Bauwelt

Wie schaffen wir einen dreidimensionalen Raum des Lebens?

Ole Scheeren gibt im ZKM in Karlsruhe einen breiten Überblick über seine Bauten und Projekte. Ein Gespräch über Performative Icons, Hybridisierung und den Einfluss von Architekten

Text: Friedrich, Jan, Berlin

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    Noch bis 4. Juni läuft die Ausstellung „ole scheeren : spaces of life“ im ZKM in Karlsruhe.
    Foto: Felix Grünschloß

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    Noch bis 4. Juni läuft die Ausstellung „ole scheeren : spaces of life“ im ZKM in Karlsruhe.

    Foto: Felix Grünschloß

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    Das Atrium mit „Skulpturengarten“ und „Urban Panorama“.

    Foto: Julian Faulhaber

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    Das Atrium mit „Skulpturengarten“ und „Urban Panorama“.

    Foto: Julian Faulhaber

Wie schaffen wir einen dreidimensionalen Raum des Lebens?

Ole Scheeren gibt im ZKM in Karlsruhe einen breiten Überblick über seine Bauten und Projekte. Ein Gespräch über Performative Icons, Hybridisierung und den Einfluss von Architekten

Text: Friedrich, Jan, Berlin

Wenn der Ausstellungsbesucher die Schau betritt, begegnen ihm riesengroße, abstrakte Modelle Ihrer wichtigsten Projekte aus den letzten Jahren. Auf den ersten Blick scheinen sie wie Ufos im Atrium des ZKM gelandet zu sein.
Tatsächlich stehen dort erst einmal die Gebäude als Skulpturen, im „Skulpturengarten“, wie wir den Bereich genannt haben. Dann gibt es aber zusätzlich zwei Elemente, die die Projekte kontextualisieren, sobald man sich damit beschäftigt. Das eine sind die großen Fotos rund um das
Atrium, was wir „Urban Panorama“ nennen, auf denen sieht man die realen Bauten, fotografiert in ihrem realen Kontext. Das andere sind die Augmented-Reality-Elemente, die wir verwenden. Sie erwecken die Skulpturen zum Leben und bilden dabei auch den Stadtkontext und die Architekturideen ab.
Was steckt hinter dieser Aufteilung der Projektdarstellung in verschiedene Elemente, die den Kontext erst im zweiten Schritt enthüllt?
Es geht uns darum, eine Trennung der Lesbarkeiten von Architektur vorzunehmen. Zu zeigen: Es gibt Architektur als Objekt; es gibt Architektur als Objekt im Kontext; es gibt Architektur aber auch als Idee – wie man sie macht, was mit ihr passiert und wie sie dann im Leben steht. Meistens werden diese unterschiedlichen Lesbarkeiten miteinander vermengt dargestellt, das macht es schwieriger, sie zu verstehen.
Was aber sehr wichtig ist: Meine Architektur ist extrem an den Kontext gebunden. Meine Gebäude sind keine formalen Experimente, sondern ihre Form ist das Resultat von Verhältnissen, die wir in der Architektur schaffen. Wie schaffen wir einen Raum der sozialen Beziehungen? Wie schaffen wir einen dreidimensionalen Raum des Lebens? Ich habe einmal den Begriff „Performative Icons“ für meine Gebäude benutzt. Eine Ikone an sich kann leer sein, einfach eine Form sein. Hier aber geht es darum, was diese Ikone tut, was sie mit uns tut.
Es gibt eine weitere ungewöhnliche Station in der Ausstellung, das ist der Bereich, in dem
es um die mediale Rezeption Ihrer Bauten geht. Dort sind, anders als man das üblicherweise kennt, nicht Zeitschriftenartikel oder dergleichen zusammengetragen, sondern auf unzähligen Bildschirmen brennt ein regelrechtes Feuerwerk an Bildern und Filmen ab, die das Eigenleben Ihrer Bauten in den sozialen Me­dien vorführen.

