Vorsicht Bahnsteigkante
Am Hamburger Hauptbahnhof ist’s eng. Der jüngst entschiedene Wettbewerb zu seiner Erweiterung bleibt Lösungen für die Probleme von Fahrgastströmen und städtebaulichem Kontext schuldig.
Text: Mijatović, Maja, Hamburg
Vorsicht Bahnsteigkante
Am Hamburger Hauptbahnhof ist’s eng. Der jüngst entschiedene Wettbewerb zu seiner Erweiterung bleibt Lösungen für die Probleme von Fahrgastströmen und städtebaulichem Kontext schuldig.
Text: Mijatović, Maja, Hamburg
Bahnhöfe vereinen viele, teils gegensätzliche Funktionen einer Stadt: Transit und Aufenthalt, Zusammentreffen und Anonymität, Arbeit und für manche Menschen sogar Wohnen. Daneben verkörpert ein Bahnhof für viele Reisende die erste Begegnung mit einer Stadt: Sie beginnt im Bauwerk und setzt sich in der Umgebung fort. Außerdem ist jeder größere Bahnhof ein Infrastrukturprojekt, das möglichst viele Menschen in möglichst kurzer Zeit auf möglichst viele Züge verteilen muss. Und das ist seit geraumer Zeit das Dilemma des Hamburger Hauptbahnhofs.
Der nach dem Pariser Gare du Nord am zweitstärksten frequentierte Bahnhof Europas liegt eingebettet zwischen Innenstadt, St. Georg und dem Münzviertel. 1906 eröffnet, wurde er seither mehrfach umgebaut und erweitert, zuletzt 1991. 30 Jahre später platzt er aus allen Nähten. Wer schon einmal mit dem Zug in der Hansestadt angekommen ist, kennt das Gedrängel auf den Bahnsteigen und vor den wenigen Aufgängen, die zu zwei schmalen Stegen Richtung Ausgang führen. Etwa 550.000 Menschen nutzten den Hauptbahnhof heute täglich. In 20 Jahren werden es vermutlich, durch den Ausbau von U- und S-Bahn, 750.000 sein.
Zur Lösung des Problems lobte die Stadt einenzweiphasigen städtebaulich-freiraumplanerischen Wettbewerb aus. Ziel war es, den Hauptbahnhof mit den benötigten Kapazitäten auszustatten und den umliegenden Stadtraum weiterzuentwickeln. Gefordert war darüber hinaus ein sensibler Umgang mit dem denkmalgeschützten Bauabschnitt von 1906. Sieben von 30 Teilnehmern erreichten die zweite Runde. Aus dieser gingen bof Architekten aus Hamburg mit dem Berliner Landschaftsarchitekturbüro hutterreimann als Gewinner hervor. Die Teams um gmp Architekten sowie MOZIA Monari + Zitelli Architekten errangen je einen 3. Platz, und MONO Architekten eine Anerkennung.
Um die historischen Räume wieder sichtbar zu machen, schlagen bof Architekten einen Rückbau zur ursprünglichen Form vor. Hernach führen sie das charakteristische Tragwerk der Bahnsteighalle zu den Seiten formgleich fort. So verbindet eine gläserne Passage bogenförmig die östliche Bestandsfassade mit einem dreigeschossigen Neubau. Darin sind Zugänge zur S-Bahn sowie Gastronomie- und Büroflächen für die Deutsche Bahn und Coworkingplätze vorgesehen. Taxis, Kurzzeitparken sowie ein Fahrradparkhaus werden vom Hachmannplatz auf St. Georg in den Norden, vis-à-vis der Kunsthalle verlagert. Der derzeit unübersichtliche südöstliche Ausgang am Museum für Kunst und Gewerbe (MKG) wird zurückgebaut und der historische „Mäuseturm“ an dieser Stelle rekonstruiert. Auf den verbleibenden Flächen laden runde Bauminseln zum Verweilen ein und dienen als Leitsystem durch die sogenannte „Kunstmeile“.
Besonders sticht die „Aufräumgeste“ im Osten des Bahnhofs ins Auge, die an die fortschreitende Gentrifizierung des einst rauen Stadtteils St. Georg anknüpft und versucht, die unliebsame Lücke zwischen Steindamm und Hansaplatz zu schließen. Seit einigen Jahren werden dort Randgruppen wie Prostituierte und Obdachlose verdrängt. Zuletzt ließ die Stadt 2020 das als Mahnwache Geflüchteter eingerichtete „Lampedusazelt“ – pandemiebedingt – räumen. Künftig bleibt der einzige Anlaufort für Menschen, die diese städtische Realität leben, wohl eine Fläche um das Drob Inn, eine Beratungsstelle mit Konsumräumen für Drogenabhängige. Sie befindet sich südlich des MKG. Mit der Aufwertung, Verkehrsberuhigung und der Möglichkeit der Überwachung (um diese Option wurde in der Auslobung gebeten) schreitet die Verdrängung eines bestimmten Milieus fort.
