Bauwelt

Abfall oder Stadtgold? Anwendungsgebiete für städtischen Aushub

In Deutschland werden jährlich Millionen Tonnen von Boden ausgegraben, transportiert und deponiert. In der Peripherie füllt der Aushub der Stadt Teile der Krater, die der Tagebau von Sand und Kies hinterlässt. Kreislaufgerechtes Bauen bedeutet auch, eine neue Praxis für den Umgang mit dem Stadtboden zu entwickeln. Die Autoren erforschen am Bauhaus Erde Lab, wie sich die Nutzung von Aushub positiv auf die Dekarbonisierung der Bauindustrie auswirken kann.

Text: Gäth, Christian, Berlin; Kretschmann, Micha, Berlin

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    Kann weg? Tonhaltiger Aushub auf einer Baustelle in Berlin-Mitte.
    Foto: Alexander Jerosch-Herold, Jakob Krauss

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    Kann weg? Tonhaltiger Aushub auf einer Baustelle in Berlin-Mitte.

    Foto: Alexander Jerosch-Herold, Jakob Krauss

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    Im Bauhaus Erde Lab werden Lehmsteine mit Aushub aus Berlin und Brandenburg gepresst.
    Foto: Rosa Hanhausen

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    Im Bauhaus Erde Lab werden Lehmsteine mit Aushub aus Berlin und Brandenburg gepresst.

    Foto: Rosa Hanhausen

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    Die Analyse des Korngerüsts hilft, den Aushub für einen Einsatz als Baulehm zu bewerten. Von links nach rechts addieren sich die Bestandteile der untersuchten Böden von Ton über Schluff und Sand bis hin zu Kies auf.
    Foto: Christian Gäth, Micha Kretschmann

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    Die Analyse des Korngerüsts hilft, den Aushub für einen Einsatz als Baulehm zu bewerten. Von links nach rechts addieren sich die Bestandteile der untersuchten Böden von Ton über Schluff und Sand bis hin zu Kies auf.

    Foto: Christian Gäth, Micha Kretschmann

Abfall oder Stadtgold? Anwendungsgebiete für städtischen Aushub

In Deutschland werden jährlich Millionen Tonnen von Boden ausgegraben, transportiert und deponiert. In der Peripherie füllt der Aushub der Stadt Teile der Krater, die der Tagebau von Sand und Kies hinterlässt. Kreislaufgerechtes Bauen bedeutet auch, eine neue Praxis für den Umgang mit dem Stadtboden zu entwickeln. Die Autoren erforschen am Bauhaus Erde Lab, wie sich die Nutzung von Aushub positiv auf die Dekarbonisierung der Bauindustrie auswirken kann.

