Trainstation Spotting
Die Berliner U-Bahnlinie U5 wurde verlängert. Sie reicht nun über die Stationen Rotes Rathaus, Museumsinsel und Unter den Linden bis zum Hauptbahnhof. Auch Touristen werden sich über diesen Lückenschluss entlang prestigeträchtiger Orte freuen. Wir steigen in die drei neuen Bahnhöfe hinab – und entdecken einen alten wieder.
Text: Crone, Benedikt, Berlin
Trainstation Spotting
Die Berliner U-Bahnlinie U5 wurde verlängert. Sie reicht nun über die Stationen Rotes Rathaus, Museumsinsel und Unter den Linden bis zum Hauptbahnhof. Auch Touristen werden sich über diesen Lückenschluss entlang prestigeträchtiger Orte freuen. Wir steigen in die drei neuen Bahnhöfe hinab – und entdecken einen alten wieder.
Text: Crone, Benedikt, Berlin
Es ist ruhig vor diesem bedeutsamen Gebäude der Stadt. Ein Junge posiert auf den Treppenstufen, daneben schlackern drei Fahnen im Wind. Von Richtung Fernsehturm kommend kreist eine Krähe und lässt sich am Turm des Roten Rathauses nieder. Menschen sind hier nur wenige zu sehen, bedingt durch Winter und Lockdown. Und doch steigen alle fünf Minuten ein paar Leute aus den Tiefen des Untergrunds. U-Bahn-Zugänge, aus denen es verlockend leuchtet, spucken sie vor den blanken Vorplatz des Rathausgebäudes. Nachdem andere Berliner Bezirke und Stadtteile längst einen U-Bahnhof haben, der zu ihrem Rathaus führt (Schöneberg, Spandau, Neukölln, Steglitz), hat nun auch das Rathaus der Stadt, 1867 von Hermann Friedrich Waesemann in sattroter Ziegelfassade ausgeführt, eine eigene Station erhalten. Nicht nur diese wurde im Dezember eingeweiht. Die Linie der U5 führt nun nicht mehr nur vom östlichen Hönow, an der Grenze zu Brandenburg, bis zum Alexanderplatz, sondern reicht einige Kilometer weiter: vorbei an der Station Museumsinsel, über den neuen Umsteigebahnhof Unter den Linden und knüpft an die von vielen Berlinern bisher kaum aufgesuchten Bahnhöfe der legendären Kurzstrecke U55 an: Brandenburger Tor und Bundestag. Neue Endstation ist der Hauptbahnhof. So schafft man es jetzt vom Frankfurter Tor bis zum Hauptbahnhof ohne lästigen Umstieg am Alexanderplatz in die S-Bahn und in 14 statt früher bestenfalls 19 Minuten. Das mag nach wenig klingen, ist aber ein gefühlter Quantensprung in der unterirdischen Erschließung des Berliner Zentrums. Die BVG rechnet nach der Pandemie mit über 150.000 Fahrgästen pro Tag. Vor allem wird die Strecke wohl dem Röhrenpostversand von Touristen dienen, die keine Zeit und Muße haben für das Flanieren auf dem Boulevard Unter den Linden. Sie können nun im Regierungsviertel, am Humboldt Forum und eben auch mal vor dem Roten Rathaus in und aus dem Wagen springen.
Doch nicht nur die besser erschlossenen Zielorte profitieren. Auch die neuen Bahnhöfe sind einen Besuch wert, sind sie schließlich von Architekturbüros in über 20 Jahre langer Mühe entworfen, umgeplant und vollendet worden. Allerdings müssen die Neubauten dem Vergleich mit berühmten Berliner U-Bahnhöfen wie denen des Architekten Rainer G. Rümmler standhalten. Dessen freudig poppige Farbgestaltung – so viel sei vorweggenommen – dienten den Architekten offenkundig nicht als Vorbild.
Die Fahrt beginnt am Bahnhof Rotes Rathaus von Collignon Architektur – und mit einer Überraschung. Wer sich hinab in die neue Station begibt, wird abgesehen von der Notrufsäule keinen roten Farbklecks entdecken können (man hätte es bei diesem Halt verziehen). Auch landet man nicht in einem für U-Bahnhöfe berüchtigten, dunklen Schlauchzugang. Stattdessen öffnet sich von der Verteilerebene der Blick durch Glaswände auf einen hellen, in seriösem Schwarz und Weiß gehaltenen Bahnsteigbereich. Wie von einem Flughafentower aus lassen sich von hier oben die gelben Bahnen der BVG nicht ohne kindische Freude beim Ein- und Ausfahren beobachten. Auch fallen die breiten ausformenden Pilzstützen ins Auge, die mit ihrer Reihung entlang der Mittelachse das Raumgefühl prägen. Die Treppe hinab bleibt der Bahnsteig in Sicht. Wer an anderen U-Bahnhöfen die Erfahrung gemacht hat, beim Biegen um die vielen Ecken entgegenkommenden Passagieren in die Arme zu laufen, wird hier von einer abgerundeten, breiten Öffnung mit schwarzen Terrazzofliesen unmittelbar auf den Bahnsteig geleitet.
