Blumenkübel, Wendehammer, Wäschespinne
Eine Ausstellung im Postkartenformat im Stadtmuseum Paderborn widmet sich dem Vergleich von drei typischen Stadträumen der Nachkriegsmoderne in beiden deutschen Staaten. Im Alltagsdesign von Fußgängerzonen, Hochstraßen und Siedlungsräumen wirken Bundesrepublik und DDR einiger, als sie politisch waren.
Text: Escher, Gudrun, Xanten
Blumenkübel, Wendehammer, Wäschespinne
Eine Ausstellung im Postkartenformat im Stadtmuseum Paderborn widmet sich dem Vergleich von drei typischen Stadträumen der Nachkriegsmoderne in beiden deutschen Staaten. Im Alltagsdesign von Fußgängerzonen, Hochstraßen und Siedlungsräumen wirken Bundesrepublik und DDR einiger, als sie politisch waren.
Text: Escher, Gudrun, Xanten
Zu den Dimensionen der abfotografierten Fußgängerzonen, Stadtstraßen und Wohnsiedlungen steht das Einheitsformat der Bildpostkarte in diametralem Gegensatz. Die solchermaßen notgedrungen kleinteilige Ausstellung verlangt ein konzentrierendes Ambiente, wie es das Stadtmuseum Paderborn im Kreuzgangflügel des Abdinghofs bietet, an den das Museum angebaut wurde. Dort sind in gleichgroßen Rahmen jeweils mehrere Karten in Reihen untereinander arrangiert entsprechend ihrem thematischen Kontext und mit kundigen Erläuterungen von Bauwelt-Redakteur Ulrich Brinkmann versehen. Den Introitus bildet getrennt davon gleichneben dem Museumseingang ein Kontingent, dessen Pendant wenige Straßenecken entfernt in der Paderborner Fußgängerzone besichtigt werden kann. Hier zeigen die Postkarten in schöner Ausführlichkeit die Entwicklung der Westernstraße vom Anfang des 20. Jahrhunderts über den Wiederaufbau nach Kriegszerstörungen bis zur Umwandlung zur Fußgängerzone samt Möblierung – ein Exempel für viele andere deutsche Innenstädte.
Die Ausstellung bietet einen kleinen Ausschnitt aus der umfangreichen Postkartensammlung Brinkmanns, diesmal mit Fokus auf Postkarten aus der Zeit 1949 bis 1989 aus beiden Teilen Deutschlands. Darunter Unscheinbares und Abseitiges, aber auch die städtebauliche Prominenz aus Eisenhüttenstadt, Halle-Neustadt oder Dresden mit der Prager Straße ebenso wie aus Kassel, Wolfsburg oder Berlin-West mit dem Hansaviertel. Ausführlicher breitet Brinkmann sein Material in der Buch-Trilogie aus, deren erster Band bereits erschienen ist: „Achtung vor dem Blumenkübel!“. Die Folgebände „Vorsicht auf dem Wendehammer!“ und „Obacht an der Wäschespinne!“ sind in Vorbereitung.
Obgleich die Bücher wie die Ausstellung den in großen Zügen bekannten Städtebau in Deutschland in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den zentralen Phänomenen der Innenstädte, der automobilen Infrastruktur und des Geschosswohnungsbaus thematisieren, ermöglichen die Postkarten einen anderen, selektiven, zuweilen fast privaten Blick in einem Medium, das sich primär nicht an ein architekturaffines Fachpublikum wendet, deshalb die augenzwinkernden Titel. So käme in einer Architekturgeschichte vermutlich Neugablonz als Stadtneugründung für Vertriebene nicht vor. Für deren Neubürger aber war es essenziell, der überlebenden Verwandtschaft anschaulich zu zeigen, wie heil und sauber die neue Heimat aussieht. Erstaunlich, was alles in Postkartenform Verbreitung fand, ohne im landläufigen Sinn als „Sehenswürdigkeit“ gelten zu können, von der Straßenschneise im Zuge der verkehrsgerechten Stadtsanierung bis zur topografisch völlig unspezifischen Neubausiedlung. Anders auch als auf professionellen Architekturfotografien geraten auf den Postkarten Menschen mit ins Bild, in den Fußgängerzonen ohnehin, aber auch Kinder auf dem einsamen Spielplatz zwischen Hochhausscheiben.
Was die Ausstellung so sehenswert macht, ist der in den Postkarten kondensierte zeitgenössische, von Stolz und Zukunftserwartung erfüllte Blick explizit auf die neuen und nicht auf alte Stadt-Ansichten. Die dürfen allenfalls als Kulisse für die chromglänzenden Wahrzeichen der automobilen Neuzeit auf zugeparkten Marktplätzen herhalten. Nicht selten sind die-se An- und Ausblicke schon wieder Geschichte, weil Straßen seither zurückgebaut und Wohnblocks überformt oder ganz abgerissen worden sind. Zudem schärft die Gegenüberstellung von Ost und West den direkten Vergleich und es ist offensichtlich: In ihren Vorstellungen von Städtebau und Architektur waren sich die beiden so uneinigen politischen Systeme ziemlich einig bis hin zur Ausstattung von Plätzen und Verkehrsinseln mit Brunnenkunst. Und nicht nur das, auch die fotografischen Blickwinkel sind zum Verwechseln ähnlich, oft nur unterscheidbar an Autokennzeichen. Autotypen dürften zudem ein wesentliches Hilfsmittel für die akribisch recherchierte Datierung der Postkarten gewesen sein.
Mit den Postkartenbildern im Kopf werden wohl einige der Ausstellungsbesucher durch keine deutsche Innenstadt mehr gehen können, ohne mit einem „sieh mal an“ ein Pflastermosaik in grau und rosa Betonsteinen oder den typischen Sechseck-Blumenkübel zu registrieren.
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