An Atlas of Commoning
Eine Ausstellung der Arch+ zeigt in Berlin-Kreuzberg Ansätze für ein bewusstes Leben als Gemeinschaft. Es wird laut.
Text: Tempel, Christoph, Berlin
An Atlas of Commoning
Eine Ausstellung der Arch+ zeigt in Berlin-Kreuzberg Ansätze für ein bewusstes Leben als Gemeinschaft. Es wird laut.
Text: Tempel, Christoph, Berlin
Ein Gebetsteppich ziert die aktuelle Ausgabe der Arch+, oder besser, die Vorlage für einen solchen. Das zentrale Feld zeigt einen stilisierten Kartenausschnitt mit einer Stadt, einer kleineren Ortschaft und Wald. Sechs Bordüren umgeben das zentrale Motivfeld, zwei davon bilden den Grund für den Text eines Paragraphen 26, der „Freedom of Movement“ deklariert: Darin wird allen Menschen, gemäß der geltenden Flüchtlingsgesetze, die Möglichkeit der Wohnortsuche im gesamten Territorium der Mitgliedstaaten eingeräumt. Im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien kann man sich derzeit auf diesen Teppich setzen. Er ist Teil der Arbeit „Rights on Carpet“ des Architekten Manuel Herz, die in der Ausstellung „An Atlas of Commoning: Orte des Gemeinschaffens“ gezeigt wird.
In der Ausstellung soll „der Kampf um Zukunftsmodelle der Gesellschaft“ und deren architektonische Ausgestaltung vorgestellt werden. Die soll sich ändern, weil weiterhin die Dichotomie von privat und öffentlich wie auch jene von Wohnen und Arbeiten den Architekturdiskurs überschatten. Die Macher sind sich sicher, dass die Commons-Perspektive einen Beitrag dazu leisten kann, „ein binäres Denken ebenso wie ein essenzialistisches Verständnis des Öffentlichen zu überwinden“.
Wer die einzelnen Paragraphen der „Genfer Konventionen“, der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ oder des „Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge“ lesen will, muss die Schuhe ausziehen und auf die Knie. Einen ganzen Raum nimmt der Teppich ein, und man versteht in diesen Sommerzeiten, warum es vor Moscheen Becken zum Füßewaschen gibt. Abgesehen vom eigenen Mief erschwert der Sound der gegenüberliegenden Installation von Samson Young Konzentration und Kontemplation: Ein Gewerkschaftschor aus Hong Kong haucht „We are the World“ – zu laut, zu penetrant, der klingende Kollateralschaden der gesamten Ausstellung und nur interessant, wenn man sich der Arbeit in einem der bereitgestellten Kinosessel wirklich widmet.
Überhaupt schreit alles in dieser Ausstellung: Die Kuratoren schreien vom „offenen und emanzipatorischen Raum des Wir“, den es zurückzuerobern und neu zu definieren gilt, das Ausstellungsdesign brüllt „Wanderausstellung“ und die zu laute Kopfhörereinstellung manches Videobeitrags tut in den Ohren weh wie die laut plärrenden Beiträge der „PlanBude Hamburg“ oder des schon beschriebenen Gewerkschaftschors. Die drangvolle Enge des in kleine und Kleinsträume zerklüfteten Kunstraums Kreuzberg trägt das ihrige zu diesem gefühlten Überbietungswettbewerb bei.
Aber das sind Oberflächlichkeiten, denn wer sich auf die Schau einlässt und vor allem, wer sich die Arch+, die als Katalogbuch fungiert, genauer zur Hand nimmt, wird schnell erkennen, dass nicht gegenseitige Überbietung das Thema ist, sondern gemeinsames Handeln; dass kein allgemeingültiger Kanon des Gemeinschaffens angestrebt wird, sondern ein Atlas unterschiedlicher Fallbeispiele, der sich während der Laufzeit der Ausstellung verändern wird, weil an jedem weiteren Ort neue Perspektiven hinzukommen sollen. Jetzt muss man wissen, dass Auftraggeber der Schau das Institut für Auslandsbeziehungen in Stuttgart ist und die geplante Laufzeit zehn Jahre beträgt. Genug Zeit, um die Ausstellung auf Tournee zu schicken und um dringend notwendige nichteuropäische Perspektiven zu ergänzen.
In Berlin werden genossenschaftlich organisierte Zürcher Bauprojekte („Kalkbreite“) ebenso gezeigt wie der Berliner Versuch, aus einem Stasiverwaltungsbau mithilfe des Mietshäuser Syndikats ein Gemeinschaftswohnprojekt zu formen („Wilma 19“). Der „Prinzessinnengarten“ ist mit dabei und auch das „House of One“ darf nicht fehlen, ebenso wenig wie der „Granby Workshop“ in Liverpool. Alles Projekte, die eine Relevanz für das Thema besitzen, aber schon lang und breit in den Medien rezipiert wurden. Man darf also gespannt sein, wie die Ausstellung nach zehn Jahren aussehen wird, wie sich der Atlas of Commoning durch Beispiele aus der Welt verändert. Dann sollte die Schau wieder an ihren Ausganspunkt zurückkehren und die Projekte und weltweiten Herangehensweisen hier noch einmal präsentieren. Wir können sicher einiges davon lernen.
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