Bauwelt

Dorf, Siedlung, Landschaft

Die Fotografin Stephanie Kiwitt erkundete zwei Jahre das ländliche Sachsen-Anhalt. Eindrucksvolle Bildsequenzen und Einzelaufnahmen ihrer Fotoserien „Flächenland“ und „Fortlaufend“ sind aktuell im Schloss Köthen zu sehen.

Text: Scheffler, Tanja, Dresden

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Aus Kiwitts Fotoserie „Flächenland“.
Foto: Stepanie Kiwitt

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Aus Kiwitts Fotoserie „Flächenland“.

Foto: Stepanie Kiwitt


Dorf, Siedlung, Landschaft

Die Fotografin Stephanie Kiwitt erkundete zwei Jahre das ländliche Sachsen-Anhalt. Eindrucksvolle Bildsequenzen und Einzelaufnahmen ihrer Fotoserien „Flächenland“ und „Fortlaufend“ sind aktuell im Schloss Köthen zu sehen.

Text: Scheffler, Tanja, Dresden

Als Stephanie Kiwitt 2020 als Professorin für Kommunikationsdesign und Fotografie an die Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle berufen wurde, begann sie, ihr neues Lebensumfeld mit der Kamera zu erkunden. Dabei dokumentierte sie für ihre Fotoserie „Flächenland“ den ländlichen Raum Sachsen-Anhalts zu Fuß, aus dem Auto oder fahrenden Zug heraus mit unzähligen farbigen Schnappschüssen.
Sachsen-Anhalt ist ein dünn besiedeltes Bundesland. Mit Magdeburg und Halle (Saale) gibt es dort nur zwei größere Städte. Im Gegensatz zu vielen anderen Bundesländern, in denen der überwiegende Teil der Bevölkerung in Großstädten und deren Einzugsgebieten wohnen, leben in Sachsen-Anhalt mehr als dreiviertel der Bevölkerung in kleineren Orten, Dörfern oder unterschiedlich großen Siedlungen. Diese ländlichen Regionen sind seit der Wende besonders von Strukturwandel und Abwanderung betroffen.
Das scheint auch in Kiwitts Fotografien immer wieder durch. Sie dokumentierte bei Ihren Exkursionen durch die Provinz ganz unterschiedliche Facetten des alltäglichen Lebensumfeldes: Die historisch gewachsene Ortschaft mit ihrer gut erhaltenen, vielfältig genutzten spätgotischen Kirche genauso wie die Straßenzüge mit den zugeklebten Schaufenstern, den schleichenden Verfall vieler Bauten und die sich hochziehende Feuchte in den Fassaden. Aber auch das stolze Geltungs- und Repräsentationsbedürfnis einiger Eigenheimbesitzerinnen und die weitestgehend abgeschottet wirkenden baulichen Anlagen „Andersdenkender“.
Bei der Auswahl ihrer Reiserouten ließ sich Kiwitt anfangs von poetisch klingenden Namen wie dem Mondsee (einem gefluteten Tagebaurestloch) und literarischen Erzählungen inspirieren, später von aktuellen, in der Lokalpresse thematisierten Entwicklungen wie dem im Zuge der Pandemie dramatisch angestiegenen Leerstand in den Ortszentren.
Einige der Fotoaufnahmen zeigen die räumliche Weite vieler Landstriche: Eine einsame Landstraße, die im Nebel endet, menschenleere landwirtschaftliche Flächen und Bergbaufolgelandschaften, niedrige Häuserreihen mit weitem Himmel und unzähligen Zugvögeln. Das letzte Foto der chronologisch, in der Reihenfolge ihrer Exkursionen angeordneten Schnappschüsse zeigt große Findlinge auf einem Feld, ein Hinweis darauf, dass in dieser Region auf dem Feld aufgelesene Steine früher, in der vorindustriellen Zeit, auch für den Hausbau verwendet wurden.
