Bauwelt

Altstadtabriss: Verlust der Tradition

Der Abriss der historisch gewachsenen Mahallas ist in usbekischen Städten allgegenwärtig. Da die dafür sensible Zivilgesellschaft zu vulnerabel ist, um sich gegen die Zerstörung der Lebensgrundlagen zu verteidigen, helfen Impulse aus dem Ausland. Unser Autor, der Denkmalpfleger Jens Jordan, der in Usbekistan studierte und vor Ort zwei Weiterbildungsprojekte in Denkmalpflege begleitete, hat mit einem Team internationaler Wissenschaftlerinnen Altstadtviertel in Taschkent dokumentiert. Nur ein kleiner Teil davon hat die Verdrängung durch den lokalen Immobilienmarkt und staatlich geförderte Prestigeobjekte überlebt.

Text: Jordan, Jens Werner

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    Im Jahr 2016 (oben links) sind die Mahallas Ukchi und Olmazor noch erhalten, ...
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    Im Jahr 2016 (oben links) sind die Mahallas Ukchi und Olmazor noch erhalten, ...

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    ... 2018 (oben Mitte) erfolgte der fast vollständige Abbruch, ...
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    ... 2022 (oben rechts) zeigt sich das neue Geschäftsviertel Tashkent City.
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    ... 2022 (oben rechts) zeigt sich das neue Geschäftsviertel Tashkent City.

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    Die Quartiersmoschee Orifjonboy wurde erhalten, auf dem Foto ist sie noch in ihrem alten Kontext zu sehen.
    Foto: Jens Jordan

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    Die Quartiersmoschee Orifjonboy wurde erhalten, auf dem Foto ist sie noch in ihrem alten Kontext zu sehen.

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    Die Kuppel des Museums „Zentrum für islamische Zivilisation“ überragt das umliegende Altstadtviertel.
    Foto: Philipp Meuser

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    Die Kuppel des Museums „Zentrum für islamische Zivilisation“ überragt das umliegende Altstadtviertel.

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    Letzter zusammenhängender Bereich der Altstadt um den Hazrati-Imam-Komplex im Jahr 2012 ...
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    Letzter zusammenhängender Bereich der Altstadt um den Hazrati-Imam-Komplex im Jahr 2012 ...

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    ... und 2022.
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    Zentrum für Islamische Zivilisation, Architekten: Wilmotte & Associés, 2018–2025
    Foto: Philipp Meuser

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    Zentrum für Islamische Zivilisation, Architekten: Wilmotte & Associés, 2018–2025

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    Das Mahalla Gulbazar erfährt derzeit eine umfangreiche Sanierung durch die Bewohnerschaft.
    Foto: Philipp Meuser

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    Das Mahalla Gulbazar erfährt derzeit eine umfangreiche Sanierung durch die Bewohnerschaft.

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    Dass die Stadtverwaltung die baukulturelle Bedeutung erkannt hat, hängt auch mit den usbekisch-deutschen Forschungen seit 2014 zusammen.
    Foto: Philipp Meuser

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    Dass die Stadtverwaltung die baukulturelle Bedeutung erkannt hat, hängt auch mit den usbekisch-deutschen Forschungen seit 2014 zusammen.

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    Das Mahalla Koh-Ota, in dem sich auch die Amity Universität befindet, ...
    Foto: Philipp Meuser

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    Das Mahalla Koh-Ota, in dem sich auch die Amity Universität befindet, ...

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    ... hat nun 12-Geschosser als Nachbarn.
    Foto: Philipp Meuser

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    ... hat nun 12-Geschosser als Nachbarn.

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    Wie lang das Viertel noch stehen bleibt, ist eine Frage der Zeit.
    Foto: Philipp Meuser

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    Wie lang das Viertel noch stehen bleibt, ist eine Frage der Zeit.

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Altstadtabriss: Verlust der Tradition

Der Abriss der historisch gewachsenen Mahallas ist in usbekischen Städten allgegenwärtig. Da die dafür sensible Zivilgesellschaft zu vulnerabel ist, um sich gegen die Zerstörung der Lebensgrundlagen zu verteidigen, helfen Impulse aus dem Ausland. Unser Autor, der Denkmalpfleger Jens Jordan, der in Usbekistan studierte und vor Ort zwei Weiterbildungsprojekte in Denkmalpflege begleitete, hat mit einem Team internationaler Wissenschaftlerinnen Altstadtviertel in Taschkent dokumentiert. Nur ein kleiner Teil davon hat die Verdrängung durch den lokalen Immobilienmarkt und staatlich geförderte Prestigeobjekte überlebt.

