Bauwelt

Ingeborg Flagge

1942–2024

Text: Stock, Wolfgang Jean, München

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Foto: Mario Lorenz

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Ingeborg Flagge

1942–2024

Text: Stock, Wolfgang Jean, München

Ihren Abschied von der Welt hat Ingeborg Flagge gestaltet wie ihr berufliches Leben: selbstbewusst und selbstbestimmt. Bis zuletzt hat sie sich als ungewöhnliche Frau gezeigt. Der Autor dieser Zeilen lernte ihre besonderen Qualitäten kennen, als er vor mehr als dreißig Jahren zusammen mit ihr das Buch „Architektur und Demokratie“ herausgab. Vor allem als Publizistin bekannt geworden, war die 1942 im westfälischen Oelde geborene Ingeborg Flagge vielseitig gebildet und interessiert, aber auch mit einer hohen Arbeitsmoral gesegnet. Intellektuelle Ansprüche an Architektur und Kunst verband sie mit praktischen Begabungen. Sie zeichnete sich auch durch Disziplin und Effizienz aus, ob als Buchautorin und Chefredakteurin oder als Hochschullehrerin und Museumsdirektorin. Anders hätte sie ihr zeitlebens großes Arbeitspensum gar nicht bewältigen können. Lang ist die Liste ihrer Artikel, ebenso der Bücher, die sie geschrieben oder herausgegeben hat.
Ihren Aufstieg zur international geschätzten Architekturexpertin begann Ingeborg Flagge als Quereinsteigerin. 1971 wurde die frisch promovierte Archäologin, die ihre Ausbildung auch in Cambridge und London absolviert hatte, in der Bundesgeschäftsstelle des BDA angestellt, zunächst als Referentin für Öffentlichkeitsarbeit. Ihre Karriere nahm Fahrt auf, als sie 1974 zur Chefredakteurin der BDA-Zeitschrift „Der Architekt“ ernannt wurde. Als „Ein-Frau-Redaktion“ (Volkwin Marg) entwickelte sie das bis dahin biedere Verbandsblatt mit Unterstützung des Gestalters Otl Aicher zu einer anspruchsvollen Fachzeitschrift. Dass diese seinerzeit viel gelesen wurde, beruhte zum einen auf dem breiten Themenspektrum, das von der Planungshoheit der Kommunen bis zur Architektur im europäischen Ausland reichte. Zum anderen waren es die Leitartikel, in denen Ingeborg Flagge so schrieb, wie sie als Mensch war: in der Sache jeweils kompetent, zugleich meinungsstark bis streitlustig. Auch soziale und politische Fragen waren ihr wichtig.
Im damaligen Männer-Club BDA war sie als unbeugsame Frau eine Vorreiterin, die einer jüngeren Generation die Bahn bereitete. Sie war umstritten, aber sie setzte sich durch. Wie ihr das gelang, auch im zusätzlichen Amt als mehrjährige Bundesgeschäftsführerin, kann man in ihrem herrlich ironischen Rückblick auf 25 Jahre Arbeit für den BDA im Heft 5/1996 von „Der Architekt“ nachlesen. Zwei Jahre später verließ sie aus Protest gegen die abnehmende Qualität der Architektur den Verband und widmete sich bis 2000 ihrem Leipziger Lehrstuhl für Baugeschichte und Baukultur. Anschließend übernahm Ingeborg Flagge ihre letzte große Aufgabe – als Direktorin des Deutschen Architekturmuseums (DAM) in Frankfurt am Main. Rasch machte sie „Furore“, schrieb Dieter Bartetzko in der FAZ, der sie als „Dame Courage der Architektur“ pries. Im DAM verdoppelte sie, auch mit aktuellen Themen, die Zahl der Ausstellungen und steigerte die Besucherzahlen.
Doch auch dort kam es zum Knall: 2005 kündigte Ingeborg Flagge vor allem aus Protest gegen gekürzte Zuschüsse an die städtischen Museen vorzeitig ihren Vertrag. An eine starke Frau erinnert sich auch Winfried Nerdinger, der von ihr in den Redaktionsbeirat von „Der Architekt“ berufen worden war: „Unsere Treffen leitete sie souverän und konnte auch energisch Qualität und Termine einfordern. Obwohl keine ausgebildete Architektin, wurde sie aufgrund ihrer Kenntnisse und Unbestechlichkeit als Autorität anerkannt.“ Völlig überraschend hat Ingeborg Flagge am 20. Dezember 2024 im Alter von 82 Jahren an ihrem Wohnort Bonn den Freitod gewählt.


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