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Die Kunst universeller Menschenrechte

Die soziokulturellen Auswirkungen des Kolonialismus: William Kentridge in den Deichtorhallen

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

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    More Sweetly Play the Dance, 2015. Installation am Eye Filmmuseum in Amsterdam.
    Foto: Studio Hans Wilschut/William Kentridge Studio

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    Foto: Studio Hans Wilschut/William Kentridge Studio

Die Kunst universeller Menschenrechte

Die soziokulturellen Auswirkungen des Kolonialismus: William Kentridge in den Deichtorhallen

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

Manch eine Ausstellung nimmt einen allein schon durch ihre Inszenierung gefangen. So auch die bislang größte Übersichtsausstellung zum Werk des südafrikanischen Künstlers, Filmemachers, Theater- und Opernregisseurs William Kentridge in der Halle für aktuelle Kunst in Hamburg, gemeinsam veranstaltet mit dem Zeitz Museum of Contemporary Art Africa in Kapstadt. Das ist auch ein Verdienst der Brüsseler Bühnenbildnerin Sabine Theunissen, die es vermochte, mit Kabinetten und Wänden in sichtbarer Holzständerkonstruktion, mit ausgelegten Orientteppichen, Naturfaserläufern und üppigen Sitzmöbeln sowie einem gedämpften, mattbraunen Kolorit über 40 Jahre künstlerisches Schaffen in einer stofflich dichten Choreographie einzufangen. Ein Modell des Ausstellungsparcours in der wuchtigen Struktur der vormaligen Markthalle ist im Themenblock „Atelier“ zu sehen, dem „Gehirn“ seiner Ausstellung, wie Kentridge es bezeichnet. Mit weiteren 13 Blöcken werden rund 180 Arbeiten auf mehr als 3000 Quadratmetern Ausstellungsfläche erschlossen.
Ganz unübersehbar ist das Werk des 1955 in Johannesburg Geborenen durch seine Biografie geprägt, die Herkunftsfamilie, politische Zeitumstände und die systematische, rohe Gewalt gegenüber Schwarzen und People of Colour, die er seit seiner Kindheit miterleben musste. Bereits als Sechsjähriger sah er im Arbeitszimmer seines Vaters Sir Sidney Kentridge, Menschenrechtsanwalt und juristischer Vertreter von Nelson Mandela und weiterer Apartheid-Gegner, Fotos erschossener Schwarzer Demonstranten. „Sich seiner privilegierten Position bewusst zu sein, bedeutete, Verantwortung zu übernehmen und nicht einfach seine Zeit zu verplempern. Diese Einstellung war mit einem Arbeitsethos verbunden – dem Bedürfnis, die im Atelier verbrachte Zeit zu legitimieren“, fasst es Kentridge zusammen.
Das Arbeitsethos mündet nun aber nicht in puritanischer Selbstkasteiung, ganz im Gegenteil: Kentridge ist ein ebenso lust- wie humorvoll Schaffender, in seinem Atelier stets in Bewegung zwischen diversen Projekten unterschiedlichster Medien. Aber er ist auch ein Meister des reflexiven Zögerns, des Perspektivwechsels und der fluiden Form. Sein primäres Medium ist die Zeichnung in Schwarzweiß, in ihr entwickeln sich seine Themen. Die zeichnende Hand kann korrigieren, verdichten, ausradieren, unendlich transformieren, wie ein Palimpsest trägt das Blatt dabei Vorstufen weiter in sich. Neben der klassischen Zeichenkohle verwendet Kentridge auch unorthodoxes Material, etwa den verkokelten Ast einer Palme oder schwarze Schuhcreme, so für die großformatige, spontaneistische Darstellung einer seiner absurden „Domestic Scenes“ von 1980.
Viele seiner Zeichnungen fertigt Kentridge für Animationen, also Filme in Stop-Motion-Technik aufeinanderfolgender Blätter, sein Markenzeichen als Künstler ab den 1980ern. Nach Studien der Politikwissenschaften und Afrikanistik, anschließend der Kunst in Afrika sowie einer Bühnenausbildung in Paris war er nach Johannesburg zurückgekehrt, im Bewusstsein der wechselseitigen Missverständnisse zwischen beiden Kontinenten. Sie lassen sich nicht auf die bis heute andauernden Folgen kolonialer Ausbeutung reduzieren, sie finden sich auch in divergenten Kulturpositionen der Gegenwart. So spiegelt sich in Europa etwa die Dominanz des Intellekts über die sinnliche Wahrnehmung in einem konzeptionellen Kunstbegriff wider. Die kurzen Filme von Kentridge aber basieren nicht auf festgeschriebenen Erzählungen oder ausgefeilter Dramaturgie. Vielmehr lässt jede Zeichnung die folgende entstehen, wie ein Prozess offenen Denkens, der auch die Rezipientinnen in ihren eigenen Gedanken nicht einschränken will. Direkter politischer Botschaft misstrauend, erfinden sie metaphorische Bilder für die Verwerfungen Afrikas, etwa in „Johannesburg, 2nd Greatest City after Paris“ von 1989: eine Stadt, gebaut auf ihrem Reichtum an Gold, über die der Nadelstreifenkapitalist Soho Eckstein herrscht. Die Stadt aber ist eine Chimäre, zerfällt in die sichtbare der weißen Einwohner und die, bis zu einem Aufstand, unsichtbar lebenden Schwarzen. Eckstein findet seinen Gegenspieler in Felix Teitlbaum, sentimentaler Träumer und wohl Alter Ego seines Schöpfers William Kentridge. Beide treffen in derzeit elf Filmen der „Soho-Saga“ aufeinander, für die Kentridge, wie er sagt, noch kein befriedigendes Finale gefunden hat. Er sieht Wirtschaft, Umwelt und Kultur Südafrikas in den Niedergang getrieben, Afrika als Ganzes zudem nicht unproblematischen Einflüssen Chinas ausgesetzt.
In Hamburg lernt man das Universum der Protagonistinnen des William Kentridge kennen. Sie kommen als Zeichnungen daher, Schattenrisse aus Papier, auf Tapisserien und als menschliche Silhouetten Musizierender und Tanzender in seinen Projektionen. Sie repräsentieren politische, auch historische Problemfelder, etwa die un­zähligen Schwarzen Afrikaner, die während des Ersten Weltkriegs als Lastenträger britischen Truppen zu dienen hatten. „Why Should I Hesitate“, der erste Teil des Ausstellungstitels, zitiert einen einberufenen Schwarzen, seine Illusion gleichwertiger Bürgerrechte in Kolonialafrika. Er beschreibt aber auch die Überwindung des eigenen Zögerns von William Kentridge, sich als Weißer der fundamentalen Menschenrechtsverletzungen Schwarzer annehmen zu dürfen. So sind es universelle Werte, keine identitätspolitischen Denkmonopole, die seine Akteure in der monumentalen 15-minütigen 7-Kanal-Video-Installation „More Sweetly Play the Dance“ zusammenführen. Trotz des düsteren Titels, entlehnt der Todesfuge von Paul Celan, ist ihre endlose Prozession durch karge, in Kohle gezeichnete Landschaften kein Trauermarsch, eher ein zuversichtliches Sinnbild für die Widerständigkeit des Menschen, musikalisch getragen von einer Schwarzen Blechbläser-Band.

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