Chance und Gefahr zugleich
Die lehrreiche Münchner Ausstellung „Experience in Action!“ zeigt neuere Design-Build-Projekte von studentischen Gruppen auf vier Kontinenten
Text: Stock, Wolfgang Jean, München
Chance und Gefahr zugleich
Die lehrreiche Münchner Ausstellung „Experience in Action!“ zeigt neuere Design-Build-Projekte von studentischen Gruppen auf vier Kontinenten
Text: Stock, Wolfgang Jean, München
Schon im ersten Raum der umfangreichen Schau steht in großen Lettern an der Wand geschrieben, wie problematisch das Thema Design-Build offenbar ist − ganz besonders als soziale Aktion von Studierenden in fremden Kulturen. So fragt etwa Andreas Emminger, der Architektur an der TH Regensburg lehrt: „Ist das nicht alles nur für den ‚Fancy Moment of Glory‘?“ Martin Düchs, der mit einer Arbeit zur Ethik des Architekten promoviert hat, ist ebenfalls skeptisch: Könnte das studentische Bauen in fernen Ländern ein „moralisches Feigenblatt“ sein? In seinem Katalogbeitrag hat er Design-Build sogar „als Chance und Gefahr“ bezeichnet. Selbst Vera Simone Bader, die Kuratorin der Ausstellung im Architekturmuseum der TU München, hat sich dem Thema kritisch genähert, wie sie beim Rundgang erläutert. Man könne nicht ausschließen, dass idealistisch gemeinte Projekte als „neokolonial“ empfunden oder Menschen mit Gebäuden „beschenkt“ würden, die sie gar nicht brauchen. Bader, die Design-Build als Bewegung zum ersten Mal in einer gründlich vorbereiteten Schau vorstellt, wünscht sich mehr vorgängige Reflexion und nachträgliche Überprüfung solcher Projekte.
Dass es studentische Mitwirkung an Bauvorhaben gab, ehe der Begriff Design-Build gegen Ende der 1960er Jahre an der Yale University geprägt wurde, zeigt eine Zeitleiste, die 1923 mit dem Ausstellungshaus „Am Horn“ in Weimar beginnt. An dessen Ausführung waren alle Werkstätten des Bauhauses beteiligt. Zunehmend verbreitet hat sich der Gedanke von Design-Build als sozial inspirierte Lehr- und Lernmethode seit dem Jahr 2000, gemäß dem Motto der damaligen Architekturbiennale in Venedig: „Less Aesthetics, More Ethics!“ Im Kontrast zur klassischen Architekturausbildung sollen Studierende schon frühzeitig mit der Praxis in Berührung kommen. Sie sollen die Möglichkeit haben, „dass sie mit ihren Ideen und mit ihren Händen Probleme lösen können“, so der Wiener Architekturhistoriker Dietmar Steiner in seinen Überlegungen zur Reform der akademischen Lehre. In Finnland übrigens gehört diese Einheit von Entwurf und Praxis schon längst zur Tradition, weil dort auch Studierende an Wettbewerben teilnehmen dürfen.
Die lebendig, aber nicht überzogen gestaltete Münchner Ausstellung dokumentiert 16 Projekte auf vier Erdteilen: von Mannheim bis zu den Philippinen, vom österreichischen Retz bis nach Argentinien. Eine Weltkarte zeigt, dass US-Amerikaner meist im eigenen Land bleiben, während Europäer vor allem in Afrika und Südamerika aktiv sind. Nur ein Projekt, das mit einem schönen Modell präsentierte Gemeinschaftshaus in Lima, konnte bislang nicht realisiert werden. Wie Design-Build zu einer Chance für beide Seiten werden kann, für die engagierten Studierenden wie für die einheimischen Menschen, vermittelt die Ausstellung durch viele Fotos und Pläne sowie durch erläuternde Gespräche in neun Videos. Eine wandgroße Schemazeichnung zeigt die notwendigen vier Schritte, die ein Projekt gelingen lassen. Am Anfang steht die eingehende Recherche am jeweiligen Ort, was etwa in Indien bedeuten kann, die vorhandenen Brunnen- und Toilettenanlagen zu kartieren. Die zweite und entscheidende Phase ist der Dialog mit den künftigen Nutzern, um deren tatsächliche Bedürfnisse zu erkunden. Erst dann folgen die Abschnitte von Entwurf und Bauausführung. In armen Ländern bieten sich einheimische Materialien wie Bambus und Holz an – in einer Vitrine werden neben den Vorteilen von Lehmziegeln aber auch deren Nachteile aufgelistet.
