Bauwelt

In der Sprache der Geometrie

Die Präsentation zeitgenössischer Architektur aus dem Globalen Süden gelingt nicht immer. Ein überzeugendes Beispiel ist die Münchner Ausstellung „In Bangladesh“ mit überwiegend aktuellen Werken von Marina Tabassum Architects.

Text: Stock, Wolfgang Jean, München

In der Sprache der Geometrie

Die Präsentation zeitgenössischer Architektur aus dem Globalen Süden gelingt nicht immer. Ein überzeugendes Beispiel ist die Münchner Ausstellung „In Bangladesh“ mit überwiegend aktuellen Werken von Marina Tabassum Architects.

Text: Stock, Wolfgang Jean, München

Bislang hat das Architekturmuseum der TU München mit seinen Kuratorinnen viel Glück gehabt. So stemmte vor vier Jahren Hilde Strobl, die jetzt in Innsbruck arbeitet, die große Schau zur „Neuen Heimat“ (Bauwelt 7.2019). Eine ebenfalls beispielhafte Leistung war im vergangenen Jahr die Ausstellung von Irene Meissner zur Erinnerung an Olympia 1972 in München (Bauwelt 22.2022). Als Dritte im Bunde profilierte sich Vera Simone Bader, die nun nach zehn Jahren das Museum verlassen muss, weil der letzte Zeitvertrag abgelaufen ist. Ihre Ausstellungen wird man vermissen – gerade die aktuelle Schau „Marina Tabassum Architects: In Bangladesh“ beweist zum Abschluss ihrer Tätigkeit das Engagement und die Kompetenz der Kunsthistorikerin.
Mit der 1968 geborenen Marina Tabassum kam Vera Simone Bader in Berührung, weil sie im Architekturmuseum die Ausstellung über den indischen Pritzker-Preisträger Balkrishna Doshi betreut hatte (Bauwelt 1.2020). Daraus entwickelte sich die Idee, das ausschließlich in Bangladesh entstandene Werk als weltweit erste Gesamtdarstellung der Architektin in München zu präsentieren. Es handelt sich sogar um eine doppelte Premiere, weil die englischsprachige Publikation zur Ausstellung kein bloßer Katalog ist, sondern das erste Buch über die Architektin.
Für die nobel eingerichtete, angenehm übersichtliche Ausstellung spricht nicht zuletzt, dass sie auf Sinnlichkeit setzt. Durch den Einsatz von Installationen, Filmen und Fotos gewinnen auch Laien prägnante Eindrücke von Land und Leuten, durch die vielen Pläne sowie die schönen Modelle wird die Fachwelt zufriedengestellt. Schon der erste Film führt vor Augen, unter welch schwierigen Bedingungen die Menschen leben: Es ist die Gewalt des Wassers, die den Alltag in dem früheren Bengalen beherrscht. Unter den 160 Millionen Einwohnern sind vor allem die Landbewohner in dem riesigen Deltagebiet den Stürmen und Überschwemmungen ausgesetzt – Marina Tabassum Architects (MTA) haben auch darauf reagiert.
Die Architektin und ihr Team haben sich zu sozialer Verantwortung verpflichtet. So sind im ersten Raum der Schau jene Projekte zu sehen, die MTA für die durch den Klimawandel bedrohte Bevölkerung im Delta entworfen haben: kostengünstige, mobile, modulare Bausysteme auf Stützen, sogenannte „Khudi Bari“ (kleine Häuser) aus lokalen Materialien. Das Engagement gilt auch den Rohingya-Flüchtlingen aus Myanmar, die in dem weltweit größten Lager Cox’s Bazar leben. Weil eine Million Flüchtlinge auf eine halbe Million Einheimische kommt, sind große Pro­bleme entstanden. Zweigeschossige Gemeinschaftszentren aus Bambus, Stahl und Wellblech sollen seit 2022 eine Grundstruktur der Versorgung ermöglichen.
Im zweiten Raum sind Bauten versammelt, die in der Peripherie von Dhaka ausgeführt wurden. In den dichten Außenbezirken der Hauptstadt, die fast 22 Millionen Einwohner zählt, tragen sie zur Stärkung der örtlichen Identität bei. Im Mittelpunkt steht die 2012 vollendete Bait Ur Rouf Moschee, für die Marina Tabassum 2016 den renommierten Aga Khan Award erhielt. An diesem Bau, der den Typus der Moschee neu interpretiert hat, lassen sich zwei Charakteristika der Architektur von MTA ablesen: zum einen der als Hauptmaterial verwendete Backstein (tradi­­ti­onell aufgrund der üppigen Lehmvorkommen), zum anderen der Einfluss von Louis Kahn, dessen 1982 fertiggestelltes Parlament von Bangladesh ein Schlüsselwerk für die bauliche Entwicklung im Land darstellt. Wie Kahn inszeniert MTA oftmals ein faszinierendes Raum- und Lichtkonzept. In einem Interview hat Marina Tabassum denn auch bekannt, dass die Geometrie mit Quadraten und Dreiecken ihre Sprache sei.
Der dritte Raum widmet sich den Arbeiten im Stadtzentrum von Dhaka. Darunter befindet sich das Monument und Museum der 1971 proklamierten Unabhängigkeit von Bangladesh, eine weiträumige Anlage, die nach siebzehn Jahren Bautätigkeit erst 2015 vollendet werden konnte. Zu sehen sind auch mehrere nicht ausgeführte Projekte wie die Französisch-Deutsche Botschaft. Marina Tabassum, in Dhaka als Tochter einer privilegierten Familie geboren und an der Univer­sität von Dhaka ausgebildet, hat in einem Gespräch mit Vera Simone Bader ein Umdenken in der Architektur gefordert – etwa kurze Lieferketten anstelle von globalen Materialströmen und eine Rückbesinnung auf Traditionen: „Die Verantwortung beginnt mit der Frage, ob wir überhaupt bauen müssen oder ob wir bestehende Strukturen wiederverwenden.“

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