Kinder der Neunziger
Die nächste Bahn würde die Fahrgäste zur Museumsinsel bringen, entworfen von Max Dudler, doch der U-Bahnhof soll erst im Sommer eröffnen. Beim Tiefbau wurde es an der Stelle des Bahnhofs unterhalb des Spreekanals knifflig. Die sandige Erde musste zur Stabilisierung zu einem großen Frostkörper vereist werden; es kam zu Bauverzögerungen. Ohnehin liegt das wahre Ausmaß des Projekts im Unsichtbaren: Die Schildvortriebsmaschine „Bärlinde“ buddelte sich von 2013 bis 2015 mit Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 20 Metern am Tag durch den Berliner Grund, in zwei Etappen à 1,6 Kilometer vom Marx-Engels-Forum bis zum Brandenburger Tor. Dabei grub die Maschine den Tunnel und sicherte ihn mit Tübbings, Betonfertigteilen, die die Tunnelaußenschale bildeten. Nach dem Bau des ersten Tunnels am Ziel angekommen, wurde die Maschine durch den Tunnel zurückgezogen. Das schwere Schneidrad blieb vorne im Tunnel. Für den Bau der zweiten Röhre wurde ein zweites Schneidrad hergestellt und über den Wasserweg zum Marx-Engels-Forum transportiert.
Die nächste Bahn würde die Fahrgäste zur Museumsinsel bringen, entworfen von Max Dudler, doch der U-Bahnhof soll erst im Sommer eröffnen. Beim Tiefbau wurde es an der Stelle des Bahnhofs unterhalb des Spreekanals knifflig. Die sandige Erde musste zur Stabilisierung zu einem großen Frostkörper vereist werden; es kam zu Bauverzögerungen. Ohnehin liegt das wahre Ausmaß des Projekts im Unsichtbaren: Die Schildvortriebsmaschine „Bärlinde“ buddelte sich von 2013 bis 2015 mit Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 20 Metern am Tag durch den Berliner Grund, in zwei Etappen à 1,6 Kilometer vom Marx-Engels-Forum bis zum Brandenburger Tor. Dabei grub die Maschine den Tunnel und sicherte ihn mit Tübbings, Betonfertigteilen, die die Tunnelaußenschale bildeten. Nach dem Bau des ersten Tunnels am Ziel angekommen, wurde die Maschine durch den Tunnel zurückgezogen. Das schwere Schneidrad blieb vorne im Tunnel. Für den Bau der zweiten Röhre wurde ein zweites Schneidrad hergestellt und über den Wasserweg zum Marx-Engels-Forum transportiert.
Noch gleitet man also am Bahnhof Museumsinsel mit gedrosselter Geschwindigkeit an einer Baustelle vorbei. Doch was zu sehen ist, reicht bereits, um Passagiere den Kopf heben zu lassen: ein ungewöhnlich starker Blauton erscheint an der Bahnhofsdecke und funkelt mit kleinen, gleichmäßig gesetzten Lichtern. Diese Reminiszenz an Schinkels Nachthimmel, wie ihn der Architekt für die Bühneninszenierung der Zauberflöte 1816 entwarf, wirkt gerade im Moment des Vorbeifahrens wie eine kurze surreale Eingebung, die sogleich wieder dem Pechschwarz des Tunnels weicht.
Nächster Halt: Unter den Linden, ein großer Auftritt, entworfen von den Architekten Axel Oestreich und Ingrid Hentschel. Wurde bei der Station Museumsinsel noch gefunkelt, wird hier gestrahlt und geglänzt. Lichterreihen erhellen den Bahnsteig, Deckenstrahler wurden in die Fassade aus Muschelkalk integriert; auf dunklem, anthrazitfarbenem Grund prangt der goldene Schriftzug „Unter den Linden“. Daneben öffnen Ausstellungsfenster den Blick auf Werke zu keinem geringeren Thema als dem des Anthropozän (die neuen Bahnhöfe sind werbefrei!). Vor allem aber überrascht: die Höhe. Vom 14 Meter tiefen Bahnsteig der U5 lässt sich durch eine breite Öffnung über drei Ebenen nach oben blicken. Sind die alten U-Bahnhöfe in Berlin oft noch durch eine niedrige Deckenhöhe zu einer beklemmenden Atmosphäre verdammt, zeigt sich hier der Vorzug eines gönnerhaften Raumvolumens. Oberirdisch konnten zwei der Bahnhofs-Zugänge im mittleren Parksteifen des Boulevards wunderbar integriert werden, in einer Achse mit dem Brandenburger Tor, und gesäumt von symmetrisch aufgereihten Fahrradstahlbügeln. Nur fällt beim Durchschreiten des Umsteigebahnhofs eine Diskrepanz zwischen den Bahnsteigen auf: Während der Bereich für die prestigeträchtige Linie U5 im Ausmaß wertig erscheint, muss sich die U6 bei ihren Bahnsteigen mit einer niedrigen Höhe begnügen.
Wieder unten, in der U5, steuert die nächste Bahn den U-Bahnhof Brandenburger Tor an. 2009 wurde er ebenfalls vom Büro Hentschel Oestreich fertiggestellt – unverkennbar in gleicher Machart als kleinere Version des Bahnhofs Unter den Linden ausgeführt.
Einen wahren Kontrast bietet sich da demjenigen, der am folgenden Bahnhof aussteigt: Bundestag. Denn Berlin hat durch die Verlängerung der U5 nicht nur drei neue Bahnhöfe erhalten, sondern mindestens einen weiteren wiederentdeckt. Bereits in den neunziger Jahren, anlässlich des Kanzleramtsneubaus, wurde der Rohbau des Bahnhofs von Axel Schultes realisiert. Bis zur Eröffnung diente er Film- und Theaterproduktionen als Bühne. Tatsächlich ist der Bahnhof Bundestag wohl der heimliche Gewinner des teuren Großprojekts U5 – ein sakral anmutender Raum, vollständig in Sichtbeton gestaltet, und mit wuchtigen Betonpfeiler, die im für Schultes typischen kreuzförmigen Deckenabschluss durch Tageslicht erhellt werden. Verkehrstechnisch wurde die Station, die zwischen Kanzleramt und Paul-Löbe-Haus liegt, durch den Lückenschluss in die Mitte der Stadt befördert.
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