.

    Foto: Maud Faivre

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    Der Grand Place von Mons. Links das Rathaus und das Königliche Theater, rechts der Kirchturm von Sainte-
    Elisabeth
    Foto: Sebastian Redecke

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    Der Grand Place von Mons. Links das Rathaus und das Königliche Theater, rechts der Kirchturm von Sainte-
    Elisabeth

    Foto: Sebastian Redecke

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    In der Stadt sind zahlreiche Kunstinstallationen zu sehen, die manchmal auch den Leerstand einiger Häuser überspielen. Die Gestaltung der Brandwand in der Rue de Cantimpret nennt sich „Fresco van Momo“.
    Foto: Fondation Mons2015

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    In der Stadt sind zahlreiche Kunstinstallationen zu sehen, die manchmal auch den Leerstand einiger Häuser überspielen. Die Gestaltung der Brandwand in der Rue de Cantimpret nennt sich „Fresco van Momo“.

    Foto: Fondation Mons2015

Mons bäumt sich auf

Die Kulturhauptstadt 2015 im ehemaligen Steinkohlerevier Borinage möchte mit fünf neuen Museen zu einer Kulturstadt werden

Text: Burgard, Roland, Frankfrut am Main

Mons hatte schon vor den Eröffnungsfeierlichkeiten zur Europäischen Kulturhauptstadt von sich Reden gemacht. Kurz vor Fertigstellung stürzte das vom Antwerpener Künstler Arne Quinze eigens für die Feierlichkeiten entworfene Monumentalkunstwerk in sich zusammen. Mit Häme haben die Medien über das Missgeschick berichtet. Ungewollt aber verschaffte die Meldung Mons, einer Stadt mit rund 100.000 Einwohnern im ehemaligen Steinkohlerevier Belgiens, Aufmerksamkeit.
Auch für Mons gilt die politische Strategie, Kultur als Imagefaktor einzusetzen, um die Wirtschaftskraft zu fördern. Dabei wird die zeitgenössische Architektur mit eingebunden, denn von ihr erhofft man sich auch hier größte Aufmerksamkeit. Mons, viele Jahre im Dornröschenschlaf und nun von Europa kräftig wach geküsst, hat eine Chance, denn in der Stadt kann noch Unbekanntes, völlig unverbraucht von kreativer Geschäftigkeit, ans Tageslicht gelangen. Als Besucher wird man schnell informiert über einen Reigen von 1000 Veranstaltungen, einen aus fünf neuen Museen bestehenden „Pôle Muséal“, ein Wissenszentrum und ein Haus für experimentelle Musik. Liest man den Veranstaltungskalender von „Mons2015“, so stehen Ausstellungen, Konzerte und Theaterveranstaltungen im Vordergrund. Die Fondation Mons2015 hat dieses Programm organisiert.
Wer aber bestimmt den baukulturellen Rahmen, wer ist für den architektonischen Auftritt verantwortlich? Schließlich werden die Bauprojekte der Kulturhauptstadt ganz unterschiedlich finanziert. Mons plant keine Bauausstellung, doch weiß die Kommunalpolitik, allen voran ihr Bürgermeister und ehemaliger Ministerpräsident Elio di Rupo, sehr wohl um die Wirkung des Stadtambientes auf die Besucherresonanz. Durchstreift man die Altstadt von Mons dieser Tage, so wirkt sie sehr aufgeräumt. Mons und die einst florierende Bergbauregion leben seit dem Niedergang der Montanindustrie auch aus EU-Fördertöpfen. Von 1994 bis 2000 galt die Aufmerksamkeit der Förderung von Industrieparks und Forschungseinrichtungen. Vor sechs Jahren begann man mit gezielten Maßnahmen zur Touristikförderung. Das fügte sich in die seit den siebziger Jahren praktizierte Aufgabenteilung der Wallonie: Lüttich übernimmt die Rolle des Finanzzentrums, Namur bekommt Politik und Verwaltung und Mons profiliert sich als Zentrum Wallonischer Kultur. Welche Förderung die Stadt erfuhr, kann man im Kulturhauptstadtjahr 2015 studieren: Im Osten liegt auf einer Anhöhe der historische Stadtkern. Hier widmet man sich der Pflege des historischen Stadt- und Straßenbildes und der Umwandlung von aufgelassenen Gewerbeflächen. In der Ebene im Westen hingegen werden die Flächen nach wirtschaftsliberalen Gesichtspunkten entwickelt.
