Bauwelt

Der falsche Ort

Die Suche nach einem neuen Münchner Konzerthaus ist bislang ein Trauerspiel in vielen Akten. Nun, nach dem internationalen Wettbewerb, hat sich für unseren Autor bestätigt, dass ein ungeeigneter Standort ausgewählt wurde: im „Werksviertel“ jenseits des Münchner Ostbahnhofs.

Text: Stock, Wolfgang Jean, München

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    Das Werksviertel im Um- und Ausbau.
    Foto: pk-Odessa Co.

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    Das Werksviertel im Um- und Ausbau.

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    Blick in Richtung Ostbahnhof, im Vordergrund der Bauplatz für das Konzerthaus. Da­hinter das Pfanni-„Eckhaus“. Links das Werk 3-Gebäude
    Foto: pk-Odessa Co.

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    Blick in Richtung Ostbahnhof, im Vordergrund der Bauplatz für das Konzerthaus. Da­hinter das Pfanni-„Eckhaus“. Links das Werk 3-Gebäude

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    Relikte der früheren Industrie, u.a. der Firma Pfanni.
    Fotos: pk-Odessa Co.

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    Relikte der früheren Industrie, u.a. der Firma Pfanni.

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    Heterogene Mischnutzung mit einigen Um- und Neubauten.
    Fotos: pk-Odessa Co.

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    Heterogene Mischnutzung mit einigen Um- und Neubauten.

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    Ausgang des Fußgänger­unterführung der Gleisan­lage
    Foto: pk-Odessa Co.

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    Ausgang des Fußgänger­unterführung der Gleisan­lage

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    Eingang in das Veranstaltungszentrum Tonhalle. Foto: © (phase eins)

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    Eingang in das Veranstaltungszentrum Tonhalle.

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    Foto: pk-Odessa Co.

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    Standort Finanzgarten am Hofgarten und Odeonsplatz.
    Luftfoto: Jürgen Reichmann

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    Standort Finanzgarten am Hofgarten und Odeonsplatz.

    Luftfoto: Jürgen Reichmann

Der falsche Ort

Die Suche nach einem neuen Münchner Konzerthaus ist bislang ein Trauerspiel in vielen Akten. Nun, nach dem internationalen Wettbewerb, hat sich für unseren Autor bestätigt, dass ein ungeeigneter Standort ausgewählt wurde: im „Werksviertel“ jenseits des Münchner Ostbahnhofs.

