Kunst Leben Politik. Italien 1918 bis 1943
Eine Ausstellung in der Mailänder Fondazione Prada zur Kunst und Architektur unter Mussolini
Text: Schulz, Bernhard, Berlin
Kunst Leben Politik. Italien 1918 bis 1943
Eine Ausstellung in der Mailänder Fondazione Prada zur Kunst und Architektur unter Mussolini
Text: Schulz, Bernhard, Berlin
1932 schmückten den Palazzo delle Esposizioni in Rom vier hoch aufragende, stilisierte Beile, das Zeichen der Faschistischen Partei, dazu zwei Mal die römische Zahl „X“ und der die ganze Freitreppe überspannende Schriftzug „Mostra della Rivoluzione Fascista“. Es war die zehnte Wiederkehr von Mussolinis „Marsch auf Rom“, der zehnte Jahrestag der Machtergreifung des „Duce“. Adalberto Liberas Gestaltung des Ausstellungspalasts und vor allem der Ausstellung selber sollten, bei aller Rückschau, vor allem vorausweisen auf das, was das Regime in der näheren Zukunft plante und zu verwirklichen hoffte.
Die Grenzen zwischen Architektur und Gestaltung, zwischen Dauerhaftem und Ephemerem sind in allen Diktaturen fließend. In dieser Hinsicht unterschieden sich die Diktaturen Deutschlands ab 1933, der Sowjetunion ab etwa 1929 und eben Italiens bereits ab 1922 nicht. Bauwerke wurden nie allein um ihrer selbst willen errichtet; sie sollten immer auch als Vorschein des Künftigen wirken, als Versprechen auf noch viel mehr, das bald gebaut werden sollte.
Darüber gibt eine denkwürdige Ausstellung Auskunft, die die Mailänder Fondazione Prada in den von Rem Koolhaas umgebauten und vervollständigten Gebäuden am südlichen Stadtrand zeigt (Bauwelt 25.2015). Über 600 Objekte aus Malerei, Skulptur, Grafik, Fotografie und eben auch Architektur haben Germano Celant und sein Team zusammengetragen, um „Kunst, Leben, Politik in Italien 1918-1943“ darzustellen. Der Kunstgriff dabei ist, die Ausstellungen der Regime-Zeit als Anhaltspunkt zu nehmen und die damals gezeigten Werke, wie sie in Fotografien dieser Ausstellungen überliefert sind, erneut zu versammeln. Das ist in einem erstaunlich hohen Maße gelungen. Vor den auf die Wände der Prada-Räume im Maßstab 1:1 projizierten Schwarz-Weiß-Fotografien hat der Kurator die Originale gehängt und platziert, so dass nur die nicht mehr lokalisierbaren oder nicht auszuleihenden Objekte fehlen und als farbloses Abbild stehen bleiben.
Architektur kommt bei diesem, durch zwei Dutzend Räume des Prada-Ensembles durchgehaltenen Konzept naturgemäß etwas zu kurz. Modelle von Bauten der Mussolini-Zeit stehen eher auf Sockeln für sich, Fotografien der Bauten liegen in Vitrinen, Zeitschriften von damals evozieren die Atmosphäre ihrer Zeit. Sehr hilfreich ist der voluminöse Katalog, der bei 660 Seiten eine Reihe grundlegender Beiträge zu Architektur und Städtebau der Mussolini-Zeit enthält.
Nun ist diese Architekturepoche mittlerweile gut erforscht; die Sensation, die beispielsweise 1976 die Ausstellung „Il Razionalismo e l’Architettura in Italia durante il Fascismo“ bei der Biennale von Venedig machte, ist heute kaum noch nachzuvollziehen. Giuseppe Terragni, um nur den Bedeutendsten der Rationalisten zu nennen, zählt längst zu den Großen der Moderne. Dass Terrragni ein glühender Anhänger der faschistischen Bewegung war, wird gern heruntergespielt; aber so war es nun einmal. Überhaupt standen sich die Architekten – wie alle Kulturschaffenden – gut mit dem Regime, denn sie bekamen Aufträge oder hatten zumindest Aussicht darauf, es gab Wettbewerbe und Zeitschriften. Erst gegen Ende des Regimes, als der allgegenwärtige Marcello Piacentini vollends die Zügel der Baupolitik in die Hand bekam – wenn auch nicht annähernd vergleichbar mit Albert Speer –, war es um die Realisierungschancen der „Anderen“ geschehen. Was Piacentini anbetrifft, so sind Skizzen, Fotografien und ein zeitgenössisches Modell der „Systematisierung“ von Brescia ausgestellt, wo sich rings um die Piazza della Vittoria neue Bauten gruppieren. Bei der neoklassischen Universitätsstadt von Rom verbot sich eine solche Anordnung, da ist alles Ordnung, Hierarchie, Gebärde. Auch hier ist eine interessante Kleinigkeit in den Vitrinen der Ausstellung zu besichtigen: Sowohl seinem Universitätscampus als auch dem Florentiner Bahnhof der Gruppo Toscano unter Giovanni Michelucci widmete Piacentini in kurzem Abstand eigene Ausgaben der von ihm geleiteten, offiziösen Zeitschrift „Architettura“. Ein weiteres großes Vorhaben des Regimes war das „Foro Mussolini“ am nördlichen Tiberufer Roms, das Enrico Del Debbio ab 1928 ausführen konnte. Piacentini lobte es mit dem Attribut einer „römischen Dauerhaftigkeit“. Beim „Forum“ kam es auch zur Zusammenarbeit mit Künstlern, die wie Gino Severini einst dem Futurismus nahegestanden hatten, und die sich nun voller Eifer auf die Dekoration der großen Bauvorhaben stürzten. Piacentini spielt in der Mailänder Ausstellung unter den Baumeistern die Hauptrolle; er war die architektonische Hauptfigur des Ventennio, der zwanzig Jahre des Faschismus und nutzte virtuos seine Möglichkeiten der Publikation und Selbst-Propaganda.
Terragnis Bauten kommen in Mailand erst spät im Rundgang vor. Seine weltberühmte „Casa del Fascio“ in Como, bereits vor Fertigstellung 1936 Gegenstand von Veröffentlichungen, stand auch in der Kritik. Gleichwohl, die Mailänder Ausstellung erinnert daran, dass das Faschistische Haus ein Gesamtkunstwerk war, und Terragni selbst hat seine oft gezeigten zauberhaft zarten Fassadenzeichnungen auf blauem Papier nach dem gebauten Original angefertigt, nicht vorher.
Die Mailänder Ausstellung endet – wie auch anders! – mit „E 42“, der für die nie abgehaltene Weltausstellung geplanten Neu-Stadt am Südrand Roms, die nach dem Krieg weitergebaut wurde. Ein kleines, schon etwas angegrautes Modell des „Palazzo della Civiltà Italiana“ von Guerrini, La Padula und Romano steht etwas verloren im Saal, ringsum Fotografien von weiteren Bauten wie dem 1941 fertigen Kongresspalast von Libera, den viele heutige Besucher für ein reines Nachkriegsbauwerk halten. Kein Wunder – die damaligen Architekten bauten „E 42“, noch 1943 von den Alliierten bei der Invasion Italiens bombardiert, nach dem Krieg zu Ende. So eindrucksvoll die Bauten der Mussolini-Zeit sind, man sollte nicht vergessen, wie sie zustande kamen. Darüber geben Wochenschau-Ausschnitte Auskunft, die im Kinosaal der Fondazione gezeigt werden. Immer ist der Duce dabei, immer in Aktion – mit der Hand, die den Spaten schwingt.
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