An der Schnittstelle zwischen Altstadt im Osten und Neustadt im Westen entsteht bis 2018 der 279 Millionen Euro teure, heftig umstrittene Hauptbahnhof von Santiago Calatrava. Dimensi-on und Auftritt des Bauwerks, so die Leiterin der Stadtplanung Michèle Rouhart, seien zwingend. Schließlich handele es sich hier um die Klammer zwischen Alt- und Neustadt. Zurzeit steht ne-ben der Baustelle ein Bahnhofs-Provisorium aus Containern. Eine Gerüstkonstruktion mit Stegen führt zu den Gleisen. Nicht besonders einladend für eine Kulturhauptstadt.
Entlang des Gleisfeldes im Westen dehnt sich eine langgestreckte Fläche aus, die der Stadtentwicklung dienen soll. Daran dockt das Kongresszentrum an, für das Daniel Libeskind verantwortlich zeichnet. Verglichen mit dem Bahnhof wirkt es zierlich. Nähert man sich dem Kongressbau, für den sich Libeskind die Metapher „Rose“ ausgedacht hat, überrascht eine Nachhaltigkeits-Attitüde – die Außenhaut ist mit Holzplanken verkleidet.
Intra Muros
Die wirklich signifikanten Beiträge für Mons2015 befinden sich aber im Altstadtbereich „intra muros“. Anders als in Lille, der Kulturhauptstadt des Jahres 2004, entwarf man in Mons für die Kernstadt keinen großen Plan, man zelebriert das historische Erbe, ästhetisiert hier und dort den öffentlichen Straßenraum mit sanierten Fassaden und neu verlegtem Straßenpflaster. Während des Kulturjahrs schlängelt sich an Fassaden, Mauern und Bordsteinen ein weißes Band „la Phrase – 10 km de Poèsie“ der Künstler Ruedi Baur und Karelle Ménine durch die Stadt (Foto Seite 35). Die Atmosphäre im Stadtraum ist angenehm, der Ehrgeiz der Stadtväter unverkennbar. Doch hier und dort kaschieren Vorhänge und Kunst hinter den Schaufenstern und Fenstern den Leerstand, was die Leiterin der Stadtplanung für eine momentane Erscheinung hält, denn auch in Mons sei derzeit ein Zuzug zu beobachten.
Für Mons2015 nahm man sich also in der Altstadt nichts Revolutionäres vor. Das hat Tradition. Während man sich in der Zwischenkriegszeit an vormodernistischer Architektur orientierte, respektiert das Architekturgeschehen seit der frühen Nachkriegszeit immer noch das architektonische Erbe und gibt den historischen Maßstab vor. Ob aus Geringschätzung moderner Architektur, wofür sprechen würde, dass in der Kernstadt nur ein einziges Gebäude der fünfziger Jahre unter Denkmalschutz steht, oder geringem Investitionsdruck ist schwierig zu beantworten. Vielleicht steckt mehr dahinter: Es scheint, als herrsche zwischen Bürgerschaft und Stadtplanern Konsens. Die einen richten ihren Blick zurück in die Vergangenheit, die anderen verfolgen eine wertekonservative Planungsstrategie. Nicht von ungefähr gründete André Godart, der einflussreichste Architekt der Nachkriegszeit am Ort, 1970 die Gesellschaft „Sauvegarde et Avenir de Mons“, verfasste 1972 die „Charte de l’urbanisme de Mons“ und lehrte seit 1983 an der Académie Royale des Beaux-Arts von Mons. Dort postulierte er die Synthese von zeitgenössischer und lokaler Architektur, wie er sie in den siebziger Jahren an seinem eigenen Haus in der Stadtmitte demonstrierte. Es verbindet die Maßstäblichkeit des historischen Ortes mit dem Zeitgeist des „New Brutalism“. André Godart starb 2013, doch seine Lehre wirkt nach. So bei Michèle Rouhart, hier geboren, ausgebildet und als Leiterin der Stadtplanung tätig. Für sie ist Respekt vor der Historie städtebauliches Konzept, weswegen an der städtebaulichen Morphologie nichts grundsätzlich verändert werden soll. Zur Stadtbildpflege übernimmt die Stadt alle Kosten für die Gestaltung des öffentlichen Raumes ebenso wie die der Architektenleistung für notwendige Fassadensanierungen. Die Kosten der damit verbundenen Bauarbeiten trägt sie zur Hälfte. Nach deutschem Baugesetzbuch sähe Stadtsanierung anders aus.
Paralell zur Revitalisierung der historischen Straßenzüge erfolgten punktuell Neuplanungen. Drei Cluster fallen auf, deren Entwicklung vor zehn Jahren im Südosten der Altstadt durch die Konversion der alten Schlachthöfe in Ausstellungshallen durch das Architektenteam Matador begann. 2014 folgte das „Carré des Arts“. Die Architekten AgwA überspannten den Innenhof der Infanteriekaserne aus dem 19. Jahrhundert, in der heute die Kunsthochschule untergebracht ist, mit transluzenten Segeln. In unmittelbarer Nachbarschaft wurde kürzlich das von Matador entworfene Gründerzentrum „Centre du Design“ fertiggestellt.
