Die Postmoderne lebt!
Die Ausstellung Hollein Calling im Architekturzentrum Wien nimmt das Werk des österreichischen Pritzker-Preisträgers Hans Hollein unter die Lupe und begibt sich auf die Suche nach seinem Einfluss in der archi-tektonischen Gegenwart. So mancher Aha-Moment ist vorprogrammiert.
Text: Czaja, Wojciech, Wien
Die Postmoderne lebt!
Die Ausstellung Hollein Calling im Architekturzentrum Wien nimmt das Werk des österreichischen Pritzker-Preisträgers Hans Hollein unter die Lupe und begibt sich auf die Suche nach seinem Einfluss in der archi-tektonischen Gegenwart. So mancher Aha-Moment ist vorprogrammiert.
Text: Czaja, Wojciech, Wien
Aha-Moment 1: Über der Rue de Louvain in Brüssel scheint sich ein verspiegelter Donut festgezwickt zu haben. Der ringförmige Baukörper, außen mit hochglanzpoliertem Edelstahl verkleidet, an der Innenseite raumhoch verglast, ist eineFußgängerbrücke, die das Palais de la Nation mit dem gegenüberliegenden Forum-Gebäude verbindet. Die Mischung aus abweisender Ges-te aus der Ferne, voyeuristischem Einblick aus derFroschperspektive und verzerrten Reflexionen wie im Kirmes-Spiegelkabinett übt eine so große Faszination aus, dass der 2021 fertiggestellte Tondo von Office Kersten Geers David Van Severen in unzähligen Architekturpublikationen als Coverfoto genutzt wurde.
Aha-Moment 2: Ein Haus aus roten Ziegeln, aus den Fugen quillt der Mörtel heraus. Vom Boden bis zum Geländer im ersten Obergeschoss präsentiert sich der verwendete Ziegel roh, darüber ist er mit weißem Zementputz verspachtelt. Immer wieder tauchen in der Fassade verspielte Mini-Quadrate in Inversfarben auf. Dazwischen, als wäre das alles nicht schon genug, türkisfarbene Fenster und Türen als Abschluss eine konkave Attika, als hätte sich eine riesengroße Kugel ins Gebäude hineingedrückt. Das Atlas House in Eindhoven, errichtet nach Plänen des Rotterdamer Architekturbüros Monadnock, wurde mit dem Brick Award 2018 ausgezeichnet.
Aha-Moment 3: Ein Panino mit Bresaola und Artischockenherzen, dazu ein hausgemachter Eistee und ein Latte Macchiato für 30 Franken ist zwar nicht billig, aber die Investition zahlt sich aus. Denn in der Bar „Zum Hinteren Hecht“ in Winterthur, am Rande der Altstadt gelegen, geht es nicht nur kulinarisch, sondern auch retro-ästhetisch zu. Das Barmöbel von Conen Sigl Archi-tekt:innen in der Mitte der Wand, 2019 errichtet, erinnert in seiner harten Symmetrie, seinen prismatischen Formen und seinen kontrastreichen Oberflächen an einen postmodernen Altar mit etwas Fantasie sogar an das Kerzengeschäft Retti oder an die beiden Juwelierläden Schullin in der Wiener Innenstadt.
Wer kennt sie nicht, diese Aha-Momente, diese Beinahe-Blicke, diese assoziativen Entdeckungen im Gebauten, die einen an etwas Anderes, an etwas Fernes und doch irgendwie Vertrautes erinnern? In diesem Fall referenziert die Erinnerung auf Hans Hollein (1934–2014) sowie auf seine postmodernen, mal sympathischen, mal auf die Spitze getriebenen Formalismus. Im Comeback der 1980er Jahre (als quasi verspätetes Echo zur längst zelebrierten Renaissance von Alessi und Dauerwelle) ist auch die Postmoderne wieder in – und wird von vielen Architekten und Architektinnen bewusst oder unbewusst im eigenen Portfolio als Referenz herangezogen.
Genau diesem Phänomen widmet sich die Ausstellung Hollein Calling. Architektonische Dia-loge, die derzeit im Architekturzentrum Wien zu sehen ist. Das Kuratorenteam aus Theresa Krenn, Benni Eder und Lorenzo De Chiffre nehmen da-bei das Werk des Architekten unter die formale wie auch inhaltlich-programmatische Lupe und stellen dessen Skizzen, Modelle und realisierten Bauwerke insgesamt 15 zeitgenössischen Posi-tionen aus ganz Europa gegenüber. Neben OfficeKersten Geers David Van Severen, Monadnock und Conen Sigl sind das beispielsweise Claudia Cavallar, Kuehn Malvezzi, Baukuh, Manthey Kula und David Kohn Architects.
„Wir wollten das Werk Holleins mit einigem zeitlichen Abstand neu betrachten“, sagen die Ausstellungsmacher und -macherin. „Die Herangehensweise ist bewusst kaleidoskopisch und ergibt ein facettenreiches Bild. Holleins Erbe wird nicht in ein kunsthistorisches Korsett gezwängt, sondern vielmehr mit Tendenzen aktueller Praxis in einen Dialog gebracht. Der Kerngedanke besteht darin, Zusammenhänge und Rezeptionen zu erkennen und sichtbar zu machen.“ Nicht immer sei dies einfach, denn häufig werde Holleins Arbeit in der Rezeption von seiner eigenen Persönlichkeit und Selbstreflexion überstrahlt.
Im detaillierten Studium erkennt man in den Gegenüberstellungen Zitate, Referenzen und Analogien zu Holleins Media Linien im Olympischen Dorf München (1972), zu seinem Museum für Glas in Keramik in Teheran (1978), zum Österreichischen Verkehrsbüro (1979), zum Städtischen Museum Abteiberg in Mönchengladbach (1982) oder etwa zum Vulkanmuseum in Saint-Ours-Les-Roches in der Auvergne (2002), das sich partiell im 2019 errichteten Poretti Pavillon in Valese (Baukuh) wiederfindet. Aber auch Hol-leins Aktionen, Installationen und theoretischen Auseinandersetzungen wie etwa Mobiles Büro, Erweiterung der Universität Wien oder seine Forschungen zu den Pueblo-Siedlungen in New Mexico werden einer posthumen Neubetrachtung unterzogen.
Das Konzept der Ausstellung Hollein Calling geht in weiten Teilen wunderbar auf und zeugt von einer akribischen Recherche und Kenntnis der zeitgenössischen Architekturszene. So mancher Aha-Effekt ist vorprogrammiert. An manchen Stellen – auch das muss gesagt sein – wirken die Vergleiche bemüht und hinken dem konzeptionellen Überbau etwas hinterher. In jedem Falle aber wird man in der Ausstellung mit einigen Exponaten belohnt, die bislang auf einer der 263 Paletten in der umfangreichen Sammlung Archiv Hans Hollein, Az W und MAK schlummerten und noch nie öffentlich zu sehen waren. Manche Skizzen und perspektivischen Zeichnungen lassen einen kaum mehr los.
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