Substanz der Lagunenstadt
Venedig feiert noch bis Ende März sein 1600-jähriges Bestehen mit einer opulenten Ausstellung im Dogenpalast
Text: Schulz, Bernhard, Berlin
Substanz der Lagunenstadt
Venedig feiert noch bis Ende März sein 1600-jähriges Bestehen mit einer opulenten Ausstellung im Dogenpalast
Text: Schulz, Bernhard, Berlin
Die Legende will es, dass Venedig zur Mittagsstunde des 25. März 421 gegründet wurde. Tatsächlich dauerte es hunderte von Jahren, ehe Venedig in die europäische Geschichte eintrat und sich zu jenem welthistorisch einzigartigen Gemeinwesen entwickelte, als das es bis heute bewundert und von Millionen Touristen besucht wird.
Die Stadt feiert ihren Geburtstag mit einer opulenten Ausstellung im Dogenpalast, der seit dem ersten Bau des 10. Jahrhunderts den politischen Mittelpunkt darstellte. Auch er unterlag zahlreichen Wandlungen. Denn der „Große Rat“, als Wahlgremium des Dogen, das Machtzentrum der venezianischen Oligarchie, gewann um 1300 seine fortan bestehende Struktur, sodass schließlich der heute seinem Äußeren nach fortbestehende Palazzo entstand. Er wurde nach Bränden wiederholt in alten Formen renoviert, um die Kontinuität der Republik zu bezeugen.
Ob dies seinerzeit der Grund war oder eine spätere Interpretation, steht dahin. Jedenfalls macht es sich gut, während des Stadtjubiläums auf Kontinuität zu pochen, und die Ausstellung „Venetia 1600. Geburten und Wiedergeburten“ begräbt jeglichen Zweifel an Glanz und Gloria der Serenissima unter einer Fülle prachtvoller Ausstellungsstücke. Kritische Fragestellungen, wie sie vor Jahren in der hochinteressanten Ausstellung zur Geschichte des Ghettos an die Bau- und Bodenpolitik der Republik gestellt wurden, sind diesmal nicht zu finden. Wenn etwa die Beziehungen zu Byzanz mit herrlichsten Kunstgegenständen wie einem Weihrauchgefäß in Zentralbaugestalt dargestellt werden, fehlt der Hinweis auf die Plünderung, die die vom venezianischen Dogen umgeleiteten Kreuzfahrer 1204 in Byzanz veranstalteten, und der sich ein ungeheurer Schatz an Trophäen bis hin zu den vier bronzenen Rossen auf dem Markusdom verdankt.
Die Ausstellung beginnt mit Jacopo de‘Barbaris Vogelschauplan von Venedig aus dem Jahr 1500, eine technisch eigentlich nicht mögliche Meisterleistung, die darum noch Jahrhunderte später als Stadtplan Verwendung fand, und dem berühmten Gemälde des Frührenaissance-Malers Vittore Carpaccio, das Wappentier des Markuslöwen in breitem Querformat darstellend. Es geht um Venedig als Stadt der Renaissance; was hinsichtlich der Wissenschaft, der Buchproduktion, des gelehrten Austauschs fraglos zutrifft. Der originäre Beitrag zur Architektur, die Bauten des bis heute unterschätzten Mauro Codussi, finden keine Erwähnung, während die Projekte Palladios naturgemäß breiten Raum beanspruchen, unterstützt durch herrliche Modelle etwa der Redentore-Kirche wie auch des weniger bekannten Entwurfs für einen Neubau des Dogenpalasts nach dem großen Brand von 1577. Dazu unterbreitete der 1570 als Nachfolger Sansovinos zum Staatsarchitekten aufgestiegene Vizentiner die grundlegende Idee, jedoch keine ausgeführten Zeichnungen. Die Oligarchie, wie erwähnt, entschied sich für einen detailgetreuen Wiederaufbau, ein frühes Beispiel einer bewussten Rekonstruktion.
Handel und Schifffahrt, die Säulen der Ökonomie dieser unmöglichen Stadt im Wasser, werden breit gewürdigt; wer aber die Ruder der enormen Galeeren zu bedienen hatte, die da im Modell einen ganzen Ausstellungssaal dominiert, bleibt unerwähnt. Gegenüber der Oligarchen der alten Familien war die Kaufmannschaft aufgeschlossener, auch im Verhältnis der Geschlechter – Gemälde zeigen Ehegatten in Gleichberechtigung und Zuneigung, dazu die Kinder als Versprechen einer bruchlosen Zukunft.
In Zeiten von Covid gewinnt die Darstellung der verheerenden Pest-Epidemien besondere Bedeutung. Venedig wurde mehrfach in seiner Existenz erschüttert. 1576 und 1630 fiel der Pest mit jeweils rund 46.000 Toten ein Viertel der Stadtbevölkerung zum Opfer, von Medizinern vorgeschlagene Schutzmaßnahmen waren von der politischen Führung unter Verweis auf die Fortführung des Handels untersagt worden.
Die Zeit der Renaissance war für Venedig tatsächlich eine der Wiedergeburt(en): Mehrere Katastrophen folgten einander nach 1500, in der Stadt selbst wie auch in der großen Politik, in der sich Venedig stets als wendiger, allein auf den eigenen Vorteil bedachter Kantonist zeigte – und bisweilen mächtig unter die Räder geriet, wie 1509, als Kaiser Maximilian die zur zweiten Säule der Ökonomie herangereifte terraferma, das Hinterland der Lagunenstadt, besetzte. Der Dauerkonflikt mit den Osmanen, der gleichwohl nicht von intensiven Handelsbeziehungen abhielt, wird in der Ausstellung eher klein gespielt.
Um 1600 ist dann die renovatio urbis vollendet, haben Markusplatz und die angrenzende Piazzetta ihre heutige Gestalt gefunden, ist gegenüber dem Bacino di San Marco mit der großartigen Palladio-Kirche San Giorgio Maggiore ein optisches Gegengewicht geschaffen. Das ist die Bühne der Stadt, auf der sich die zahlreichen Schauspiele zu Wasser abspielen, die Venedig immer wieder zu inszenieren wusste, auch um auswärtige Besucher zu beeindrucken. Wem das nicht genügte, der bekam, wie der französische König Heinrich III., den Bau eines Kriegsschiffs aus vorgefertigten Teilen binnen eines Tages vorgeführt – keine Kriegswerft der Welt konnte mit dem Arsenal mithalten, das nach dem Seesieg von Lepanto 1577 sein schönes Löwentor neben der streng bewachten Einfahrt erhielt.
Nach der Demütigung durch Napoleon 1797 ruhte die Hoffnung auf einem vereinten Italien, beschworen in zahlreichen Gemälden. Die Eisenbahn kommt Mitte des 19. Jahrhunderts und löst das Schiff als Transportmittel ab.
Für die Jetztzeit halten Modelle der Bauprojekte etwa von Le Corbusier oder auch Carlo Scarpa her – und Gemälde von Emilio Vedova und Jackson Pollock. Damit ist die Biennale angesprochen, jene ununterbrochen arbeitende Maschinerie zur Veranstaltung von Festivitäten sämtlicher Künste. Der Streit um die Kreuzfahrtschiffe, die der Substanz der Stadt so zusetzen? Allenfalls im Nebensatz. Im Geburtstagsjahr zeigt sich die Stadt nur von ihrer Schokoladenseite.
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