Text: Jordan, Jens Werner

In der damaligen sowjetische Teilrepublik Usbekistan veränderte sich ab Mitte der 1970er Jahre das Verständnis für das eigene baukulturelle Erbe. Seit Beginn der 1980er Jahre gelangten neben den historischen Monumentalbauten und ebenfalls zügig in die Denkmallisten aufgenommenen Wohnbauten der Stalinzeit und der Sowjetmoderne die traditionellen Wohnquartiere – die Mahallas – in den Fokus der Aufmerksamkeit. Zuvor vernachlässigte und neuen Nutzungen zugeführte religiöse Bauten wie Quartiersmoscheen und kleine Medresen in der Altstadt wurden umfangreich in Bild und Plan dokumentiert. Neben dieser Bauforschung fand eine umfassende Inventarisationskampagne der Zeugnisse des traditionellen Wohnbaus statt. Über 800 Objekte in der Taschkenter Altstadt wurden identifiziert und in drei Kategorien eingeteilt, wobei zumindest jene zwanzig Prozent der ersten Kategorie zweifelsohne auch heute Bestandteil einer Denkmalliste wären – hätte man sie erhalten. So ist es nur glücklichen Umständen und dem Engagement einiger Bewohner zu verdanken, dass einzelne herausragende Bauten bis heute in der Altstadt zu finden sind.
Auf der Planungsebene zeigten sich die für die Spätphase der Sowjetunion charakteristischen Parallelentwicklungen. Während das „Institut für Konservierung und Restaurierung“ an der Ausweisung von Schutzzonen arbeitete, wurden am „Institut für die Entwicklung von Masterplänen“ die Ideen einer autogerechten Moderne forciert und in den späten 1980er und 1990er Jahren umgesetzt. Der um das Jahr 1980 noch kompakt erhaltene Stadtkörper der Altstadt wurde von Magistralen durchzogen und abschnittsweise abgerissen. Der Richtungsstreit der Institute wurde Ende der 1990er Jahre mit der Schließung des Instituts für Konservierung und Restaurierung entschieden, womit auch die wichtigste Stimme im Bereich der Denkmalpflege in Usbekistan verloren gegangen ist.
In der Regierungszeit des ersten Präsidenten nach der Unabhängigkeit, Islam Karimow, wurden denkmalbezogene Entscheidungen seitdem nicht mehr durch Fachbehörden, sondern einzig durch die Politik getroffen. Die weiter-hin existierenden lokalen Denkmalämter besaßen kaum Entscheidungsbefugnis und sind bis heute personell unterbesetzt. Das Resultat ließ nicht lange auf sich warten: Nach einer Stagnationsphase begann um 2006 eine Trennung von touristischen und einheimischen Bereichen in den Städten des Weltkulturerbes. Dazu gehört etwa die Errichtung von Sichtschutzwänden und neuen Parkanlagen, die von monotonen Souvenirläden gesäumt werden. Anstatt der Förderung eines kleinteiligen Wohnungsbaus zum Erhalt der gerade auch touristisch wertvollen, traditionellen Nachbarschaften werden die Bewohnerinnen verdrängt. Diese Entwicklungen kulminierten um das Jahr 2014 in einer Welle von großflächigen Abrissen – beispielhaft für diese Fehlentwicklung ist die Zerstörung die Altstadt von Shahrisabz durch eine monumentale und von Hotelanlagen begleiteten Schneise.
Stadtforschung als Beitrag zum Erhalt
Von dieser Welle sind auch die mit dem Welterbestatus ausgezeichneten Altstädte von Samarkand, Buchara und Chiwa betroffen. In der größten noch erhaltenen Altstadt, in der Hauptstadt Taschkent, beginnt 2014 ebenfalls ein Rückbau der traditionellen Wohnviertel. Im Norden der Altstadt wird eine sechsspurige Schnellstraße durch das Geflecht der Hofhäuser geschlagen, beidseitig von Geschosswohnungsbau begleitet.
Die Maßnahmen stoßen in Taschkent auf unterschiedliches Echo: Die über Jahrzehnte andauernde Unsicherheit über den Verbleib auf der eigenen Parzelle verhinderte in vielen Fällen Investitionen in den Bauunterhalt. Das stark kon-tinental geprägte Klima mit kurzen, kalten Wintern und langen, sehr heißen Warmphasen beansprucht die traditionellen Fachwerkbauten erheblich. Einige Bewohner sahen der Umsiedlung durchaus freudig entgegen, während für andere der Verlust der über viele Generationen von der Familie bewohnten Gebäude eine Katastrophe darstellte. Insofern erschien die Untersuchung eines traditionellen Stadtquartiers von großem Interesse, auch um sich einen Eindruck zu verschaffen über die in den dreißig Jahren seit der letzten systematischen Inventarisierung stattgefundenen Veränderungen.
Ein Konsortium aus vier deutschen und zwei usbekischen Hochschulen unter Leitung der Fachhochschule Potsdam bot zwischen 2014 und 2020 mit der wiederaufgenommenen Aus-bildung usbekischer Studierender den Rahmen, dieser Frage nachzugehen. Die Veröffentlichung der Ergebnisse – es ist immer noch viel des ursprünglichen kulturellen Erbes erhalten – stieß auf ein reges Interesse in der Taschkenter Öffentlichkeit und selbst vom Rathaus vorgestellte Umgestaltungsplanungen für den Hauptbasar verschwanden wieder in der Schublade.
