Bauwelt

Leonardo Benevolo (1923 – 2017)

Text: Redecke, Sebastian, Berlin

Leonardo Benevolo (1923 – 2017)

Text: Redecke, Sebastian, Berlin

Mit dem Namen Leonardo Benevolo verbinde ich wie viele andere Architekten sein berühmtes Werk: „Die Geschichte der Stadt“. Ich erhielt das Buch während des Studiums in den achtziger Jahren geschenkt, und es begeistert als eines der wichtigsten zur Stadtbaugeschichte bis heute.
Die Entwicklung der Städte ist seit der ersten Auflage der „Storia della Città“ 1975 und der erweiterten 6. Auflage 1982 (sie liegt der deutschen Fassung beim Campus Verlag zugrunde, von Jürgen Humburg übersetzt) rasant weitergegangen. Hierfür reicht ein Blick nach China. Das Buch (9. Auflage 2007) ist daher „überholt“, doch es bleibt ein wichtiges Nachschlagwerk, das auf seinen 1067 Seiten mit 1649 Abbildungen die Epochen der Stadtentwicklung anschaulich und aus heutiger Sicht auch sympathisch einfach und sinnlich, ohne einen aufgeblähten wissenschaftlichen Hintergrund, darstellt und einordnet. Aufgrund der vielen Abbildungen hat der Leser den Eindruck, dass er in den 15 Kapiteln von den frühen Siedlungsformen bis zur „Neuzeit“ einen umfassenden Einblick gewinnt. Er entdeckt immer wieder Neues, Unerwartetes, zum Beispiel im Kapitel „Die Islamischen Städte“ eindrucksvolle Schwarzpläne von Palermo bis Isfahan. Die Auswahl der Pläne und Fotos (immer mit Nordpfeil und Maßkette), steht im Vordergrund. Benevolo legt aber auch ein Augenmerk auf Besonderheiten. Es handelt sich also nicht nur um eine Plan- und Fotosammlung der Stadtgeschichte. Drei Beispiele: Das Kapitel „Die mittelalterlichen Städte“ zeigt Pläne und Fotos von Aigues Mortes mit Details eines Turms der Stadtmauer, um einen besseren Eindruck der Anlage zu gewinnen. ­
Bei der „Modernen Stadt“ entdeckt man die von Walter Gropius entworfene Karosserie des Adler-Automobils und „Gebrauchsgegenstände des täglichen Bedarfs“ von Amédée Ozenfant. Auf einem seitengroßen Foto ist die Baustelle einer breiten Stadtautobahn auf Brücken im Zentrum von Boston zu sehen. Ein schockierendes Bild der innerstädtischen Verkehrstrassenplanung der sechziger Jahre. Das Zusammentragen der vielen eindrucksvollen Abbildungen muss für Benevolo in der damaligen Zeit einen großen Rechercheaufwand bedeutet haben.
Die Kommentierung ist knapp, sachlich und leicht verständlich. Genau dies war auch das Anliegen von Benevolo. Im Vorwort heißt es, dass bei seinem Buch „keine spezielle Vorbildung erforderlich“ sei. Er wollte ein Buch für die Bürger, die ihre Umwelt systematisch und historisch verstehen lernen: „Jeder sollte die Zeichen der bebauten Umwelt genauso lesen und interpretieren können wie ein Buch oder eine Zeitung. Nur so können die Bürger ihre passive Beobachterrolle durchbrechen und sich aktiv an der Gestaltung der Umwelt beteiligen.“ Vielleicht ist das Buch auch so erfolgreich, da in den siebziger und achtziger Jahren eine Fülle neuer stadttheoretischer und stadtsoziologischer Themen wichtig wurden. Die Stadtplanung und -forschung erlangte insgesamt einen neuen Stellenwert, und Benevolo lieferte sich selbst erklärende Grundlagen dafür.
Benevolo stammte aus Orta San Giulio im Norden des Piemont und war Professor für Architekturgeschichte an mehreren Universitäten Italiens, u.a. in Rom und Venedig. Auch seine Vorlesungen sollen geprägt gewesen sein von einer die Themen sehr anschaulich betrachtenden, sprachlich präzisen Darstellung und Charakterisierung. Als Stadtplaner und Architekt hat er kaum gewirkt. Am 5. Januar ist Leonardo Benevolo gestorben.

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