Spa. Glanz und Vanitas des Café de l’Europe
Tatsächlich ist die etymologische Provenienz des in der gegenwärtigen Badekultur bisweilen schon inflationär verwandten Begriffs „Spa“ nicht – wie so oft angenommen – auf das angeblich aus dem lateinischen „Sanus Per Aquam“ gebildete Akronym zurückzuführen, sondern auf die gleichnamige kleine Badestadt mit großer kurstädtischer Vergangenheit.
Text: Hake, Verena, Aachen
Spa. Glanz und Vanitas des Café de l’Europe
Tatsächlich ist die etymologische Provenienz des in der gegenwärtigen Badekultur bisweilen schon inflationär verwandten Begriffs „Spa“ nicht – wie so oft angenommen – auf das angeblich aus dem lateinischen „Sanus Per Aquam“ gebildete Akronym zurückzuführen, sondern auf die gleichnamige kleine Badestadt mit großer kurstädtischer Vergangenheit.
Text: Hake, Verena, Aachen
Etwa fünfundzwanzig Kilometer südöstlich von Lüttich in einem von dichten Laubwäldern gesäumten Ardennental gelegen, galt das an Mineralquellen überbordend reiche Spa im 18. Jahrhundert als „Café de l’Europe“, in welchem sich der europäische Adel – darunter Regenten wie Zar Peter der Große – zur Sommerfrische traf. Mitte des 19. Jahrhunderts folgte eine zweite Blütezeit: Das bisher aristokratische wich einem großbürgerlichen Publikum; die thermale und touristische Infrastruktur wurde nochmals erweitert um zahlreiche repräsentative Kurarchitekturen.
Was ist Wunsch, was Wirklichkeit?
Heute wird die Stadt eher mit den im nahen Francorchamps ausgerichteten Formel-1-Rennen denn mit einem elaborierten und lebendigen Thermalwesen konnotiert. Dabei ist sie redlich bemüht, ihre thermalen Besonderheiten wieder stärker in den Fokus des öffentlichen Interesses zu rücken. So wurden 2004 hoch oben auf der Colline d‘Annette et Lubin mit den Thermes de Spa ein neuer Badekomplex und am Fuße selbigen Hügels ein Luxushotel errichtet mit dem Ziel, den seit dem 20. Jahrhundert deutlich rückläufigen Badetourismus zu reaktivieren. Ferner bemüht Spa sich derzeit um Aufnahme in das UNESCO-Welterbe als Teil der „Great Spas of Europe“. Ausgang ungewiss. Seit einiger Zeit wirbt die Stadt zudem mit dem Claim „Authenti’City“. Dazu immer und immer wieder: Fotos des Außenpools der neuen Thermen. Von den alten Thermen – den Anciens Bains: kaum eine Spur. Authentisch, städtisch – ist es das, was Spa ist, oder eher das, was Spa sein möchte? Was ist Wunsch, was Wirklichkeit? Welche Entscheidungen der vergangenen fünfzehn Jahre seitens der Verwaltung sind nachvollziehbar, welche nicht?
Die Euphonie der Fabrik
Prochain Arrêt: Spa. Ankommen im Miniaturbahnhof – es zischt, die Zugtüren öffnen sich. Ein erster Gruß des Wassers: die mächtigen Wellblechfassaden der 1921 gegründeten Societé Spa Monopole, die mit der Produktion von über 500 Millionen Flaschen Mineralwasser pro Jahr eines der wirtschaftlichen Standbeine der Region formiert. Das einst symbiotische Miteinander von Fabrik und Bahnhof – stellte Letzterer doch jahrzehntelang die Infrastruk-tur für den Export des kostbaren Nasses dar – ist durch die Entwicklung effizienterer Transportmöglichkeiten einem parallelen Nebeneinander gewichen. Man hört: ein lautes Wasserrauschen, ein emsiges Hämmern. Die Euphonie der Fabrik. Auf dem Bahnhofsvorplatz: Ein Spalier schmaler, zweigeschossiger Häuser, darunter die Brasserie de Chemin de Fer. Auf der Ecke: das Hôtel de la Gare, allem Anschein nach wohl schon lange keine Gäste mehr empfangend. Über eine Diagonale geht es auf die Avenue de la Reine Astrid Richtung Zentrum. Ich passiere die ehemalige Villa Royale Marie-Henriette mit kunstvoll geschmiedetem, blaugrau gestrichenem Zaun. Heute das Musée de Ville d‘Eaux.