Mit dem Amtsantritt der Regierung von Shavkat Mirziyoyev entwickelte sich ab 2016 eine neue Dynamik des Stadtumbaus. Liberale Reformen auf allen Ebenen der Gesetzgebung und der staatlichen Institutionen förderten einen enormen Aufschwung, der sich bald im Bauwesen niederschlug. Der Bürgermeister beförderte ein Verschwinden des Hauses der Filmkunst (Dom Kino) oder des ehemaligen Volksparks Stalin aus dem Stadtbild, indem sie privatisiert, bzw. in städtisches Eigentum überführt und den Zeichender Zeit angepasst wurden: Der Kinokomplex wurde abgerissen (Seite 31) und durch ein Kongresszentrum in modernem Gewand ersetzt, der Volkspark wurde nach Vorbild des Disneylands in einen Vergnügungspark namens „Magic City“ umgewandelt.
Bedeutendstes Zeichen der Modernisierung sollte jedoch das bereits in den 1990er Jahren geplante Viertel Tashkent City im Zentrum der Altstadt werden. Nach Vorbild des Moskauer Geschäftszentrums Moscow City künden Wohnungen, Hotels und Shoppingcenter um eine modern gestaltete Parkanlage von der neuen Zeit und ihren Möglichkeiten. Die Territorialgesellschaften in Form der Altstadtviertel Mahalla Uktchi und Olmazor, die häufig auch von verwandtschaftlichen Beziehungen durchzogen sind, mussten weichen – und mit ihnen die baukulturellen Zeugnisse der charakteristischen und bestens an das Klima und den Ort angepassten Hofhäuser sowie die Orte des Zusammentreffens wie Quartiermoscheen und Teehäuser. Zumindest konnte nach intensiven Auseinandersetzungen mit der Projektentwicklerin erreicht werden, dass eine der Quartiersmoscheen erhalten wurde und nun als Museum innerhalb der Parkanlage weiterbesteht.
Ähnliche Prozesse sind im spirituellen Zentrum der Altstadt zu beobachten: Das Altstadtviertel Hastimam wurde abgebrochen, um Platz für ein überdimensioniertes Museum zu schaffen. Das „Zentrum für islamische Zivilisation“ zerstört dabei genau das, was zu vermitteln es als seine Aufgabe vorgibt. Als einer der ehemaligen vier Hauptfriedhöfe der Stadt schöpfte der Platz mit seinen Moscheen, Mausoleen und Me-dresen gerade aus dem räumlichen Kontrast zu den ein- bis zweigeschossigen Hofhäusern, den verwinkelten Gassen und den Quartiersmoscheen mit ihren kleinen und damit Einblicke in die Höfe vermeidende Minarette. Der über zehn Stockwerke hohe Neubau ignoriert dieses kulturelle Erbe. Nach Protesten wurden internationale Forschungseinrichtungen wie die Politechnico Milano und die ETH Zürich mit Projekten zur Sowjetmoderne und der Altstadt betraut, die u.a. in einem beachtenswerten Beitrag auf der 17. Architekturbiennale Venedig mit dazugehörigen Publikationen und Tonaufnahmen der altstädtischen Geräuschkulisse gipfelten. Kuratoren waren 2021 die beiden Züricher Architekten Emanuel Christ und Christoph Gantenbein. Der Rückbau der Mahallas geht seitdem jedoch unvermindert weiter.
Altstadtabriss als Phänomen in ganz Usbekistan
Neben repräsentativen Neubauten und Wohnbauten entsteht auf den ehemaligen Flächen der Altstädte, oder in direkter Nachbarschaft, eine weitere Typologie: die erträumte Altstadt. Freizeitparks nach amerikanischem Vorbild werden nun in Taschkent im Park Navroz am Ankhor-Kanal, in Samarkand am Rand der Altstadt in Form der „ewigen Stadt“ und auch in Buchara im Bereich des Stadions in der Pufferzone des Welterbes eröffnet. Sie zeigen das idealisierte Bild der Altstadt mit Hofhäusern und Kuppelbauten, bieten Fotomotive und werden von Kunsthandwerkern, Verkäuferinnen und Statisten bespielt.
Bezeichnenderweise zeigt die Planung für Buchara große Ähnlichkeit zu den Planungen aus der Mitte der 1970er Jahre: Eine fast nur touristisch genutzte Altstadt, die von modernen Hochbauten umgeben ist, wie die Bühne eines Amphitheaters. Doch während es sich damals um die tatsächliche Altstadt handelte und die als Denkmale erkannten Gebäude instandgesetzt und integriert werden sollten, fehlt dem Freizeitpark jede Authentizität.
Grundsätzlich könnte diese Vorgehensweise Druck von der Altstadt nehmen und auch Chancen für diese eröffnen. Leider eröffnet die Abwesenheit von regulatorischen Instrumenten und finanzieller Unterstützung für Bewohner Kapitalinteressen die Möglichkeit, Grundstücke auf-zukaufen und einer touristischen Funktion zuzuführen. So bleibt zu befürchten, dass die neuen Freizeitparks eben auch ein Vorgeschmack auf die Zukunft der usbekischen Altstädte sind: Pseudo-Mittelalter vor moderner Kulisse.

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