Stephanie Kiwitt (*1972) ist Künstlerin, keine klassische Architekturfotografin oder Fotojournalistin. Ihr geht es nicht darum, die Gebäude instagram-tauglich ins Bild zu setzen, im nüchternen Stil der Becher-Schule zu dokumentieren oder für eine reißerische Story nur die Schattenseiten der Region zu beleuchten. Ihre Arbeiten haben einen dezidiert künstlerischen Ansatz. Dabei bekommen auf den ersten Blick eher unspektakuläre Schnappschüsse aufgrund ihrer speziellen Kombination und Anordnung, durch bewusste Gegenüberstellungen, die nur leicht veränderte Perspektive des mehrmals aufgenommenen Motivs oder das Heranzoomen an einzelne Details eine ganz eigene Dramaturgie.
Dass die „Flächenland“-Fotos während Kiwitts Bewegung durch den ländlichen Raum entstanden sind, kann man bereits an einem der Auftaktbilder, dem Blick durch die Windschutzscheibe auf die im Hintergrund verschwindende Straße erkennen und auch an der an einen durchlaufenden Filmstreifen erinnernden Hängung gut nachvollziehen. Dabei fangen die verschiedenen Bildsequenzen die Atmosphäre der jeweiligen Orte schlüssig ein. Denn Kiwitt ist eine sehr subtile Beobachterin.
Sie hat aber auch ein Faible für eher ausgefallene Aspekte. So fokussierte sie beispielsweise beim stillgelegten Kraftwerk in Vockerode – statt den gigantischen Dimensionen des Bauwerks – die sich mittlerweile durch Zaun und Mauerwerk windende Vegetation. Neben einzelnen gut gepflegten oder aber sogar aufwendig restaurierten historischen Inschriften („Mein Gott, Deine Güte uns täglich behüte …“) sind in ihren Fotos auch immer wieder aktuelle politische Statements sichtbar. Dabei gibt es eine ganze Reihe von Motiven, die aufgrund ihrer ungewöhnli­-chen baukonstruktiven Lösungen, fragwürdigen Schmuckelemente oder widersprüchlichen Schriftzüge zum Schmunzeln einladen.
Zeitschichten im Detail
Neben den 66 farbigen Impressionen werden in der Ausstellung auch noch sechs großformatige Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus Kiwitts Fotoserie „Fortlaufend“ präsentiert, die verschiedenen Zeitschichten einiger Bauten im Detail zeigen. Diese frontal mit Stativ und Mittelformatkamera bei gleichbleibenden Lichtverhältnissen aufgenommenen Fotos fokussieren die Alterungsspuren und fortlaufenden Veränderungen an der überlieferten Bausubstanz. Sie zeigen durch Feuchteeinwirkung freigelegtes Mauerwerk, treppenförmige Setzungsrisse, nachträglich geschlossene Fenster- und Türöffnungen sowie ungewöhnliche Ertüchtigungsmaßnahmen. Diese Bilder lassen aufgrund ihrer Dimensionen und Tiefenschärfe auch die bewegten Strukturen der Bauteiloberflächen wieder lebendig werden.
Der Ausstellungsort, das im Stadtkern gelegene Schloss Köthen, hat seinen ganz eigenen Charme. Es wurde im 16. Jahrhundert nach einem Brand neu errichtet, von italienischen Baumeistern im Stil der Spätrenaissance, später durch weitere Bauten wie die frühere Reithalle (Bauwelt 21. 2008) erweitert und im Innern klassizistisch umgestaltet. 1823 entstand auch ein farben- und materialprächtiger Spiegelsaal mit kassettierter Gewölbedecke und stiltypischem Dekor. Viele weitere Teilbereiche des Schlosses wie die im Kellergeschoss gelegene Kapelle sowie die Dauerausstellung zum Wirken des HofkapellmeistersJohann Sebastian Bach in den Jahren 1717 bis 1723 lohnen ebenfalls einen Besuch.
Parallel zur Foto-Ausstellung ist bei Spector Books auch noch Stephanie Kiwitts opulentes Künstlerbuch „Flächenland 2020–22“ erschienen, das im Museum im Schloss zum Vorzugspreis erhältlich ist. Es erhält noch erheblich mehr Fotoaufnahmen dieser Serie. Dadurch werden die Eigenheiten und Merkmale dieser Landstriche sowie der weiterhin andauernde Strukturwandel noch deutlicher.

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