Text: Stock, Wolfgang Jean, München

Begeisterung sieht anders aus. Als vor drei Mona-­ ten die Ergebnisse des Wettbewerbs für das Konzerthaus vorgestellt wurden, rieben sich die Münchner die Augen. Erstmals wurde vielen von ihnen bewusst, in welch heterogener Umgebung das neue Bauwerk entstehen soll. Erstmals wur­-de ihnen, in der mit fast 10.000 Personen gut besuchten Ausstellung zum Wettbewerb, vor Augen geführt, wie sehr das bayerische Renommierprojekt zwischen allerlei Gebäuden mit kommer­zieller oder kultureller Nutzung eingezwängt sein würde. Und erstmals wurde ihnen klar, welch unattraktiven Weg sie zum neuen Konzertsaal nehmen müssten. Auch der Siegerentwurf der Bregenzer Architekten Cukrowicz Nachbaur löste keinen Jubel aus. Im Gegenteil: Nimmt man die Leserbriefspalten der Münchner Zeitungen als Spiegel, so reichten die Kommentare von Skepsis bis Ablehnung. Sofort tauchten Spitznamen für den Entwurf auf – „Gläserner Sarg“ zählte noch zu den höflichen. Nicht viel anders hörten sich die Urteile aus der Fachwelt an: Kaum ein Architekt oder eine Architektin – und wir haben zahlreiche gesprochen – wollte sich positiv äußern. Vor­behalte durchzogen auch die Texte der Archi­tekturkritiker. So blieb es den verantwortlichen Spitzen von Politik und Verwaltung überlas­-sen, das Projekt zu loben, ja geradezu schön zu reden.
Achterbahn der Vorschläge
Wie ist es zu dieser Enttäuschung gekommen, wie zu der Kluft zwischen einer kulturell engagierten Bürgerschaft und den politischen Akteuren? München ist eine Musikstadt, die Zahl der Konzertliebhaber groß und die Erwartungshaltung hoch. Seit nunmehr 15 Jahren ist man auf der Suche nach einem dritten Konzertsaal – neben der Philharmonie im Gasteig und dem Herkulessaal in der Residenz, die zusammen den Bedarf nicht befriedigen können. Auslöser war das berechtigte Verlangen des hoch angesehenen Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, über ein Haus mit eigenem Belegungsrecht zu verfügen. Damit kam eine wahre Achterbahn von Vorschlägen in Gang. Zunächst geriet der Kulturbezirk in der Münchner Innenstadt ins Visier. Im Jahr 2007 wurde der Ideenwettbewerb „Kulturprojekt Marstall“ entschieden (Bauwelt 44.2007). Gewinner waren die Berliner Axel Schultes und Charlotte Frank, deren Anbau für einen neuen Konzertsaal dann jedoch aus akustischen Gründen verworfen wurde. Darauf folgten Vorschläge in kunterbunter Reihe. So ging es einmal um ein kelchförmiges Konzerthaus über der Isar, ein andermal um den Kongress-Saal des Deutschen Museums (dessen Generaldirektor sofort Einspruch erhob) oder um einen Standort in der Nähe des Olympiaparks. Ministerpräsident Horst Seehofer und Oberbürgermeister Dieter Reiter verfielen sogar auf die kuriose, dann schnell wieder aufgegebene Idee, die Philharmonie abzureißen und dort zwei neue Säle errichten zu lassen. Ungeduldig geworden, stellte der Verein der Konzersaalfreunde 2014 ein eigenes Projekt vor: die im Jahr davor an der TH Nürnberg bei Florian Fischer entstandene Masterarbeit von Markus Krempels für ein neues Konzerthaus im Finanzgarten nahe dem Odeonsplatz. Dass diese Idee nicht verfolgt wurde, hängt mit politischer Feigheit zusammen: Nur weil einige lokale Baumschützer angedroht hatten, sie würden sich an die etwa dreißig zu fällenden Bäume anketten, ging der Freistaat Bayern als Bauherr auf Distanz.
Die Bauwelt hat zweimal über den Zwischenstand des Vorhabens informiert: Sie kommentierte die quälende Standortsuche (Bauwelt 15.2015) und berichtete dann über den zeitweiligen Favoriten „Alte Paketposthalle“ im Münchner Westen (Bauwelt 32–33.2015). Schließlich kamen die Frankfurter Städtebauer Albert Speer und Partner ins Spiel. Ihr vom Freistaat beauftrag-tes Gutachten über die vier verbliebenen Standorte wurde zwar nicht veröffentlicht, doch wurden die Empfehlungen bekannt. Das Gutachten bescheinigte dem Werksviertel eine „geringe“ und der Paketposthalle sogar eine „sehr geringe Eignung“, während der Apothekenhof der Residenz und der Finanzgarten als „sehr geeignet“ beurteilt wurden. In letzter Minute meldete sich dann der Münchner Theologe und Musikfreund Friedrich Wilhelm Graf zu Wort: Sein am 8. Dezember 2015 in der FAZ veröffentlichter Feuilleton-Aufmacher war ein flammendes Plädoyer für den Finanzgarten. Darin geißelte er auch die selbst ernannten Baumschützer – deren anmaßende Forderung „Öffentliches Grün ist unantastbar“ verhindere die demokratische Abwägung kultureller Güter. Der bayerische Ministerrat ließ sich am gleichen Tag davon nicht beeindrucken: Seine Entscheidung fiel für das Werksviertel, in München spöttisch „Pfanni-Gelände“ genannt.
