Kosovo: Transcendent Locality
Der Krieg Ende der Neunziger hat tausende Kosovaren zur Flucht gedrängt. Manche sind danach zurückgekehrt, andere in der neuen Heimat geblieben – ein Zuhause finden nun viele an mehr als einem Ort.
Text: Landes, Josepha, Berlin
Kosovo: Transcendent Locality
Der Krieg Ende der Neunziger hat tausende Kosovaren zur Flucht gedrängt. Manche sind danach zurückgekehrt, andere in der neuen Heimat geblieben – ein Zuhause finden nun viele an mehr als einem Ort.
Text: Landes, Josepha, Berlin
Im Jahr 2012 war Kosovo zum ersten Mal mit einem Beitrag auf der venezianischen Architektur-Biennale vertreten. Der Architekt von damals, Përparim Rama, ist heute Bürgermeister von Pristina. Er war maßgeblich daran beteiligt, dass im vergangen Jahr die nomadische Kunstbiennale Manifesta in der Hauptstadt des jungen Landes gastierte (Bauwelt 19.2022). Seine Biografie ist beispielhaft für das Thema, das Poliksen Qorri-Dragaj und ihr Vater Hamdi Qorri im kosovarischen Ausstellungsraum bei der aktuellen Venedig-Biennale verfolgen. Qorri sagt: „Wir sind zurückgekommen, um unser Land zu gestalten.“
Im Arsenale hängen die Qorris eine Skulptur aus Aluminium- und Neon-Röhren von der Decke ab. Geformt wie ein auf den Kopf gestelltes Haus, spannt dieser mehrschichtige Rahmen eine, wie sie sagen, Zwischenwelt auf, mit der die meis-ten Kosovaren vertraut sind. Auch die Familie Qorri hat seit den neunziger Jahren, wie Bürgermeister Rama, im Ausland gelebt – er in Großbritannien, sie in Deutschland. Poliksen Qorri-Dragaj ist für ein Online-Gespräch aus Kaiserslautern zugeschaltet, wo sie am Fachbereich Stadtplanung lehrt, Hamdi Qorri aus Pristina. Er ist nach dem Krieg in den Kosovo zurückgekehrt. Die in ihrer Arbeit abgebildete „Translokalität“, erzählen sie, sei spätestens seit dem Kosovo-Krieg Ende der neunziger Jahre und der daraus resultierenden Fluchtwelle ein selbstverständlicher Bestandteil der kosovarischen Gegenwart. Viele Menschen leben an zwei Orten, in zwei Kulturen gleichzeitig.
Neben der Leuchtplastik werden im Raum Projektionen und Fotografien aus Pristina gezeigt. Qorri-Dragaj und Qorri wollen den Einfluss des fluiden Zuhause-Begriffs auf den Städtebau herausstellen. Im Krieg wurden hauptsächlich ländliche Gebiete und Siedlungen zerstört. Dorthin richtete die Regierung, richtete vor der Staatsgründung 2008 die UN-Sonderverwaltung denn auch in dessen Folge ihre Wiederaufbauprogramme. Allerdings bezogen die langfristig oder zeitweilig Wiederkehrenden vorrangig Domizil in den Städten. In sein vor dem Krieg gewohntes, vielfach dörfliches Leben kehrte ein Großteil der Menschen nicht zurück. Die durch den Umbruch und die in der Fremde gesammelten Erfahrungen entstandene neue Lebensweise führte, in Kombination mit der vor allem anfangs hinkenden Bürokratie im Land, zu „Wildwuchs“. Tetris-hafte Bauten an den Rändern Pristinas, aber auch im Zentrum prägen das Bild der Stadt.
Der kosovarische Ausstellungbeitrag ist ein Anlauf, die durch erzwungene Migration und Getrenntsein hervorgerufenen Ideen, Wünsche, Erwartungen zu fassen. Qorri-Dragaj und Qorri machen aufmerksam, was es heißt, dass gut neunzig Prozent der kosovo-albanischen Bevölkerung, vorübergehend oder nicht, ihre Heimat „eintauschen“ mussten. Die leuchtenden Häuser sind ein Sinnbild für die damit einhergehende Verbundenheit und auch die Einsicht, dass Bilder aus der Ferne oft für Enttäuschung taugen. Nach dem Krieg kam wohl keiner zurück an den Ort, den er verlassen hatte.
Die Venedig-Biennale ist ein Ort, an dem die Weltlage auf wenig Raum Resonanz findet. Bei der Kunst-Schau im letzten Jahr waren Kosovo und die Ukraine Nachbarn und sich der geschichtlichen Vergleichbarkeit bewusst. Auf die diesjährigen Nachbarn angesprochen, verweist Qorri-Dragaj auf Kroatien. Sie sagt: „Die Macherinnen haben wie ich am KIT studiert.“ Menschen verlassen ihre Heimat auch zum Studieren oder für reizvolle Jobs, für die Liebe oder aus anderen Interessen. Darin, „Translokalität“, über den Nationalitäten-Begriff hinaus zu erweitern, liegt ein persönlicher Anknüpfungspunkt auch für diejenigen Gäste, die keine Vertreibung erfahren haben. Der kosovarische „Pavillon“ spricht über den Kosovo und regt an, ganz generell und ganz individuell darüber nachzudenken, was das ist – ein Zuhause.
Hamdi Qorri
ist Architekt und Stadtplaner in Drenas. Er promovierte zur „Zersiedelung als Phänomen in einem Übergangskontext – Ursachen, Folgen und Auswirkungen auf die Raumplanung“.
Poliksen Qorri-Dragaj
ist Stadtplanerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der RPTU Kaiserslautern-Landau. Im Rahmen ihrer Promotion forscht sie an den räumlichen Auswirkungen von Krieg und Migration von post-conflict-cities im Kosovo
ist Architekt und Stadtplaner in Drenas. Er promovierte zur „Zersiedelung als Phänomen in einem Übergangskontext – Ursachen, Folgen und Auswirkungen auf die Raumplanung“.
Poliksen Qorri-Dragaj
ist Stadtplanerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der RPTU Kaiserslautern-Landau. Im Rahmen ihrer Promotion forscht sie an den räumlichen Auswirkungen von Krieg und Migration von post-conflict-cities im Kosovo
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