Karthagos neue Dachlandschaft
Die Akropolis des zerstörten Karthagos soll neugestaltet und das dazugehörige Museum erweitert werden. Die Stuttgarter Bez+Kock Architekten gewannen den offenen, internationalen Wettbewerb.
Text: Redecke, Sebastian, Berlin
Karthagos neue Dachlandschaft
Die Akropolis des zerstörten Karthagos soll neugestaltet und das dazugehörige Museum erweitert werden. Die Stuttgarter Bez+Kock Architekten gewannen den offenen, internationalen Wettbewerb.
Text: Redecke, Sebastian, Berlin
„Ceterum censeo Carthaginem esse delendam“ – im Übrigen bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden muss. So beendete der römische Feldherr Cato Censorius (234 – 149 v. Chr.) in seinen letzten Lebensjahren angeblich alle seine Reden, auch dann, wenn es nicht um die Stadt Karthago ging. Er war zu der Zeit Gesandter in Nordafrika und der Überzeugung, dass die Stadt ein gefährlicher Gegner mit kriegerischen Absichten sei. Der Ausspruch soll schließlich zum Dritten Punischen Krieg und damit zur völligen Zerstörung Karthagos durch die Römer geführt haben.
Die Stadt ist ein legendärer Ort, der die Phantasie beflügelt. Sie liegt am Golf von Tunis, wurde im 9. Jahrhundert v. Chr. von den Phöniziern gegründet und war ein bedeutendes Handelszentrum der Antike am Mittelmeer mit kreisrunder, heute nur noch wenig erkennbaren Kriegshafenanlage. Die baulichen Reste aus späteren Jahrhunderten geben nur begrenzt Auskunft über ihr Aussehen. Das Nationalmuseum mit archäologischen Funden steht seit seiner Gründung 1875 auf dem Byrsa-Hügel. Dort befand sich nach der Eroberung die römische Akropolis von Karthago.
Gegenstand des Wettbewerbs war die Neugestaltung dieser Akropolis mit den archäologischen Ausgrabungen, Außenanlagen, den Gebäuden aus dem 19. Jahrhundert und die Sanierung und Erweiterung des Nationalmuseums mit einer zeitgemäßen Museografie. Organisiert wurde der Wettbewerb mit Unterstützung der UIA (International Union of architects). Der weltweit offene Wettbewerb wurde Ende 2022 ausgelobt. Im März 2023 tagte die Jury. 94 Büros von Argentinien bis Südkorea nahmen am Wettbewerb teil. Große, international bekannte Namen waren nicht darunter. Bernard Tschumi schied bereits in der ersten Runde aus.
Die Stuttgarter Büros Bez+Kock Architekten und Koeber Landschaftsarchitektur bildeten das einzige deutsche Team unter den Teilnehmern – und gewannen. Die Preisträger schlagen die Erweiterung mit einer einheitlichen Dachkonstruktion vor, die weitgehend offen ein großzügig bemessenes Quadrat bildet, das an zwei Seiten von zweigeschossigen Altbauten eingefasst wird. Der vormals karge Hof wird so zur luftigen Ausstellungshalle mit weitem Ausblick auf das Meer.Baulich bestimmend auf dem Hügel ist die Cathédrale Saint-Louis de Carthage, ebenfalls aus dem späten 19. Jahrhundert, als Tunesien unter französischem Protektorat stand. Die Kathedrale in byzantinisch-maurischer Gestalt wurde 1964 entweiht, acht Jahre nach der Unabhängigkeit des Landes. Es folgte ein langer Leerstand, heute dient sie Kulturveranstaltungen und wird nun an ihrer Ostseite in den Entwurf von Bez+Kock Architekten eingebunden. Die zwei den Hof flankierenden Altbauten nahmen zunächst Räume des Priesterseminars auf und sollen im Zusammenhang mit den Museumsplanungen umgebaut und neuen Nutzungen zugeführt werden.
Mit der „Landschaft“ immer gleicher Dachhauben im besonderen bauhistorischen Umfeld von Karthago gelingt Bez+Kock eine auch gestalterisch überzeugende ordnende Struktur, die mit dem Bestand nicht in Konkurrenz tritt, aber den Ort deutlich aufwertet. Die Hauben überspannen den Raum mit großer Leichtigkeit und sollen dabei nicht nur Bezug auf Zeltkonstruktionen nehmen, die als Schutz archäologischer Ausgrabungsstätten dienen, sondern auch auf die großen, Schatten spendenden Schirmpinien. Wichtig wird die Minimierung der Tragstruktur der Hauben sein, damit sie so wenig wie möglich die geschützte historische Stätte beeinträchtigt, die seit 1979 auf der Liste des UNESCO-Weltkulturerbes steht.
