Bauwelt

Der Rothenburger Weg in die Moderne

Eine Tagung in Rothenburg o. T. ging der Frage nach, wie zeitgemäß eine Stadtbildentwicklung noch ist, die nicht den Bruch, sondern die Kontinuitäten pflegt.

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

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    Für Eilige kaum erkennbar: Die Rödergasse in Rothenburg ist fast vollständig ein Werk des Wiederaufbaus. Es lohnt ein Blick auf die Details, um die Geschichte zu lesen, die sie von Zerstörung und Wiederaufbau erzählen.
    Foto: Ulrich Brinkmann

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    Für Eilige kaum erkennbar: Die Rödergasse in Rothenburg ist fast vollständig ein Werk des Wiederaufbaus. Es lohnt ein Blick auf die Details, um die Geschichte zu lesen, die sie von Zerstörung und Wiederaufbau erzählen.

    Foto: Ulrich Brinkmann

Der Rothenburger Weg in die Moderne

Eine Tagung in Rothenburg o. T. ging der Frage nach, wie zeitgemäß eine Stadtbildentwicklung noch ist, die nicht den Bruch, sondern die Kontinuitäten pflegt.

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

Rekonstruktionsvorhaben, von Einzelbauten ebenso wie von ganzen Stadtbereichen, sind zwar noch nicht die Regel in der Innenentwicklung deutscher Städte, inzwischen aber mehr als nur ein Sonderfall. Hat sich mit dem Neuerstehen der Frankfurter Altstadt, des Dresdner Neumarkts oder des Alten Markts in Potsdam auch der Blick auf Wiederaufbauprojekte in der unmittelbaren Nachkriegszeit gewandelt, die einen ähnlichen, auf Rückgewinnung des vertrauten Stadtbilds zielenden Ansatz verfolgt haben? Ein solches wurde, wen wundert es, auch in Rothenburg ob der Tauber umgesetzt – mit solcher Konsequenz, dass den meisten der bis zur Corona-Pandemie zahlreichen Touristen kaum auffallen dürfte, dass das Mittelalter, in dem sie sich hier wähnen, gut zur Hälfte aus den späten 1940er und ‘50er-Jahren stammt. Rund 40 Prozent der Rothenburger Altstadt, fast die gesamte Osthälfte der Stadt, war durch einen Luftangriff Ende März 1945 zerstört worden. Doch schon zehn Jahre später war der größte Teil davon neu aufgebaut, unter Aufsicht des Münchener Architekten Fritz Florin, der bis Ende 1951 im Auftrag der Stadt die Entwürfe der zumeist von ortsansässigen Architekten erstellten Gebäudeplanungen auf Einhaltung des beschlossenen Regelwerks zu prüfen und, ggf., anzupassen. Denn dies ist eine Besonderheit von Rothenburg: Die Bewahrung bzw. Rückgewinnung des Stadtbilds war spätestens seit 1902, als der Stadtrat eine entsprechende Baugestaltungssatzung beschloss, ein von weiten Teilen der Bürgerschaft getra­genes Ziel, mögen die Motive dafür auch noch so profan gewesen sein, etwa das Ziel, den schon für die damalige Zeit intensiven Tourismus lebendig zu halten bzw. noch anzukurbeln: ein frühes Beispiel eines „City-Branding“.
„Gibt es eine Modernität in der Bewahrung der Vergangenheit?“ war denn auch die Frage einer Tagung, die sich Ende Juni im schönen Wildbad der Stadt dem sogenannten „Rothenburger Weg zwischen Heimatschutz, malerischem Architekturstil und Postmoderne“ widmete. Die vom Referat „Tourismus, Kunst und Kultur“ der Stadt Rothenburg organisierte Zusammenkunft von Kunsthistorikern, Denkmalpflegerinnen und Architekten hatte gleich einen doppelten Hintergrund. So zeigte das gerade vergangene Jahr über eine Ausstellung im Rothenburgmuseum die Verbindungslinien auf, die sich von Deutschlands Mittelaltertraumstadt in die Reformmoderne des frühen 20. Jahrhunderts ziehen lassen, vor allem in die britische Gartenstadtbewegung (Seite 11). Und die Stadt bereitet gerade den dritten Versuch vor, auf die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes zu kommen bzw. zunächst erst mal auf die deutsche „Tentativliste“. Ein Versuch, der schon zweimal gescheitert ist, und der nun, mit der Blickverschiebung auf die Rezeption und Erneuerungsgeschichte der mittelalterlichen Stadt im 20. Jahrhundert endlich gelingen soll.
Tatsächlich ist die Verbindung ins 20. Jahrhundert zu den verschiedenen Strömungen der „Moderne“ eine bereichernde Sicht auf Rothenburg. Seien es die erwähnten Ideale der Gartenstadtbewegung, seien es die Heimatschutzarchitektur der Zwischenkriegszeit und die Wiederaufbauprojekte im damals noch deutschen Ostpreußen nach dem Ersten Weltkrieg, sei es der Vergleich mit konservativ getönten Planungen nach dem Zweiten Weltkrieg für zerstörte Städte wie Münster, Freudenstadt oder Freiburg im Breisgau – die Themenpalette ist breiter, als man auf den ersten Blick vermuten kann. Und so sollte, wer sich mit Interesse dafür nach Rothenburg begibt und etwa vom Bahnhof aus zu Fuß in die Stadt spaziert, gleich hinter dem Rödertor die Augen offen halten: Von der allseits abgelehnten „Gerlachschmiede“, die mittelalterlicher denn
je mit Fachwerk über einer Loggia statt gerade aufgemauertem Giebel nach Kriegszerstörung neu erstand, bis zu den recht schnell als Wiederaufbauarchitektur identifizierbaren Giebelhäusern der Rödergasse sind Details zuhauf zu finden, die auf die jüngere Vergangenheit verweisen. Sie integrieren die Erfahrung von Krieg und Verlust ins Stadtbild, ohne dessen Gesamtwirkung aus den Augen zu verlieren, wie an manch anderem kriegszerstörten Ort geschehen. Wie viel Modernität darin liegt, sei dahingestellt – diese Frage konnte auch die Tagung nicht eindeutig beantworten. Die Vielfalt der in ihrem Zusammenhang aufgeworfenen Fragen – von der Bodenpolitik über fossilenergetische Transformationen bis zu Gefühlswerten im Städtebau und der Konstruktion von Heimat – zeigt, dass der „Rothenburger Weg“ der Stadtbildentwicklung sehr wohl auch zeitgenössische Debatten zu befruchten vermag.

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