Magistralen als Lebensräume
Hamburger Bauforum zur Magistralenentwicklung
Text: Crone, Benedikt, Berlin
Magistralen als Lebensräume
Hamburger Bauforum zur Magistralenentwicklung
Text: Crone, Benedikt, Berlin
Wo befinden wir uns? Backsteinhaus, Autohändler, Nachkriegszeile, Grünstreifen, Spielhalle, Punkthochhaus, Blockrand, Baumreihen, Büroscheibe, Kopfsteinpflaster, Gründerzeit. Die Überschrift des Artikels verrät: Der Ort muss in Hamburg sein. Die hier im Zeitraffer geschilderte Fahrt von der Meiendorfer Straße bis zum innerstädtischen Steindamm ließe sich in ähnlicher Abfolge aber auch in anderen Städten unternehmen. Denn die neue, großspurige Aufgabe Hamburgs, sich der Entwicklung von sechs Magistralen und einer halbkreisförmigen Ringstraße zu widmen, ist nicht nur eine Hamburger Angelegenheit. Ein- und Ausfallstraßen kennt nahezu jede Stadt. Als Anregung für andere Kommunen kann daher bereits die neue Sichtweise der Hansestadt dienen: Nicht nur Innenstadt und Quartiere, auch die langen Verkehrsadern, auf denen wir sonst die Stadtprärie links und rechts liegen lassen wollen, können lebenswerte Orte sein – oder werden. „Alles an diesen Stadträumen ist rechtens, entstanden durch eine Briefmarken-Planung“, sagt Franz-Josef Höing, „aber ich will mich mit ihrer Zufälligkeit nicht abfinden.“
Der Hamburger Oberbaudirektor war von 2000 bis 2004 Referent des damaligen Oberbaudirektors Jörn Walter und mitverantwortlich für die HafenCity, zuletzt war er Planungsdezernent in Köln. Nun ist er wieder in Hamburg – und denkt wieder großformatig (Bauwelt 1.2018). Auf der Suche nach Flächen, die als neue, beliebte Wohnorte wachgeküsst werden könnten, fiel der Blick auf sieben Straßenverläufe, die zusammen alle Bezirke schneiden. Sie betreffen damit – anders als die HafenCity – die gesamte Stadtbevölkerung. Ebenfalls anders als bei der HafenCity liegen die tangierten Grundstücke, abgesehen von den Verkehrswegen, jedoch selten in öffentlicher Hand. Wie also vorgehen?
Für Antworten auf diese Frage lud die Stadt über 150 Planer zum Bauforum in die Deichtorhallen. Das Bauforum ist ein Hamburger Traditionsformat: Zum siebten Mal seit 1989 kamen Planer zu einem Workshop zusammen, einem mehrtägigen Planungstrip, bei dem tabulos Abschnitte der Hansestadt umgestaltet werden durften. Die Liste der Teilnehmer (die von der Stadt angefragt wurden und eine Aufwandsentschädigung erhielten) reichte von internationalen Büros (51N4E, Adept, David Kohn Architects, u.a.) über Büros aus anderen deutschen Städten (Man Made Land, yellow z, Astoc, u.a.) und Verkehrsplaner (Arup, Copenhagenize Design, u.a.) bis hin zu Hamburger Planern (blauraum Architekten, DFZ Architekten, gmp, u.a.). Die Teilnehmer wurden aufgeteilt auf je zwei Gruppen pro Magistrale und den Ring 2. So wurde jede Magistrale von zwei fachlich und geographisch gemischten Gruppen unabhängig bearbeitet, ergänzt um Studierende und Vertreter der Bezirke. Auf eine Busfahrt und Begehung der Planungsorte folgte die Arbeit in den mit Modellwerkstatt und 3D-Drucker ausgestatteten Deichtorhallen.
Pfauenfeder und Perlenkette
Zuletzt sorgte Hamburg mit Plänen für die Neugründung des Stadtteils Oberbillwerder auf einem Acker im Südosten für Aufsehen (Bauwelt 15.2018). Als wäre das – und die vielen innerstädtischen Projekte – nicht genug, kommen nun noch gigantische Straßenräume auf die Arbeitsstapel der Stadt. Oberbaudirektor Höing hat genug vom Klein-Klein der letzten Jahre: „Warum trauen wir uns keine größeren Maßstäbe mehr zu?“ Eine 100 Jahre alte Vorlage für das Magistralen-Projekt bildet daher auch der große Stadtentwicklungsplan des damaligen Oberbaudirektors Fritz Schumacher, der über elf federartige Strukturen das flächenintensive Wachstum ins Hamburger Umland ebnen sollte.
Pfauenfeder und Perlenkette
Zuletzt sorgte Hamburg mit Plänen für die Neugründung des Stadtteils Oberbillwerder auf einem Acker im Südosten für Aufsehen (Bauwelt 15.2018). Als wäre das – und die vielen innerstädtischen Projekte – nicht genug, kommen nun noch gigantische Straßenräume auf die Arbeitsstapel der Stadt. Oberbaudirektor Höing hat genug vom Klein-Klein der letzten Jahre: „Warum trauen wir uns keine größeren Maßstäbe mehr zu?“ Eine 100 Jahre alte Vorlage für das Magistralen-Projekt bildet daher auch der große Stadtentwicklungsplan des damaligen Oberbaudirektors Fritz Schumacher, der über elf federartige Strukturen das flächenintensive Wachstum ins Hamburger Umland ebnen sollte.
Manche Teams griffen das dankbare Bild des Federplans auf und malten es zur farbenfrohen Federkrone des Pfaus aus, mit in die Nachbarschaft ausstrahlenden Zentren. Generell eine beliebte – und vielleicht erwartbare – Strategie war die polyzentrische Stärkung der Magistralen, nach der sich Zentren, wie auf einer Perlenkette aufgeschnürt, mit ruhigen Abschnitten abwechselten. Verbreitet war auch das Verbinden von Grünflächen, die wie beim Grünen Ring derzeit von der mehrspurigen Straße zerlegt werden, es im Westen nicht durchlaufend zum Elbufer oder in der City Nord nicht hindernisfrei zum Stadtpark schaffen. Auch der Rückbau des Autoverkehrs zugunsten von Rad- und Fußgängerwegen, ÖPNV und Grünräumen war Konsens. Spannend wurde es bei streitbaren Vorschlägen wie der Entwicklung der gewerblichen Seehafenbecken in Harburg zum Wohnquartier oder dem verlockenden Neubau entlang von idyllischen Flussläufen wie der Wandse. Die Kernleistung der Teams – und des Forums – bestand aber im Aufspüren, Filetieren und Weiterverarbeiten unentdeckter Grundstücke. Davon scheint es noch reichlich zu geben. Nur blieben die Vorschläge dünn, wie die Eigentümer dieser Grundstücke für die großen Pläne ebenfalls begeistert werden könnten.
Bei der Flächensuche half die Form der Magistrale, an der sich die Planer entlanghangeln konnten – noch stets die Raumwahrnehmung des hindurchgleitenden Pendlers im Blick. Die übereinstimmende Sicht, dass diese Straßen nicht als ein homogener Stadtkörper zu behandeln sein werden, trieb ein erhellender Beitrag auf die Spitze, der sich dem Ring 2 widmete. Das Team gab die Konstruktion einer ohnehin zerstückelten Ringstraße kurzerhand auf und zerlegte sie in angemessene Einzelteile. So lange, bis vom scheinbar großen Straßenverlauf keine Spur mehr übrig blieb.
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