Recht auf Stadt
Skateboarden ist eine eigene Kultur – sein Schauplatz der öffentliche Raum. Dort trifft der Sport auf vehemente Kritiker. Perspektive eines Skaters auf den Möglichkeitsraum von Straßen und Plätzen
Text: Hemel, August, Berlin
Recht auf Stadt
Skateboarden ist eine eigene Kultur – sein Schauplatz der öffentliche Raum. Dort trifft der Sport auf vehemente Kritiker. Perspektive eines Skaters auf den Möglichkeitsraum von Straßen und Plätzen
Text: Hemel, August, Berlin
Skaten ist vieles. In den Augen der meisten Nicht-Skater ist es in erster Linie ein Sport, der, wenn nicht im Skatepark, im öffentlichen Raum der Stadt stattfindet: sogenanntes Streetskaten. Auch wenn Skaten inzwischen eine olympische Sportart und damit mehr zu einem Wettkampfsport geworden ist, ist es in meinen Augen viel mehr als das: Es ist das Board und ich. Es ist Lifestyle. Es ist Geselligkeit. Es ist Freiheit. Es ist Kreativität und Leichtigkeit. Es ist Rebellion. Es ist Willenskraft. Es ist Zweckentfremdung und Anpassung zugleich. Es ist eine andere Perspektive auf den Lebensraum.
Als Skater geht man mit anderen Augen durch die Straßen, sieht das Stadtmobiliar, die Architektur in der unmittelbaren Umgebung unter anderen Gesichtspunkten: Man achtet auf die Bodenbeschaffenheit von Plätzen, Straßen oder Wegen und erkennt in vielen Dingen eine Möglichkeit, Objekte und Orte zu skaten, einen sogenannten Spot. Spots sind Orte und Objekte, die auf die eine oder andere Art und Weise Möglichkeiten zum Skaten bieten. Dabei kann es sich um Treppen oder Handläufe handeln, aber auch um Steinbänke und Mauern, die Ledge oder Curb genannt werden. Ebenso können Schrägen, so genannte Banks geskatet werden, oder Bänke und andere Sockel für Manuals verwendet werde – ein Trick, bei dem man nur auf einer derbeiden Achsen fährt.
Spots gibt es überall. Mitten in der Stadt – wie am Alexanderplatz in Berlin: Mit seinen Treppen, Bänken, Simsen und dem Granitboden birgt er vielseitige Anregungen zum Skaten –, aber auch am Stadtrand – etwas die Mauern des Kianparks im Süden Berlins.
Vor allem an Orten, im Stadtzentrum, gibt es immer wieder Unmut über Skater und ihre Aktivitäten. Leute sagen, Skater seien zu laut, störend, außerdem seien sie rücksichtslos gegenüber Privat- und Gemeinschaftseigentum. So verbot die Neue Nationalgalerie in Berlin im vergangenen Sommer, den Platz rund um das Gebäude zu skaten, obwohl dieser zusammen mit dem Kulturforum schon gut dreißig Jahre lang Teil der Skatekultur ist. Er ist einer der Plätze, derenthalber manche Skater aus Europa, ja der ganzen Welt, nach Berlin kommen. Dort bietet sich eine Vielfalt an Skatemöglichkeiten. Die Ledge und die Ledge to Bank auf dem Sockel des Mies-Baus sind weltbekannt, genau wie das doppelte Treppenset vor der Gemäldegalerie.
Andernorts in Europa kommen rund um Kulturstätten Menschen aller Art zusammen, auch Skater. Das Musueo Contemporáneo in Barcelona und die Casa da Música in Porto sind Beispiele, wo genau dies der Fall ist und die Skater geduldet, gar willkommen sind. Wieso funktioniert das an der Neuen Nationalgalerie nicht? Ihr Leiter Joachim Jäger argumentiert, dieses Gebäude sei kein Altbau, der ramponierten Charme vertrage: „Das Museum lebt von Präzision und Perfektion.“ Die Diskussion ist nicht erst mit der Instandsetzung des Hauses entbrannt. Bereits in den neunziger Jahren wurde über das Skaten an dieser Stelle gestritten.