Es folgt ein kurzer Abstecher in den Kurpark, Innehalten auf einer Bank. Das große Betonbassin: trockengelegt. Eine ältere Dame in Türkis mit kleinem Hund, wir kommen ins Gespräch. Sie erzählt mir vom strikt getakteten Tagesablauf der Kurgäste der vergangenen Jahrhunderte. Nicht nur die Einnahme der Mahlzeiten und die thermalen Anwendungen, sondern auch die Spaziergänge seien zu ganz bestimmten Uhrzeiten erfolgt. So habe man sich etwa gegen sieben Uhr zum abendlichen Promenieren im Parc de Sept-Heures eingefunden, dessen Name in genau diesem Umstand begründet liege und in welchem wir uns gerade befinden. Ich ziehe weiter in Richtung der Galérie Léopold II, einer langgestreckten Wandelhalle mit filigranen, schmiedeeisernen Stützen, eine leichte Architektur, deren Köpfe in je einen ziegelsichtigen Pavillon münden. Im parkseitigen Pavillon: Boule und blauer Dunst, Umwidmung durch Aneignung. Heiser aufWallonisch diskutierende ältere Männer. Im stadtseitigen Pavillon: Leerstand.
Problem der Maßstäblichkeit
Linkerhand befindet sich der eingangs bereits erwähnte Hotelneubau – mithell verputztem Wärmedämmverbundsystem, alternierenden Fenstern und Staffelgeschoss ein architektonisches Zeitzeugnis der 2000er Jahre. Wohl als bekrönende Reminiszenz an die lokale Bäderarchitektur ersonnen: die zinkbekleidete, in einen Zylinder übergehende Kuppel, die das Gebäude auf sonderbare Weise durchdringt. Überhaupt: Die Maßstäblichkeit des Hotels mit seiner um die siebzig Meter breiten Straßenfront scheint ob seiner unmittelbaren Nachbarschaft zu den höchstens dreiachsigen Puppenhäuschen entlang der Rue Royale nicht angemessen. Über eine zeitgleich errichtete Zahnradbahn ist das Hotel mit den neuen Thermes de Spa hoch oben auf der Colline verbunden. Sie scheint nur mäßig in Anspruch genommen zu werden. Die wenigen Nutzer sind in der Regel Hotelgäste und nicht etwa Touristen, die Spa aus frischer Höhe betrachten möchten. Dies mag unter anderem daran liegen, dass die Bergstation der Zahnradbahn im Bauch der mächtigen Thermes liegt. Eine der Allgemeinheit zugängliche Aussichtsplattform existiert nicht. Auch sei eine solche, wie ich erfahre, nicht geplant.
Baden an der Peripherie
Die Thermes de Spa selbst: Viel Glas, viel Stahl, ein kristalliner Fremdkörper, durch dessen Errichtung die bis dato natürlich bewaldete Silhouette des Hügels signifikant verändert wurde. „Die Thermen“, so eine Spadoise auf meine Frage nach deren Akzeptanz in der Bevölkerung, „empfinden viele von uns wie eine bulle isolée. Wir gehen nicht oft hin.“ Laut Generaldirektion sind dennoch hohe Besucherzahlen zu verzeichnen – im vergangen Jahr zählte man knapp 200.000 Gäste. Unter anderem diesem Umstand sei zu verdanken, dass der Thermenbetrieb auch ohne finanzielle Unterstützung der Region Wallonie – Letztere habe lediglich den Bau des Gebäudes an sich subventioniert – profitabel sei. Übrigens: So Sie mit dem Auto anreisen, führt Ihr Navigationssystem Sie direkt auf den riesigen, thermeneigenen Parkplatz. Hier wird die weitreichende Folge der Entscheidung, die Thermes n der Peripherie zu verorten und nicht im Zentrum der Stadt, besonders deutlich: Sie können in Spa baden, ohne Spa zu besuchen. Und genau hier liegt das Problem.
