Bauwelt

Phänomen und Phantom

Eine Ausstellung am Haus der Architektur in Graz widmet sich der „Grazer Schule“ und mahnt die Diskussion zu Schutz und Sanierung dieser prägenden Ära der Nachkriegsarchitektur an.

Text: Novotny, Maik, Wien

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    Haus Fuchs von Heinz Wondra.
    Fotos: Michael Schuster

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    Haus Fuchs von Heinz Wondra.

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    FH Graz von Karl Lebwohl und Christine und Walther Kordon.
    Foto: Anselm Wagner

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    FH Graz von Karl Lebwohl und Christine und Walther Kordon.

    Foto: Anselm Wagner

Phänomen und Phantom

Eine Ausstellung am Haus der Architektur in Graz widmet sich der „Grazer Schule“ und mahnt die Diskussion zu Schutz und Sanierung dieser prägenden Ära der Nachkriegsarchitektur an.

Text: Novotny, Maik, Wien

Bis heute prägt sie den Ruf der Stadt in der internationalen Architekturwelt: Die Grazer Schule, diese Spielart des formverliebten, expressiven, organischen Bauens, die vor allem in den 1970er und 1980er Jahren die steirische Hauptstadt prägte. Der „wilde“ Günther Domenig war wohl ihr bekanntester Protagonist, aber auch Karla Kowalski und Michael Szyszkowitz, Volker Giencke, Heinz Wondra oder Team A entwickelten in der so kleinen wie intensiven Architekturszene um die TU Graz ein regionales Biotop, das idiosynkratische Bauten von hoher Qualität produzierte, unterstützt von einem progressiven Klima in der Verwaltung, verkörpert in Wolfdieter Dreibholz, der von 1978 bis 1998 in der Hochbauabteilung des Landes Steiermark tätig war.
Sowohl Friedrich Achleitner als auch Peter Blundell Jones mit seinem Buch Dialogues in Time. New Graz Architecture (1998) versuchten sich an einer Prägung des Begriffes, doch sowohl zeitlich als auch stilistisch wurden dessen Grenzen nie genau definiert, sie ist Phänomen und Phantom zugleich, und vielleicht auch nur eine clevere Erfindung. Eindeutig ist jedoch die Gegenbewegung nachfolgender Grazer Architekten und Lehrender wie Hans Gangoly oder Riegler Riewe Architekten, die mit der detailverliebten Verspieltheit ihrer Vorgänger nichts anfangen konnten und ihr einen kräftigen, rauen Minimalismus entgegensetzten. Vergessen war die „Grazer Schule“ jedoch nie, bis heute ist sie in der Lehre und in der legendären „Zeichensaal-Kultur“ der TU-Studierenden präsent.
Ein Symposium an der TU Graz im Herbst 2010 signalisierte das Einsetzen der retrospektiven Phase, nachgefolgt 2013 von der Publikation „Was bleibt von der Grazer Schule?“, herausgegeben von Anselm Wagner und Antje Senarclens de Grancy am Institut für Architekturtheorie, Kunst- und Kulturwissenschaften der TU Graz.
Wie schon die Spätmoderne und der Brutalismus vor ihr erreichen die Bauten der Grazer Schule sukzessive das kritische Alter von 40 Jahren, in dem sich ihr Schicksal zwischen Abriss, Sanierung und Denkmalschutz entscheidet und die historische Distanz eine objektivere Würdigung erlaubt. Ein verstohlener akademischer Wettbewerb um die Deutungshoheit und die Besetzung des Themas ist bereits in Gange.
Erste Werke wie das Haus Fuchs von Heinz Wondra wurden bereits abgerissen; ein Grund für das Institut für Architektur und Kunst- und Kulturwissenschaften an der TU, im Herbst 2021 mit der Aktion „SOS Grazer Schule“ Alarm zu schlagen, die in Form einer von Anselm Wagner und Sophie Walk herausgegebenen Zeitung eine Art Gesamtkatalog dieser Ära bieten sollte. Hier wurde der Rahmen mit dem Zeitraum 1960–2000 sehr weit, vielleicht auch zu weit, gesteckt, und praktisch die gesamte Nachkriegsarchitektur unter dem Label vereinnahmt, bis hin zum Neubau des Informatikinstituts von Riegler Riewe (2001) und der Stadthalle von Klaus Kada (2002). Als Architekturführer für Interessierte bestens geeignet, als Forschungsgrundlage nur bedingt.
Etwas übersichtlicher und fokussierter geriet die Ausstellung „Grazer Schule. Stil & Wert eines Phänomens“, die im März am Haus der Architektur (HDA) Graz eröffnet wurde. Im Rahmen einer von Margareth Otti-Wagner betreuten Lehrveranstaltung mit internem Wettbewerb durften Studierende selbst ein Ausstellungskonzept entwickeln. Das Gewinnerkonzept zeigt neun Projekte mit einer großen typologischen Bandbreite vom Einfamilienhaus über Bankfilialen und größere Wohnanlagen bis zu Hochschulbauten; neben dem zerstörten Haus Wondra ist auch der kurz vor dem Abbruch stehende WIFI-Werkstättenbau (Architekten Christine & Walther Kordon) zu sehen und unterstreicht die Dringlichkeit einer Diskussion über die Unterschutzstellung und Neubewertung jener Bauten.
Die von den Studierenden recherchierten Pläne sowie von Hand und mittels 3D-Druck angefertigten Modelle fokussieren die technisch-handwerklich ausgefeilten Details der Bauten. Ein Aspekt, dem die junge Generation, wie sie bei der Ausstellungseröffnung deutlich machte, besondere Wertschätzung und Bewunderung entgegenbringt, der aber auch in punkto Sanierung eine große Herausforderung darstellt, denn die Luftigkeit der feinen Stahlprofile und großen Verglasungen im Standard der 1970er bis 1990er Jahre würde bei einer Generalüberholung mit Vollwärmeschutz und thermischem Anstrich noch mehr leiden als der skulptural-schwere Sicht­beton des Brutalismus. Hier gilt es, rechtzeitig konservatorische Methoden und Leitlinien zu entwickeln, denn auch die Postmoderne klopft schon an die Türen der Denkmalämter.

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