Kenner der örtlichen Situation konnte es nicht überraschen, dass sich alle Teilnehmer des Wettbewerbs sehr schwer taten. Selbst renommierte Büros lieferten keine überzeugenden Lösungen. Dies beruht nicht auf fehlender Phantasie, sondern auf objektiven Bedingungen. Erstens ist das Grundstück viel zu klein, um das geforderte Raumprogramm unterzubringen, weshalb denn auch der siegreiche Entwurf den Festlegungen des Bebauungsplans widerspricht. Zweitens ist die Situation so beengt, dass das Konzerthaus im Konglomerat der anderen Gebäude unterzugehen droht – ein solch bedeutendes Bauwerk muss aber einen entsprechenden Auftritt verlangen dürfen. Drittens würde das geplante Hauszunächst unsichtbar sein, weil es von der den Ostbahnhof begleitenden Friedenstraße aus in der dritten Reihe liegen würde – hinter einem Bestandsgebäude und einem Hotelneubau. Erschwerend kommt hinzu, dass die weitere wie auch nahe Erschließung geradezu aberwitzig ist: Von der Stadt oder vom Bahnhof aus muss man zunächst einen bedrückenden, 200 Meter langen, schier endlos erscheinenden Tunnel durchlaufen, um dann 100 Meter weiter mühsam den Eingang zum Konzerthaus zu finden. Konsequent wie kein zweites Büro haben sich Herzog & de Meuron mit dieser städtebaulichen Kalamität auseinander gesetzt: Sie sprechen zurecht von einem „Unort“, den sie radikal verändern würden. Auch Winfried Nerdinger, der wohl beste Kenner der Münchner Architekturgeschichte, schüttelt angesichts dieses Standorts nur den Kopf, und am 1. Preis bemängelt er den inhalt­lichen Konflikt zwischen dem geschlossenen Konzertsaal im Obergeschoss und der darüber gestülpten Glashaube.
Werksviertel versus Finanzgarten
Was sich „Werksviertel“ nennt, war über Jahrzehnte hinweg ein Industriegelände, auf dem Kartoffeln verarbeitet, Krafträder hergestellt und Kleider genäht wurden. Nachdem 1996 die Pfanni-Werke ihren dortigen Stammsitz aufgegeben hatten, wandelte sich das große Gewerbegebiet zunächst zum „Kunstpark Ost“ und später zur „Kultfabrik“ mit zahlreichen Orten des Nachtlebens: Bars, Clubs, Diskotheken, Restaurants und Spielhallen. Außerdem siedelten sich Künstler­ateliers und Kleinunternehmen an. Diese in München untypische Konzentration von Vergnügungsangeboten wurde nicht nur für die einheimische Jugend zum Hotspot. Motor der Transformation des Geländes war und ist der Pfanni-Erbe Werner Eckart. Sehr geschickt versteht er seine eigenen Interessen mit öffentlichen Projekten zu verbinden. So konnte er die Kommunalpolitik vor einigen Jahren davon überzeugen, das nunmehrige Werksviertel als Mischgebiet mit Arbeiten, Wohnen und Kultur zu entwickeln. Im Magazin „Das Werk“ wird nicht mit Selbstlob gespart: Das Werksviertel „ist Heimat der Münchner Start-up- und Gründerszene, Anlaufpunkt für Kreative, Arbeits- und Gestaltungsraum für Künstler und Musiker der Sub- und Hochkultur.“
Als Generalplaner gewann Werner Eckart die Münchner Steidle Architekten. Beider Ziel war es, das neue Konzerthaus als „Zuckerl“ auf das Gelände zu ziehen. Das ist vorerst gelungen, auch wenn es den Freistaat schmerzt, dass Eckart das Areal nicht verkaufen, sondern nur in Erbpacht überlassen will. Doch weil sich das Gelände auch ohne Hochkultur bereits gut entwickelt hat, darf man feststellen: Das Werksvier­tel braucht das Konzerthaus gar nicht, das Konzerthaus hingegen einen besseren Standort. Architekt Gert Goergens, bis Ende 2016 amtierender Stadtheimatpfleger von München und Werkbund-Mitglied, empört noch immer, dass der Staat den Standort Finanzgarten ohne plausible Begründung aufgegeben habe. Damals sei mit falschen Karten gespielt worden. Der Musterentwurf von Markus Krempels für ein neues Konzerthaus hätte die schützenswerte Wallbastion aus dem 17. Jahrhundert gar nicht tangiert, sondern lediglich einen Bereich eingenommen, der noch in den späten 1980er Jahren eine Brachfläche gewesen und danach bepflanzt worden war. Dies habe auch der Landschaftsarchitekt Peter Kluska bestätigt. Dessen Untersuchung stellte Gottfried Knapp in der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) vom 5. Juni 2013 vor: Kluska weise nach, „wie sich ein Konzertsaal der gewünschten Größe in das denkmalgeschützte Ensemble des Finanzgartens hineinschmiegen ließe, ohne dass von der historischen Substanz etwas verloren geht.“ Doch auch der Hinweis auf die optimale Anbindung des Finanzgartens (in unmittelbarer Nähe kreuzen sich vier U-Bahn-Linien) nutzte nichts – der Freistaat knickte vor den Baumschützern ein.
Neuer Stand: Generalpause
Allen Absichten, schon in diesem Jahr mit den Bauarbeiten im Werksviertel zu beginnen, machte der Haushaltsauschuss des Bayerischen Landtags am Nikolaustag 2017 einen Strich durch die Rechnung. Der Ausschuss, auf den es bei dieser Baumaßnahme stets ankommt, beschloss einstimmig, den bisherigen Zeitplan aufzuheben und vorerst keinen Euro für das Projekt zu bewilligen: „Generalpause für das Konzerthaus“ titel­te die SZ. Vorausgegangen war die Konzerthaus-Tour einer Landtagsdelegation durch Europa mit dem Besuch der Häuser in Hamburg, Lahti, Luzern, Luxemburg und Paris. Der Ausschuss will auf jeden Fall ein finanzielles und zeitliches Desaster wie bei der Elbphilharmonie verhindern. Zuletzt war zu lesen, dass bis auf weiteres fast alles offen ist: wann der erste Spatenstich erfolgt, ob überhaupt der 1. Preis gebaut und wer die Projektleitung übernehmen wird.

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