Das Herz der Stadt
Die Place an der Rue Royale, rasenbedeckt, kirschbaumgesäumt. Akkurat bepflanzte Blumenbeete. In der Mitte: eine morderne Brunnenanlage, vielleicht aus den fünfziger Jahren. Wasser – endlich! An den Platzseiten: ein eklektisches Ensemble repräsentativer Kurarchitekturen. Im Süden: der „Kursaal“ genannte Tanz- und Theaterbau mit vorgelagertem Stadtbalkon. Das Untergeschoss beherbergt die kleine örtliche Bücherei, im Saal selbst finden ab und zu Veranstaltungen statt. Im Westen: die Anciens Bains, die alten Thermen, ab 1862 errichtet durch den renommierten Architekten Léon-Pierre Suys, der unter anderem für den Entwurf der Brüsseler Börse verantwortlich zeichnete. Seit beinahe vierzehn Jahren steht dieser opernhaft anmutende, mit Muschelwerk verzierte Badetempel nun leer und ist offensichtlich dem Verfall preisgegeben – ein vergessenes Wassertheater, das – trotz all der offenkundigen Vanitas, von der nicht nur die bröckelnde Fassade und die zerborstenen Fensterscheiben zeugen – noch immer Bilder seiner glanzvollen Vergangenheit evoziert.
Seit 2010 wird eine Sanierung und Modernisierung des alten Thermengebäudes diskutiert und geplant. Das multifunktionale Umnutzungskonzept von Sumproject und Barbara van der Wee Architects sieht neben einem Restaurant und Shops auch ein Luxushotel vor. Ferner sollen die historischen thermalen Einzelanwendungsräume in Form eines Centre de Bien-Être revitalisiert werden. Die Idee der Umnutzung in ein Hotel ist sinnvoll. Dass zudem die einstige thermale Bestimmung des Gebäudes reaktiviert wird, ist zu begrüßen.
Im Osten der Place befindet sich das Casino. Im Erdgeschoss des eigentlich höchst repräsentativen Baus stehen einige Roulette-Tische und zahlreiche Spielautomaten. Nur ab und an für Bankette genutzt, ist der prachtvolle Saal im ersten Obergeschoss hingegen meist geschlossen. Die Fenster: verhangen, in der Rotunde: blinkende LED-Bildschirme. Die benachbarte, neobarocke Salle: besetzt von riesigen Rechnerstrukturen für den Betrieb des virtuellen Internetcasinos.
Rien ne va plus?
Ich suche das Gespräch mit der Stadt, Abteilung: Urbanisme. Wieso man nicht zunächst das gerade beschriebene Ensemble instandgesetzt habe, bevor man im Zentrum (Luxushotel) und an der Peripherie (Thermes de Spa)Millioneninvestitionen getätigt habe, und vor allem: Warum die Umsetzung des neuen Konzepts für die Anciens Bains so lange dauere. Die Antwort: „Je ne sais pas, désolée.“ Scheinbar ein wunder Punkt, scheinbar ein Politikum. Rien ne va plus? Nein. Aber im Zuge der nun nahenden Instandsetzung der Anciens Bains – angeblich soll Ende dieses Jahres damit begonnen werden – muss die Zukunft von Kursaal und Casino mitgeplant werden, da das Ensemble nur als Trias dauerhaft funktionieren kann. Auch scheint es nicht zuletzt für die potentielle Anerkennung als UNESCO-Welterbe unerlässlich, nicht nur Neues auf maroden Fundamenten zu errichten, sondern den Glanz des wirklich emblematischen Erbes zu bewahren und der Gegenwart in angemessener Form zu übereignen.
Vom Suchen und Finden des Wassers
Ich besuche noch den Pouhon Pierre-le-Grand, ein achteckiges Brunnenhaus, in dessen Mittelpunkt die gleichnamige Quelle hervorsprudelt. Nachdem ich das warme Wasser probiert habe, bin ich neugierig auf die weiteren Quellen und frage den Mitarbeiter der Touristeninformation, wo diese zu finden seien. Überhaupt, ergänze ich, sei das für Spa doch so charakteristische Wasser so wenig präsent. „Das Wasser? Sie müssen es suchen. Die meisten Quellen offenbaren sich erst auf den zweiten Blick, wie so Manches hier. Sie liegen nämlich verborgen in den Wäldern“. Ich komme wieder.
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