Der für den Stadtraum bedeutsamste Eingriff findet an der Südfassade des Hauptbahnhofs statt. Neue Ausgänge sollen den Südsteg entlasten. Zudem verbinden bof Architekten einen am Steintordamm geforderten Neubau über ein gläsernes Dach mit der Bahnsteighalle. In ihm befinden sich weitere, teils vermietbare Büroflächen sowie Zugänge zu U-Bahn- und Fernzug-Gleisen. Diese überdachte „Kommunaltrasse“ wird Bussen und Taxis vorbehalten sein. Durch die Platzierung des Querriegels entsteht eine abschottende Geste Richtung Münzviertel. Das dahinter klaffende Gleisfeld bleibt ein Loch zwischen dem MKG im Osten und der Zentralbibliothek im Süden. Etwas weiter entfernt – jedoch immer noch im städtebaulichen Bezugsradius – befinden sich das UNESCO-Welterbe Kontorhausviertel, eine sich um Hotels und Büros nachverdichtende City Süd sowie die Deichtorhallen und schließlich die HafenCity. Als städtebauliche Lösung drängt sich ein begrünter Deckel mit zusätzlichen Aufgängen geradezu auf. Aus bahnbetrieblichen und wirtschaftlichen Gründen schloss die Auslobung diesen Ansatz aber explizit aus. Und so wird ein bestehendes Infrastrukturprojekt minimalinvasiv optimiert und um wirklich unnötige Büroflächen erweitert (auf der gegenüberliegenden Straßenseite befindet sich ein leerstehendes Karstadt-Gebäude). Zurück bleiben die immer noch schmalen Bahnsteige mit den wenigen Aufgängen und die verpasste Chance, signifikante Bauten stadträumlich zu fassen und miteinander zu verbinden.
Zweiphasiger, städtebaulich-freiraumplanerischer Planungswettbewerb
1. Preis (55.000 Euro) bof architekten bücking, ostrop & flemming partnerschaft mbb, Hamburg, mit hutterreimann Landschaftsarchitektur, Berlin
ein 3. Preis (24.500 Euro) gmp mit WES LandschaftsArchitektur, beide Hamburg
ein 3. Preis (24.500 Euro) MOZIA Monari + Zitelli Architekten mit fabulism, beide Berlin
Anerkennung (15.000 Euro) MONO Architekten Greubel&Schilp&Schmidt mit PLANORAMA Landschaftsarchitektur, Berlin, beide Berlin
1. Preis (55.000 Euro) bof architekten bücking, ostrop & flemming partnerschaft mbb, Hamburg, mit hutterreimann Landschaftsarchitektur, Berlin
ein 3. Preis (24.500 Euro) gmp mit WES LandschaftsArchitektur, beide Hamburg
ein 3. Preis (24.500 Euro) MOZIA Monari + Zitelli Architekten mit fabulism, beide Berlin
Anerkennung (15.000 Euro) MONO Architekten Greubel&Schilp&Schmidt mit PLANORAMA Landschaftsarchitektur, Berlin, beide Berlin
Teilnehmer zweite Phase
Stefan Schmitz Architekten und Stadtplaner mit LILL + SPARLA Landschaftsarchitekten, beide Köln; Andreas Heller Architects & Designers, Hamburg, mit Lysann Schmidt Landschaftsarchitektur, Wismar; Hosoya Schaefer Architects mit Studio Vulkan Landschaftsarchitektur, beide Zürich
Stefan Schmitz Architekten und Stadtplaner mit LILL + SPARLA Landschaftsarchitekten, beide Köln; Andreas Heller Architects & Designers, Hamburg, mit Lysann Schmidt Landschaftsarchitektur, Wismar; Hosoya Schaefer Architects mit Studio Vulkan Landschaftsarchitektur, beide Zürich
Fachpreisgericht
Franz-Josef Höing, Michael Mathe, Heike Brandhorst, Heiner Hühnerbein, Kunibert Wachten (Vorsitz), Reiner Nagel, Elisabeth Merk, Katja-Annika Pahl, Karin Loosen, Günther Vogt, Uli Hellweg, Peter Wich
Franz-Josef Höing, Michael Mathe, Heike Brandhorst, Heiner Hühnerbein, Kunibert Wachten (Vorsitz), Reiner Nagel, Elisabeth Merk, Katja-Annika Pahl, Karin Loosen, Günther Vogt, Uli Hellweg, Peter Wich
Ausloberin
Freie und Hansestadt Hamburg vertreten durch ReGe Hamburg Projekt-Realisierungsgesellschaft, unter
Mitwirken der Deutschen Bahn
Freie und Hansestadt Hamburg vertreten durch ReGe Hamburg Projekt-Realisierungsgesellschaft, unter
Mitwirken der Deutschen Bahn
Wettbewerbskoordination
büro luchterhandt & partner, Hamburg
büro luchterhandt & partner, Hamburg
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