Krayl, Taut, Magdeburg
In der aktuellen Wohnungsdebatte wird immer wieder auf die Bauleistungen der Weimarer Repubik verwiesen. Lohnend in diesem Zusammenhang: der Blick auf Magdeburg und auf das wenig bekannte Werk des Architekten Carl Krayl, eines engen Mitarbeiters von Bruno Taut
Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig
Krayl, Taut, Magdeburg
In der aktuellen Wohnungsdebatte wird immer wieder auf die Bauleistungen der Weimarer Repubik verwiesen. Lohnend in diesem Zusammenhang: der Blick auf Magdeburg und auf das wenig bekannte Werk des Architekten Carl Krayl, eines engen Mitarbeiters von Bruno Taut
Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig
Wer meint, das Neue Bauen der deutschen Zwischenkriegsjahre sei mittlerweile hinlänglich erforscht und dokumentiert, verkennt das Reservoir der Provinz. Das ausklingende Jahresprogramm des Bauhauses Dessau hat gemeinsam mit vielen lokalen Partnern die angewandte Moderne zwischen 1919 und 1933 im heutigen Sachsen-Anhalt betrachtet und dabei auch eher unbekannte Schätze des architektonischen Aufbruchs der Weimarer Republik gehoben. So das Wirken des Architekten Carl Krayl (1890–1947) in Magdeburg. Krayl war dort maßgeblich verantwortlich für das Kolorit der „Bunten Stadt“, für viele Wohnanlagen und öffentliche Bauten. Eine Ausstellung im Kulturhistorischen Museum würdigt sein Werk anhand vieler Originalpläne, bauzeitlicher Fotos und neuer Modellrekonstruktionen; eine erste Katalog-Monografie eröffnet die überfällige wissenschaftliche Sichtung.
Nach der fast völligen Verwüstung im Dreißigjährigen Krieg wurde Magdeburg bis ins 19. Jahrhundert als preußische Festung ausgebaut, aber auch zum Standort der Schwerindustrie. In den 1920er Jahren versuchte man, das Image einer grauen, profillosen Großstadt radikal zu ändern und sie als wirtschaftliches wie kulturelles Zentrum Mitteldeutschlands zu positionieren. Nicht ohne Pathos und quer durch politisch divergente Kräfte wurde „Die Stadt des Neuen Bauwillens“ proklamiert. In der langen Amtszeit des SPD-Oberbürgermeisters Hermann Beims zwischen 1919 und 1931 wurde ein großes Bauprogramm umgesetzt, darunter etwa 14.000 Wohnungen.
Erweckungsarbeit
Die Weichen für die Planung stellte Bruno Taut, der, 1921 als Stadtbaurat berufen, reichsweit der erste Vertreter des Neuen Bauens in einer kommunalen Leitungsposition war. Da Taut selbst ohne Verwaltungserfahrung war, holte er mit Johannes Göderitz einen versierten Baubürokraten als Stellvertreter in seine Behörde und mit Carl Krayl einen künstlerisch orientierten „Malerarchitekten“. Die Tätigkeit der Behörde beschränkte sich in den wirtschaftlich prekären frühen 20er Jahren auf die „Erweckungsarbeit“, so Taut. Zahllose Artikel, Ausstellungen und Vorträge sollten den Magdeburgern die Augen für die latente Schönheit ihrer Stadt öffnen.
Zum relativ preiswerten, aber optisch effizienten Experimentierfeld wurde die Farbfassung von etwa 80 Bestandsbauten, so auch des klassizistischen Rathauses. Krayl konnte an rund 35 Bauten seine expressiv ornamentale Stilsicherheit beweisen, externe Künstler wurden hinzugezogen. Dieser ästhetische wie metaphorische Aufbruch erregte überregional Aufsehen – 1922 erschien gar ein gedruckter Führer durch das „farbige Magdeburg“ –, er traf aber auch auf beißenden Spott. Taut schied 1924 als Stadtbaurat aus, auch Krayl verließ die Behörde. Er gründete mit seinem Kollegen Maximilian Worm ein Architekturbüro in Magdeburg.
Ab 1924 kam die deutsche Bautätigkeit wieder in Gang. Auf Tauts Generalsiedlungsplan entstanden in Magdeburg nun zahlreiche Siedlungen und Stadterweiterungen, deren Planung an freiberufliche Architekten vergeben wurde, Krayl war an fünf größeren Wohnkomplexen beteiligt. Carl Krayl, nahe Stuttgart geboren, nach einem Innenarchitekturstudium und ergänzenden Hochbaustudien bei Paul Bonatz in Süddeutschland tätig, hatte sich während des Ersten Weltkriegs, den er aus gesundheitlichen Gründen an der „Heimatfront“ erlebte, religiösen, politischen und esoterischen Themen zugewandt. In freien Arbeiten und Wettbewerben formulierte er seine expressionistisch-kristalline Formensprache. Ab 1919 fand er im Berliner Arbeitsrat für Kunst und im publizistischen Netzwerk Gläserne Kette Gleichgesinnte, im zehn Jahre älteren Bruno Taut auch seinen Mentor.
Impuls aus besseren Tagen
Krayls Magdeburger Wohnsiedlungen prägt eine formal zurückgenommene, situative Ordnung, ihre städtebaulichen Konzepte sind die Synthese aus Zeilen- und Blockrandbebauung. Immer reagieren sie auf landschaftliche Besonderheiten, etwa in der Siedlung Cracau von 1929 östlich der Innenstadt: Drei geschwungene Straßen, deren Länge sich erst in der Bewegung erschließt, sind von parallelen Bauzeilen flankiert. Die je nördliche Zeile bildet an ihrem Ende einen zurückgestaffelten Akzent mit Balkonen nach Südwesten, formt so eine feine Aufweitung zur Alten Elbe.
Expressivere Formen und eine spektakuläre Materialität nutzte Krayl für Solitärbauten wie die örtliche AOK von 1927 (Bauwelt 13.1928). Dort kamen große Glasbausteinflächen zum Einsatz, auch für die mittlerweile durch eine Verkleidung kaschierte Lichtdecke der Kundenhalle. Im selben Jahr errichtete Krayl auf der internationalen Magdeburger Theaterausstellung einen luftigen Werbepavillon für die sozialdemokratische Zeitung Volkstimme, bezog so Opposition zum konservativ-bürgerlichen Konkurrenzblatt in entsprechendem Auftritt. Krayls Bauten wurde breit veröffentlicht, neben der Bauwelt u.a. auch in den Bänden von Walter Müller-Wulckow.
Es verwundert nicht, dass Krayl als Exponent des Neuen Bauens nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten keine öffentlichen Aufträge mehr erhielt. Weshalb er ein Angebot Tauts, ihm 1938 in die Türkei zu folgen, nicht wahrnahm, bleibt ebenso unklar wie seine geistige Mittäterschaft an Bauten der Nord-Süd-Achse in Berlin, für die er sich zwischen 1937 und 1945 bei der Reichsbahn verdingte. Widrige Umstände der Nachkriegsjahre gestatteten Carl Krayl keinen beruflichen Neuanfang, er verstarb 57-jährig in Werder (Havel). In Magdeburg bleiben seine Bauten: ein optimistischer Impuls aus besseren Tagen in dieser so grauen Stadt.
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