Der öffentliche Raum ist vieles: Er ist Verkehrsraum, Konsumraum, Kulturraum und noch einiges mehr. Wie er selbst, sind auch die Objekte multifunktional, die ihn möblieren. Nach der Definition des Soziologen Richard Sennet ist hier einjeder Beobachter und Beobachteter zugleich. Das soziale Verhalten der Nutzer korrespondiert eng mit der gebauten Umwelt – der öffentliche Raum wird durch seinen Gebrauch verändert. Skaten ist eine Möglichkeit genau dieser Aneignung. Warum wird Skatern die Teilhabe an ihm so rigoros verwehrt? Streetskater hören oft Sätze wie: „Warum skatet ihr nicht in den Parks, die für euchgebaut wurden?“ oder: „Das ist doch nicht zum Skaten gedacht!“
Für Skater ist die Stadt besonders wegen ihrer Unvollkommenheit interessant, denn im Gegensatz zu den gebauten Skateparks – von denen bei weitem nicht alle gut konzipiert und ausgeführt sind – ist sie eben nicht explizit zum Skaten angelegt, man muss sie sich erobern. Während Skateparks darauf ausgelegt sind, dass sie „perfekte“ Trainingsbedingungen schaffen, bieten Spots im öffentlichen Raum Herausforderungen. Jeder muss sich in seinem Stil, mit seiner Kreativität auf dem Board anders an die Gegebenheiten wie Metallgitter und Bodenunebenheiten oder unterschiedlich steile Treppen oder Schrägen anpassen.
Die Umdeutung der Stadt, die Skater zu ihren Gunsten vornehmen, ist ein gutes Beispiel für den vom französischen Soziologen Henri Lefebvre geprägten Begriff des „Rechts auf Stadt“. Er bedeutet die kollektive Aneignung des städtischen Raums, da genau dies ein urbanes Leben ausmacht. Dieses orientiert sich demzufolge am Gebrauchswert der Stadt, und je höher dieser ist, umso besser ist die Lebensqualität.
Aus heutiger Sicht sind zwei Merkmale des Rechts auf Stadt besonders relevant: Zum einen, dass der Fokus auf den Bewohnern und Nutzern der Stadt liegt, die durch ihre alltäglichen räumlichen Erfahrungen befähigt werden, ihr Recht auf Stadt einzufordern. Zum anderen enthält die Formulierung den Hinweis darauf, dass dem Nutzungswert von Öffentlichkeit höhere Bedeutung als dem Kapitalwert zukommen sollte. Tatsächlich werden Eigentumsrechte heutzutage weitgehend höher bewertet als die Nutzungsrechte von Bewohnern. Skaten ist also ein gerechtfertigtes Einfordern des Rechts auf Stadt; der „Spaß“ zielt auch darauf, das Bewusstsein für die sozialen Zusammenhänge des Stadtlebens wach zu halten.
Multifunktionale Nutzung bedeutet nicht mutwillige Zerstörung. Es ist richtig, dass die Abnutzung von Gegenständen, insbesondere von Curbs und Ledges, stattfindet, wenn Objekte geskatet und gegrindet werden. In vielen Fällen ist die Beeinträchtigung aber marginal, denn Mauern oder Steinbänke verlieren dadurch nicht ihre Funktion. Vielleicht bleiben sie ohne die Abnutzung oder Spuren des oftmals aufgetragenen Skatewachs ansehnlicher; in meinen Augen birgt die Lebendigkeit einer Mehrfachnutzung allerdings weitaus mehr Reiz, eine Art erzählerische Schönheit, als ein cleaner Look. Die Bänke auf dem Mittelstreifen der Warschauer Straße in Berlin zum Beispiel sind weitaus beliebter bei Skatern als bei Passanten auf der Suche nach einer Verschnaufpause. Es ist dort nämlich auch ohne klackernde Boards ziemlich laut: Merci, Straßenverkehr.
Die Skatekultur verdient einen unvoreingenommene Betrachtung, bestenfalls sogar Anerkennung und Akzeptanz in der Öffentlichkeit, denn dieser Sport, diese Lebensart bringt die unterschiedlichsten Menschen zusammen. Skater kümmern sich um einander und der Modus von Hinfallen und Wiederaufstehen hat geradezu philosophisches Gehalt: Beim Skaten lernt man, zu scheitern und neuen Anlauf zu nehmen. Skaten schult die Willenskraft und zeigt einem, dass man mit dem richtigen Maß an Hartnäckigkeit zum Ziel gelangen kann – diesen oder jenen Trick meistern. Es ist getragen von einem geteilten Gefühl der Freude und Leichtigkeit. In der Gruppe freut man sich für die Anderen genauso wie für sich selbst.
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