Der zweite Cluster ist großflächiger. Auf dem Gipfel des Stadtberges dokumentiert der 87 Meter hohe barocke Turmbau des Belfrieds selbstbewusstes Bürgertum. Von der UNESCO in die Weltkulturerbe-Liste aufgenommen, wird er, verspätet für Mons2015, zurzeit außen und innen restauriert. In Sichtweite liegen zwei weitere Museen: Das Musée du Doudou erzählt die Geschichte der jährlich wiederkehrende Prozession zu Ehren des heiligen St. Georg dem Drachenkämpfer. Beide Gebäude folgen der Doktrin unbedingter Denkmalgerechtigkeit im Äußeren und großer Gestaltungsfreiheit im Inneren, einen Entwurfsansatz, den die Architektenteams Gigogne und lʼEscaut bei der LʼArthotèque, einem weiteren Bau des aus fünf Museen bestehenden „Pôle Muséal“, auf die Spitze treiben. Das Nutzungskonzept orientiert sich an den französischen „FRAC“-Einrichtungen. Ehemals Ur-sulinenkapelle, jetzt zum Schaulager für alle Kunstobjekte in der Stadt ausgebaut, werden kleine Präsentationsflächen nahe dem Eingang und große Depots auf sechs Obergeschossen angeordnet.
Am Theater
Den dritten Cluster bildet ein Areal im Nordosten der Altstadt neben der ehemaligen Kaserne Léopold, die wie eine fremde Insel in der historischen Altstadt lag. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Fläche immer wieder anders genutzt und städtebaulich widersprüchlich umgebaut: straßenbegleitend im Norden die Bauten der Finanzverwaltung; im Südosten der erst 2007 fertiggestellter, mächtige Justizpalast aus den achtzi-ger Jahren, dessen kammartiges Erschließungssystem sich auf einen Festpunkt des Areals, den Tour de Valenciennoise aus dem 14. Jahrhundert bezieht; im Süden ein weiterer Kasernenbau und im Westen die Rückseiten alter Häuser.
Kurz nach der Jahrtausendwende beauftragte die Stadtverwaltung Pierre Hebbelinck mit einer Studie für das Areal. Sein 2006 fertiggestelltes Théâtre le Manège (Bauwelt 14.2007) wurde zum Kristallisationspunkt für die weitere Entwicklung. Im selben Jahr gewann das Team von Matador den Wettbewerb für das „Corps de Ville“-Projekt mit 126 Wohnungen, das mit einem streng rationalen, fünfgeschossigen Baukörper das Planungsareal in zwei ungefähr gleich große, dreieckige Plätze gliedert. Damit gelang ein repräsentatives Entrée für das Theater und für das nach einem Entwurf von K2A schräg gegenüber errichtete Informationszentrum für die Fondation Mons2015. Wenige Schritte entfernt, im Norden und mit direkter Blickbeziehung zum Theaterplatz, wurde von den Architekten Horloffe-Vermeersch mit minimalen finanziellen Mitteln aus den Rudimenten einer alten Kaserne das Arsonic errichtet, ein Aufführungsort für experimentelle Musik. Hier wird die in Mons vermeintlich unumstößliche Denkmaldoktrin zum ersten Mal umgekehrt. Während es innen nur kleine Eingriffe gab, spielt die neugestaltete Außenhaut auf die Akustik im Innenraum an.
Ebenfalls in Blickbeziehung zum Theaterplatz, aber von Süden aus, wurden Umbau und Erwei-terung des Mundaneums nach dem Entwurf des Teams Codelenovi fertiggestellt. Die Einrichtung des „Centre dʼArchives de la Communauté française de Belgique“ versteht sich als das Google des francophonen Belgiens. Das historische Mundaneum beherbergte einst ein Museum, das Henri La Fontaine (1854–1943), er erhielt für sein Engagement in der Friedensbewegung 1913 den Friedensnobelpreis, gemeinsam mit dem Pazifisten Paul Otlet gründete. Die beiden wollten eine universelle Bibliothek schaffen, die einen Querschnitt der Weltkultur bieten sollte. Sie bestand 1898 bis 1934 als Zettelkasten-Sammlung im Mondaneum in Brüssel. Diese Sammlung befindet sich heute in Mons, trägt den Namen Mundaneum und ist im ehemaligen Kaufhaus L’Indépendance untergebracht. Das Gebäude spannt sich parzellenbreit zwischen zwei Parallelstraßen auf. Wieder sind die Fassaden historisch, dieses mal aus den frühen dreißiger Jahren. Dahinter konnten sich die Architekten entfalten. Nicht weit entfernt entstand 2005 aus einem alten Schulgebäude das „Maison Folie – l’espace des possibles“ von Matador. Auch sie mussten einen Spagat zwischen Denkmalschutz im Äußeren und Architektur-Avantgarde im Inneren hinbekommen.
