Vom Glauben abgefallen?
Text: Kraft, Caroline, Berlin; Brinkmann, Ulrich, Berlin
Vom Glauben abgefallen?
Text: Kraft, Caroline, Berlin; Brinkmann, Ulrich, Berlin
Knapp 900.000 Menschen traten in Deutschland allein letztes Jahr aus der Kirche aus, davon über eine halbe Million aus der katholischen. Gleichzeitig verlieren Sakralbauten nicht an Faszination. Die Agnostikerin kann ebenso beeindruckt von der Ertüchtigung der romanischen Jakobswegkapelle am Fuß der spanischen Pyrenäen oder zwei Kapellenneubauten in Süddeutschland sein, wie der tiefgläubige Christ von der Umnutzung oder Nutzungserweiterung brandenburgischer und thüringischer Dorfkirchen.
Es ist aber doch gewissermaßen paradox, dass sich die beiden christlichen Kirchen in Deutschland aufgrund von Mitgliederschwund in den kommenden vierzig Jahren von rund einem Drittel ihrer Immobilien trennen müssen (hier geht es auch um Pfarr- und Gemeindehäuser), während im Freistaat Bayern jährlich zwischen zwei und vier Kapellenneubauten entstehen. Oft sind sie privat oder durch Spenden finanziert. Was auch dahintersteckt – ob Selbstverwirklichung der Erbauer oder der Drang nach Spiritualität, die kleinen Sakralräume werden angenommen, es scheint Bedarf zu geben. Gleichzeitig bieten die leerer werdenden Bestandskirchen ein enormes Potenzial für eine kollektive Nutzung. Gotteshäuser sind wichtig, liegen am Ende städtebaulicher Achsen, definieren gesamte Dorfstrukturen und stiften Identität. Sie sind Orte der Einkehr, der Rituale, der Begegnung. Das müssen sie auch bleiben, möchten sie eine Zukunft haben.
So viel Wäsche, so frisch und so sauber
Eine Zukunft zu haben ist auch dem ein oder anderen Gebäude der Nachkriegsmoderne zu wünschen. Deren Bild von Perfektion ist oft gebrechlich; schon die kleinste Spur von Schmutz, von Patina, von Gebrauch beschädigt die Wirkung, lässt das, was als sichere Wette auf die Zukunft ersonnen wurde, als Schande fürs Stadtbild dastehen. Drei Sanierungen, in Paris, Brugg und Berlin, haben die ursprüngliche „Cleanness“ dieser Ära wiederhergestellt. Sie zeigen, dass sich mit dieser Substanz arbeiten lässt, und sie setzen eine Zeitschicht wieder in Wert, deren gebautes Erbe noch immer vom Verschwinden bedroht ist, zumal in den gefragten Lagen der Städte. Die ehemalige Peugeot-Hauptverwaltung, das Verwaltungshochhaus der Kabelwerke Brugg und das Haus des Berliner Verlags laden so auch weiterhin ein, über die Tendenz zur Hypertrophie in jenen zwanzig Jahren zwischen Nachkriegswirtschaftswunder und „Grenzen des Wachstums“ nachzudenken. Und über die Konsequenzen, die daraus gezogen worden sind: Wie sanierungsfähig sind denn die heutigen, geschichteten und kaum wirtschaftlich demontierbaren Konstruktionen?
0 Kommentare