Die von einem ausgezeichneten Katalog begleitete Ausstellung ist nicht nur lehrreich, weil sie die exemplarisch ausgewählten Projekte sehr anschaulich vor Augen führt, sie regt auch zum Nachdenken darüber an, was weltweit die wirklich wichtigen Aufgaben von künftiger Architektur sind. Einkaufszentren, Flughäfen, Konzerthäuser, Museen und dergleichen? Es kommt einem mehr denn je Worte von Julius Posener in den Sinn, dass man die Qualität einer Gesellschaft daran messen kann, wie menschenwürdig die Mehrheit der Bevölkerung wohnt. Diese substanzielle Ausstellung sollte an möglichst vielen Orten zu sehen sein.
Dass es studentische Mitwirkung an Bauvorhaben gab, ehe der Begriff Design-Build gegen Ende der 1960er Jahre an der Yale University geprägt wurde, zeigt eine Zeitleiste, die 1923 mit dem Ausstellungshaus „Am Horn“ in Weimar beginnt. An dessen Ausführung waren alle Werkstätten des Bauhauses beteiligt. Zunehmend verbreitet hat sich der Gedanke von Design-Build als sozial inspirierte Lehr- und Lernmethode seit dem Jahr 2000, gemäß dem Motto der damaligen Architekturbiennale in Venedig: „Less Aesthetics, More Ethics!“ Im Kontrast zur klassischen Architekturausbildung sollen Studierende schon frühzeitig mit der Praxis in Berührung kommen. Sie sollen die Möglichkeit haben, „dass sie mit ihren Ideen und mit ihren Händen Probleme lösen können“, so der Wiener Architekturhistoriker Dietmar Steiner in seinen Überlegungen zur Reform der akademischen Lehre. In Finnland übrigens gehört diese Einheit von Entwurf und Praxis schon längst zur Tradition, weil dort auch Studierende an Wettbewerben teilnehmen dürfen.
Die lebendig, aber nicht überzogen gestaltete Münchner Ausstellung dokumentiert 16 Projekte auf vier Erdteilen: von Mannheim bis zu den Philippinen, vom österreichischen Retz bis nach Argentinien. Eine Weltkarte zeigt, dass US-Amerikaner meist im eigenen Land bleiben, während Europäer vor allem in Afrika und Südamerika aktiv sind. Nur ein Projekt, das mit einem schönen Modell präsentierte Gemeinschaftshaus in Lima, konnte bislang nicht realisiert werden. Wie Design-Build zu einer Chance für beide Seiten werden kann, für die engagierten Studierenden wie für die einheimischen Menschen, vermittelt die Ausstellung durch viele Fotos und Pläne sowie durch erläuternde Gespräche in neun Videos. Eine wandgroße Schemazeichnung zeigt die notwendigen vier Schritte, die ein Projekt gelingen lassen. Am Anfang steht die eingehende Recherche am jeweiligen Ort, was etwa in Indien bedeuten kann, die vorhandenen Brunnen- und Toilettenanlagen zu kartieren. Die zweite und entscheidende Phase ist der Dialog mit den künftigen Nutzern, um deren tatsächliche Bedürfnisse zu erkunden. Erst dann folgen die Abschnitte von Entwurf und Bauausführung. In armen Ländern bieten sich einheimische Materialien wie Bambus und Holz an – in einer Vitrine werden neben den Vorteilen von Lehmziegeln aber auch deren Nachteile aufgelistet.
Die von einem ausgezeichneten Katalog begleitete Ausstellung ist nicht nur lehrreich, weil sie die exemplarisch ausgewählten Projekte sehr anschaulich vor Augen führt, sie regt auch zum Nachdenken darüber an, was weltweit die wirklich wichtigen Aufgaben von künftiger Architektur sind. Einkaufszentren, Flughäfen, Konzerthäuser, Museen und dergleichen? Es kommt einem mehr denn je Worte von Julius Posener in den Sinn, dass man die Qualität einer Gesellschaft daran messen kann, wie menschenwürdig die Mehrheit der Bevölkerung wohnt. Diese substanzielle Ausstellung sollte an möglichst vielen Orten zu sehen sein.
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