Da hatten es Pierre Hebbelinck und Pierre de Wit besser. Seit der Eröffnung des Musée des Arts Contemporains im Weltkulturerbe Le Grand Hornu 2002 genießt das Büro uneingeschränkte Autorität. Damals hatten sie mit ihrem großartigen Anbau an die stillgelegte Kohlengrube vor den Toren von Mons der zeitgenössischen Architektur in der Wallonie zum Durchbruch verholfen (Bauwelt 22.2002). Was Wunder, dass die Stadt sie das wichtigste der fünf „Pôle Muséal“-Projekte planen ließ. Das Mons Memorial Museum berichtet von den beiden Weltkriegen und dem Jahrhunderte langen Ringen um diesen Landstrich. Hebbelinck hat die feine Gusseisenkonstruktion eines Pumpwerks aus dem 19. Jahrhundert zur Eingangshalle umfunktioniert und längsseitig ergänzt.
La Louvière
Doch die Region Mons hat noch ein weiteres Weltkulturerbe im Angebot, die „Silex’s, Minières néolithiques de Spiennes“, die Feuersteingruben, Bergbautechnik aus der Jungsteinzeit und der hintergründige Hinweis auf eine 6000 Jahre alte Bergbautradition an einem Ort, dessen Abraumhalden der Neuzeit das Gesicht der Region bestimmen. Ebenso hintergründig ist das Museumskonzept. Als Pendant zur Stadtkrone von Mons entwarfen die Architekten Holoffe-Vermeersch auf einer Anhöhe einen runden Pavillon aus Stahl, Aluminium und Polykarbonat. Über ihn können die Besucher in einen acht Meter tiefen Schacht einsteigen, in dem Jungsteinzeitmenschen nach Feuersteinen gruben.
Zwanzig Autominuten von Mons entfernt liegt der kleine Ort La Louvière, ebenfalls vom Strukturwechsel gezeichnet. Nach 150 Jahren ging hier die größte Porzellanmanufaktur Belgiens in Konkurs. 2011 war der Rettungsversuch eines Projektentwicklers gescheitert und der riesige Industriekomplex wurde abgerissen. Die Denkmalschutzbehörde konnte drei der ehemals zwölf typischen Brennöfen in einer 1000 Quadratmeter großen Werkhalle sichern. 2009 wurde ein europaweiter Architekturwettbewerb für ein „Centre de la Faïence-Boch-Keramis“ ausgeschrieben. Vorbilder für Identität und Zuversicht stiftende Vorhaben in strukturschwachen Regionen gab es ja mit der IBA Emscher Park oder den großen Kulturprojekten in Nordfrankreich genug. Mit dem preisgekrönten Entwurf des Architektenteams Codelenovi entstand im architektonischen Niemandsland ein großartiger städtebaulicher Nukleus, der den Denkmalschutz einbindet, aber nicht von diesem dominiert wird.
La Cellule
Bei näherer Betrachtung der Bauten, die für Mons2015 entstanden sind, gibt es Gemeinsamkeiten. Immer wieder stößt man auf die „Cellule Architecture de la Communauté française“. Nicht als revolutionäre Zelle, sondern eingebettet in den Verwaltungsapparat Walloniens, revolutionierte Chantal Dassonville, Direktorin der kleinen, seit ihrer Gründung 2007 höchst motivierten Equipe, die Architekturszene. Eigentlich beschränkt sich ihre Beratertätigkeit auf 58 Gebäude im Eigentum des französischsprachigen Teils Belgiens. Mit Zuschüssen, die sie Gutachter- und Wettbewerbsverfahren zur Verfügung stellt, hat sie ihren Einfluss aber ständig ausgeweitet. Vor allem ihr ist es zu verdanken, dass in der Wallonie Qualität und Anerkennung zeitgenössischer Architektur wachsen und die Architekten wieder Anschluss an die Entwicklung in Flandern finden. Den hatten sie durch den wirtschaftlichen Niedergang der letzten Jahrzehnte verloren. Nach dem Ende von Mons2015 bleibt es spannend. Werden Bauherren und Politiker sich zu einem eigenen aber riskanten Weg der Entwicklung lokaler Baukultur entschließen? Werden Bewahrung des Erbes und Fortschritt nebeneinander bestehen können? Mons2015 hat interessante Fragen aufgeworfen.

Adresse Mons Belgien


aus Bauwelt 32-33.2015
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