Text: Gäth, Christian, Berlin; Kretschmann, Micha, Berlin

Das Wachstum der Stadt in Höhe und Weite wirkt sich nicht nur auf ihre sichtbare Kubatur aus; auch der Boden wird mit der gebauten Umwelt verändert. Infrastrukturen wie U-Bahnschächte und Tiefgaragen verdrängen wortwörtlich den Boden aus der Stadt. Jedoch muss der natürlich gewachsene Boden nicht nur den Bauvolumen von Tiefbauprojekten weichen, auch qualifiziert er sich häufig nicht für den Lastabtrag von Hochbauprojekten und wird deswegen ausgetauscht. Selbst Böden, welche nicht direkt von Bauwerken überbaut werden, müssen im städtischen Kontext oft mit Frischmaterial aus der Grube ersetzt werden, denn die hohe Versiegelung fordert eine maximale Versickerungsfähigkeit der umliegenden, unversiegelten Böden.
Boden ist somit in Deutschland eines der größten Abfallaufkommen. 2018 waren knapp 60 Prozent der 218,8 Millionen Tonnen mineralische Bauabfälle Boden und Steine. Wenngleich fast 90 Prozent des Materials dem Bundesverband Baustoffe – Steine und Erden e. V. zufolge „wiederverwertet“ werden konnten, floss dieses bei genauerer Betrachtung mehrheitlich in die Verfüllung übertägiger Abgrabungen. Die tatsächliche Recycling­quote in der Bauindustrie belief sich auf gerade einmal 10,2 Prozent.
Vor dem Hintergrund der Klimakrise müssen diese Stoffströme infrage gestellt werden. Denn, der Konsum von laut Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe jährlich mehr als 240 Millionen Tonnen Frisch­material aus Sand- und Kiesgruben fordert immer tiefgreifendere Eingriffe in Boden und Natur. Die vom Menschen heute in linearen Stoffströmen bewegten Bodenmassen müssen im Sinne der Nachhaltigkeit einer zirkulären Praxis zugeführt werden.
Die Untersuchung der Eigenschaften des deponierten Aushubs eröffnet Möglichkeiten der Wiederverwendung. Der Grund für den Austausch von Boden ist in der Regel seine Bindigkeit, denn bindige, sprich tonhaltige Böden disqualifizieren sich aufgrund ihrer schlechten Versickerungsfähigkeit, ungleichmäßigen Lastabtragung und Nichteignung als kapillarbrechende Schicht für den Einsatz als Baugrund. Hier sind sandige Böden gefordert und der Bestandsboden wird zu Abfall. Aufgrund seiner Tonanteile ist er für die Verwendung in technischen Bauwerken, z.B. im Straßenbau, nicht geeignet. Jedoch ist er in der Regel auch nicht bindig genug, um als Abdeckmaterial eine wasserfeste Schicht in Deponien oder Teichanlagen auszubilden. Auch eignet sich tonhaltige Erde nicht als Zuschlag zu Zement, da Mineralstoffe mit Tonanteil die Druckfestigkeit von Beton vermindern. Eine Anwendung in der Herstellung von Lehmbaustoffen findet ausgehobene, bindige Erde gegenwärtig nur in insignifikanten Mengen.
Die im Frühjahr 2023 in Kraft getretene DIN 18940 (Bauwelt 23.2022) eröffnet ein neues Handlungsfeld für den Lehmbau, denn sie ermöglicht das Bauen mit tragendem Lehmsteinmauerwerk bis Gebäudeklasse 4; diese Bauweise kann auch auf die riesigen Mengen ungenutzten Aushubs zurückgreifen. Praktisch bedarf es hierzu der Herstellung ungebrannter Lehmsteine mit einer entsprechenden Leistungsfähigkeit. Lehmsteine eignen sich dabei besonders für die Wiederverwendung von Aushub, denn im Vergleich zu anderen Lehmbaustoffen brauchen sie einen relativ ge­ringen Tonanteil in der Ausgangsmasse. In ihrem neuen Anwendungsprofil als tragender Baustoff haben Lehmsteine das Potenzial, einen signifikan­-ten Teil der konventionellen, mineralischen Baustoffe zu ersetzen. Lehmsteine sind energiearm in der Herstellung und bei Verzicht auf stabilisierende Zusatzstoffe, wie Zement, restlos wiederverwendbar. Bereits verbaute Lehmsteine eignen sich bei Umbau oder Abriss als Rohstoffquelle für neue Lehmbaustoffe und weisen den Weg zu einer restlosen Kreislauffähigkeit.
Von der Theorie in die Praxis
In der Umsetzung muss diese Theorie zwei große Hürden nehmen. Städtischer Aushub weist an zahlreichen Stellen Verunreinigungen auf. Zur Verwendung des Aushubs als Lehmbaustoff muss erforscht werden, welche gesundheitlichen und bauphysikalischen Konsequenzen diese Kontaminierungen mit sich bringen. Zwar sind große Teile des Aushubs frei von Verunreinigungen; ein ausgeprägtes Wissen über die Arten und Wirkung der Schadstoffe kann jedoch helfen, weitere Anteile des Aushubs als Baustoffe zu gewinnen. Als weitere Hürde muss die Erdbauindustrie profitorientierte Praktiken überwinden, bei denen sie kontaminierte und saubere Böden mischen, um die mit dem Kontaminierungsgrad steigenden Deponierungsgebühren zu minimieren. Die Herstellung von Lehmsteinen aus Aushub könnte einen wirtschaftlichen Anreiz für einen gewissenhaf­teren Umgang mit dem Boden schaffen, denn durch die Wertschöpfung in der Baustoffproduktion würden Deponierungskosten für Erdbauerinnen und Erdbauer entfallen.
Aus Aushub hergestellte Lehmsteine interpretieren die Metapher „Stadtgold“ quasi wörtlich. Hierbei helfen sie, die linearen Stoffströme aus dem Zeitalter billiger Natur für eine kreislaufgerechte Stadtproduktion der Zukunft zu reformieren. Der Austausch von Boden als Kondition des Urbanen kann als Chance zu einer zeitgemäßen Wertschöpfung gewertet werden, die den Materialkanon regenerativer Architektur um einen Akteur erweitert.

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