Wir wollen zeigen, wie die Leute mit diesen Gebäuden leben, und nicht, wie etwa ein Kritiker das in einer Zeitschrift positioniert, der damit ja schon wieder Teil des Kontrollgefüges des Architekturbusiness ist. Was dort zu sehen ist, ist uneditiert: Alles, was positiv und schön, aber genauso was negativ und hässlich ist, wird gezeigt. Das ist die Abbildung der medialen Realität, in der die Architektur heute existiert, und damit aber auch eine Abbildung des realen Lebens, das mit der Architektur stattfindet.
Was auffällt bei Ihren Projekten, seien es nun die im sehr großen Maßstab, seien es die kleineren: Es werden fast immer ganz unterschiedliche Nutzungen in einem Gebäude gemischt. Ist das in Asien, wo Sie die meisten Bauten realisiert haben, inzwischen Standard?
Im Grunde ist die Mischung oder die Hybridisierung verschiedener Nutzungen das Abbild einer Gesellschaftsrealität, die sich längst eingestellt hat. Es gibt etwa die Trennung von Arbeit auf der einen und Wohnen/Leben auf der anderen Seite gar nicht mehr, wie es sie vor vielleicht fünfzig Jahren noch gab. Die Hybridisierung bildet aber auch die Lehren ab, die man aus den Business-Zentren gezogen hat, die außerhalb der Geschäftszeiten vollkommen tot sind. Asien hat einfach sehr viel schneller daraus gelernt, vielleicht auch härter, und mit einer Offenheit anderen Modellen gegenüber früh solche Formen der Mischnutzung entwickelt, die jetzt immer gängiger werden. Wahrscheinlich gibt es in meiner Arbeit aber schon extreme Beispiele von großen Maßstäben und extreme Mischungen: „Empire City“ zum Beispiel, ein circa 400 Meter hoher Turm in Vietnam, der mit 360.000 Quadratmetern Nutzfläche eigentlich schon ein Stadtteil ist, in dem sich Wohnen, Arbeiten, Hotel, Vergnügen, Einkaufen, Kultur miteinander verbinden.
Noch ungewöhnlicher ist das Programm des Guardian Art Center in Peking, für das der Begriff „Museum“ nicht mehr treffend erscheint.
Seit langem schon ist das Museum nicht mehr der pure Raum, der er mal war, ausschließlich der hohen Kunst verschrieben. Längst haben sich Überlappungen ergeben: In Museen wird Mode ausgestellt, Events finden dort statt und so weiter. Es gibt aber nach wie vor nur wenige Räume, die so konzipiert sind, dass sie dieser Veränderung Rechnung tragen würden. Architektur hinkt der Realität immer ein Stück hinterher. Das Guardian Art Center ist ein radikales programmatisches Beispiel, dort werden Kultur­events, Lifestyle, Museum, Kunsterhaltung und Kunsthandel – das Gebäude ist ja auch der Sitz eines Auktionshauses – zusammengebracht und als Gesamtgefüge gedacht.
Mich interessiert die Frage der Hybridisierung, weil ich glaube, dass der Umstand, dass verschiedene Dinge sich näherkommen und sich überlappen, ein besonders interessanter Aspekt des Wandels ist, der sich in unserer Gesellschaft über die letzten Jahrzehnte vollzogen hat.
Das derzeit hierzulande unter Architekten vorherrschende Thema ist der Umgang mit dem Bestand. Bis hin zu der Frage, ob wir es uns angesichts des Klimawandels noch leisten können, überhaupt neu zu bauen. Ihr erstes Projekt in Deutschland war schon vor einigen Jahren bezeichnenderweise nicht der Neubau, sondern der Umbau eines Hochhauses in Frankfurt am Main. Wie nehmen Sie als jemand, der die hiesige Debatte kennt, aber vor allem außerhalb Europas arbeitet, diese Diskussion wahr?
Die Frage, wie wir Bestand umnutzen, was wir aus ihm machen können, ist hochinteressant. In Europa, in Deutschland gibt es so viel Bestand, natürlich muss man darüber nachdenken, was man damit macht. Man kann nicht alles abreißen, was man nicht mehr zu brauchen glaubt. Und sollte es nicht. Leider sind aber Architekten in Wahrheit gar nicht diejenigen, die entscheiden, ob neu gebaut wird oder nicht. So viel Macht haben sie nicht. Bei den letzten Wettbewerben, an denen ich in Deutschland teilgenommen habe, gab es jeweils Bestandsgebäude. Ich habe in allen Fällen offiziell die Frage an den Bauherrn gestellt, ob wir den Bestand erhalten und ihn ergänzen können. Die Antwort war jedes Mal: Auf gar keinen Fall! Es gibt also einen Widerspruch zwischen dem, worüber geredet wird, und dem, was tatsächlich getan wird. Darüber hinaus habe ich den Eindruck, dass die Diskussion um Nachhaltigkeit häufig nicht ganzheitlich geführt wird – sondern nur partiell, auf eine vereinfachte Formel zurückgeschraubt.
Inwiefern?
Ein Gedanke von Nachhaltigkeit existiert nicht nur in der Plus-Minus-Bilanz eines CO2-Footprints. Ein Gedanke von Nachhaltigkeit muss sich auch mit der Qualität des Lebensraums auseinandersetzen, muss sich mit dem Lebensgefühl der Menschen auseinandersetzen. Denn nur die Dinge, die wirklich positiv lebbar oder bewohnbar sind, können langfristig einen Beitrag zur Umwelt leisten. Die Plus-Minus-Bilanz eines schlechten Gebäudes, das die Menschen nicht nutzen möchten, ist komplett bedeutungslos.
Wir haben eine Riesenverantwortung der Umwelt gegenüber, die müssen wir alle übernehmen. Aber die ist nicht nur eine CO2-Bilanz. Ist es also wirklich so, dass wir nicht mehr bauen dürfen? Ist es wirklich so, dass wir keine Neuerung der Räume und unserer Lebenszusammenhänge mehr denken sollen? Sollten Architekten sich selbst absprechen, dass sie noch etwas beizutragen haben? Ich glaube, wir haben noch etwas beizutragen.

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