Bauwelt

Die private Stadt

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin; Crone, Benedikt, Berlin; Friedrich, Jan, Berlin

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Foto: Bernd Hartung

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Die private Stadt

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin; Crone, Benedikt, Berlin; Friedrich, Jan, Berlin

Piraten kapern beuteversprechende, schwerfällige und wehrlose Schiffe, hissen ihre Totenkopffahne und segeln mit der Prise von dannen. Die (Un-)Taten historischer Figuren wie Grace O‘Malley oder Edward Teach aka „Blackbeard“ regen noch bis in unsere Tage die Phantasie von Autoren wie Filmregisseuren und ihrem Publikum an und produzieren Cross-Over-Figuren, die die historischen Legenden mit Charakteren der Popkultur kurzschließen.
Ein seltsamer Einstieg in eine StadtBauwelt über „Die private Stadt“? Das Foto links legt diesen Auftakt nahe. Die Piraten-Flagge, die dort im Wind knattert, wehte über einem heruntergekommenen Mehrfamilienhaus in Weimar. Allein eine Studenten-WG hauste noch in dem romantisch-ruinösen Gründerzeitbau und sorgte mit dem Heizen zumindest der von ihr gekaperten Wohnung dafür, dass nicht Schwamm und Schimmel vollends den Kurs des Hauses bestimmten. Hausbesetzer – die Piraten auf den Meeren des turbokapitalistischen Immobilienmarkts?
Das Haus kaufte ein Mann, den man als Privat-Investor bezeichnen könnte. Die WG musste ausziehen, das Haus wurde denkmalgerecht saniert und ist heute wieder vermietet – unter den Mietern auch eine Studenten-WG. Der Privat-Investor hat einen Hintergrund in der Hausbesetzerszene der untergehenden DDR, engagierte sich damals für den Aufbau eines autonomen Kulturzentrums in der Altstadt. Sein Ziel: Weimarer Häuser dem Spekulationsgebahren des (inter-)nationalen Anlegergeschäfts zu entziehen, Eigentümergemeinschaften zu stabilisieren. Können sich Piraten auch als Investoren verkleiden?
Die Frage nach den Grauwerten im Schwarz-Weiß-Sehen und -Denken stand am Anfang der Recherche zu diesem Heft. Sind private Investoren, Developer, Bauunternehmer tatsächlich nur an Rendite interessiert? Sind öffentliche Entwicklungen grundsätzlich besser, weil gemeinwohlorientierter? Wie viel „Stadt“, „Quartier“, „Zukunft“ haben auch die im Blick, die von vielen Aktivisten der gegenwärtigen Stadtentwicklungsavantgarde gemeinhin als Marxseibeiuns verschrien sind? Und wer steckt eigentlich hinter großmaßstäblichen Entwicklungen, die die Zukunft unserer Städte mitbestimmen?
Die Beiträge dieser Ausgabe versuchen, Personen und Projekte zu porträtieren, die vielleicht nicht alle als strahlend-weiße Best-Practice-Beispiele durchgewunken werden können, bei denen Fragen des Gemeinwohls aber auch nicht völlig aus dem Blick geraten sind, mitunter sogar ein wesentlicher Antrieb sind.
Unter den hierfür aufgesuchten Gebieten finden sich weiträumige Hinterlassenschaften der privatkapitalistischen Hochphase. In München weckt das frühere Pfanni-Areal in einer Mischung aus „bayerischer Großzügigkeit“ und „Münchner Liberalität“ das Interesse der örtlichen Bevölkerung und der internationalen Architektenschaft. In Berlin will Siemens sein üppiges Grundstückserbe ebenfalls einer städtebaulichen Neuplanung unterziehen – und tritt dafür Land an eine städtische Wohnungsbaugesellschaft ab. Dass die Umnutzung von lange Zeit abgeschotteten Industriearealen die Gelegenheit bietet, diese der Stadt zu öffnen, zeigen auch die Projekte des Schweizer Baubüros in situ. Das Büro kooperiert mit privaten Akteuren, deren Rolle im Markt häu­-fig unterschätzt wird: Stiftungen. Nicht zuletzt trieb uns die Frage um, ob es vielleicht doch möglich ist, selbst in einem durch und durch rendite­getriebenen Stadtentwicklungsprojekt so etwas wie Quartiersqualitäten zu schaffen – etwa in der viel gescholtenen Berliner Europacity.

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