Für die Jury (Vorsitz Alberto Veiga, Barcelona), bietet das Konzept mit der weiträumigen, offenen Halle große Vorteile – nicht nur hinsichtlich der kostengünstigen Realisierbarkeit durch die einfache Konstruktion in Serie. Auch für die Ausstellungsgestaltung ist es nützlich, da es leichter sein wird, ein Museum mit maximaler Flexibilität an künftige Bedürfnisse anzupassen und weiter zu entwickeln. Außerdem legt der Entwurf aus Sicht der Jury viel Wert auf den Bestand, unterstreicht die Bedeutung der Kathedrale und des ehemaligen Priesterseminars, indem er sie durch den Abriss aller Nebengebäude, die im Laufe der Zeit hinzugefügt wurden, als Hauptelemente auf dem Hügel identifiziert. Das Preisgericht empfiehlt jedoch die Prüfung einer Verkleinerung der überbauten Fläche und eines größeren Innenhofs vor der Kathedrale.
Der Kreuzungspunkt der Decumano Maximus und Cardo Maximus aus der römischen Zeit von Karthago mit Tempelanlagen und Forum befand sich exakt an den Doppeltürmen der Kathedrale. Der 2. Preis vom Pariser Büro Septembre orientiert sich an der Decumano, die die Mittelachse der Kirche durchzieht und an die damalige römische Rasterstadt erinnert. Der Kirche vorgelagert wird ein großes quadratisches Gebäude mit Innenhof, das die zwei Flügelbauten des ehemaligen Priesterseminars einbindet. Im Erdgeschoss befinden sich die öffentlichen Bereiche und in Teilen nach innen offene Durchgänge. Im ersten Obergeschoss sind die als Umgang organisierten Ausstellungssäle und darüber im Altbau die Verwaltung vorgesehen. Im zentralen Patio sollen auf Steinblöcken Modelle im Maßstab 1: 50 über Karthago informieren.
Der 3. Preis ging an Arké Architectes. Die Planer belassen das L-förmige ehemalige Priesterseminar und werten den Platz zur Kirche hin mit Vegetation auf. Die Erweiterung wird als ein schlanker Gebäuderiegel mit Promenade entlang der Außenanlagen und eines südlich gelegenen Plateaus vorgeschlagen. Die horizontale Linie seines Dachs beginnt an einer neu gestalteten Eingangssituation seitlich der Kirche und bindet den Bestand zusammen. Der 4. Preis von Locus architectes unter Beteiligung u.a. von Philippe Rahm besteht aus einer offenen Struktur von „Bausteinen“, Portalblöcken in unterschiedlicher Ausformung, die mit den Grenzen des Inneren und des Äußeren spielen. Der Hauptbau vor der Kirche bildet ebenfalls ein Quadrat mit Innen-hof. Südlich der Kirche steht ein neues Eingangsgebäude. Die Verfasser schlagen eine Architektur in „thermo-brique“ vor. Der Stein soll in Tunesien hergestellt werden. Die Visualisierungen dieses Entwurfs sind sehr anschaulich und eindrucksvoll.
Die Preisträger Bez+Kock Architekten wurden vom Tunesischen Kulturministerium darüber informiert, dass die Finanzierung des Projekts trotz Fördermitteln der Europäischen Union noch nicht gesichert ist. Die Architekten sind dennoch guter Hoffnung.
Offener, internationaler Wettbewerb
1. Preis (50.000 Euro) bez+kock architekten, Stuttgart; Koeber Landschaftsarchitektur, Stuttgart; Grauwald
Studio, Berlin
2.Preis (45.000 Euro) Septembre, Paris
3.Preis (40.000 Euro) Arké Architectes Associés, Tunis
4.Preis (35.000 Euro) locus architectes, Straßburg
5. Preis (30.000 Euro) Architecte Anis Souissi, Helsinki/Tunis
Auslober
International Union of Architects (UIA), Tunesisches Kulturministerium, unterstützt von der Europäischen Union
International Union of Architects (UIA), Tunesisches Kulturministerium, unterstützt von der Europäischen Union
Jury
Alberto Veiga, Fathy Kouched, Lamine Hibet, Neil Porter, Meriem Chabani, Momoyo Kaijima, Gabriela Carrillo,
Grichka Martinetti, Nawel Laroui, Ammar Khammash
Alberto Veiga, Fathy Kouched, Lamine Hibet, Neil Porter, Meriem Chabani, Momoyo Kaijima, Gabriela Carrillo,
Grichka Martinetti, Nawel Laroui, Ammar Khammash
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